JudikaturJustiz1Ob106/08g

1Ob106/08g – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Juni 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Abstammungssache der Antragstellerin Irena K*****, vertreten durch Mag. Michael Luszczak, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die Antragsgegnerin Helga M*****, vertreten durch den Sachwalter Mag. Jürgen Kubin, Rechtsanwalt in Oberpullendorf, wegen Vaterschaftsbestreitung, infolge Revisionsrekurses der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 10. März 2008, GZ 20 R 19/08f 13, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mattersburg vom 11. Dezember 2007, GZ 4 Fam 35/07v 6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1.) Der Antrag, einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, wird zurückgewiesen.

2.) Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

3.) Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 984,19 EUR (darin 164,03 EUR USt) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der (am 4. 9. 2006 verstorbene) Ehegatte der Antragstellerin hatte am 13. 12. 1971 seine Vaterschaft gegenüber der am 16. 11. 1971 geborenen Antragsgegnerin rechtswirksam anerkannt.

Die Antragstellerin beantragte am 2. 10. 2007, das Anerkenntnis für rechtsunwirksam zu erklären. Sie brachte dazu im Wesentlichen vor, sie habe nach dem Tod ihres Ehegatten eine DNA Analyse durchführen lassen, die ergeben habe, dass er zu 100 % nicht der Vater sei, was ihr am 12. 9. 2007 zur Kenntnis gebracht worden sei. Sie sei als Gesamtrechtsnachfolgerin nach ihrem Ehegatten antragslegitimiert und habe „bis zuletzt vor dem Tod ihres Gatten" keine Kenntnis von der „mangelnden Abstammung" der Antragsgegnerin gehabt.

Die Antragsgegnerin wandte dagegen ein, der Antrag sei verfristet, weil gemäß § 158 Abs 3 ABGB später als 30 Jahre nach der Geburt des Kindes nur mehr das Kind die Feststellung der Nichtabstammung begehren könne.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Gemäß § 158 Abs 3 ABGB könne später als 30 Jahre nach der Geburt nur noch das Kind die Feststellung der Nichtabstammung begehren, nicht aber ein allfälliger Rechtsnachfolger des Vaters. Es handle sich um eine absolute Frist. Die Antragstellerin müsse den zu Lebzeiten des Rechtsvorgängers eingetretenen Fristenlauf gegen sich gelten lassen. Der Ehegatte der Antragstellerin habe auch im letzten Jahr der Antragsfrist keinen Antrag gestellt.

Das Rekursgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung zurück. Im bisherigen Verfahren sei offensichtlich unbeachtet geblieben, dass die Bestimmungen der §§ 156 ff ABGB, insbesondere daher auch § 158 ABGB, nur für eheliche Kinder gelten. Dagegen regelten die Bestimmungen der §§ 163 ff ABGB die Feststellung bzw die Anerkennung der Vaterschaft zu einem Kind, wobei § 164 ABGB bestimme, unter welchen Voraussetzungen das Gericht das Vaterschaftsanerkenntnis für rechtsunwirksam zu erklären habe. Vergleichbar mit der Bestimmung des § 158 Abs 1 ABGB normiere § 164 Abs 2 ABGB, dass ein entsprechender Antrag längstens bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Entdeckung der Täuschung, des Irrtums oder der sonst genannten Umstände oder nach Wegfall der Zwangslage erhoben werden könne. Während allerdings § 158 Abs 3 ABGB für eheliche Kinder eine absolute Frist dahin vorsehe, dass später als 30 Jahre nach der Geburt des Kindes nur mehr das Kind die Feststellung der Nichtabstammung vom Ehemann der Mutter begehren kann, dem Mann hingegen nach Verstreichen dieser absoluten Frist eine Antragstellung nicht mehr offen stehe, enthalte § 164 ABGB für den Fall der Rechtsunwirksamerklärung eines Vaterschaftsanerkenntnisses keine vergleichbare Festsetzung einer absoluten Frist. Da beide Bestimmungen durch das BGBl I 2004/58 novelliert worden seien, könne auch nicht ein Versehen des Gesetzgebers unterstellt werden. Offensichtlich habe der Gesetzgeber vielmehr bewusst den Status eines ehelichen Kindes verstärkt schützen wollen, welcher nach Verstreichen einer absoluten Frist von 30 Jahren eben nicht mehr anfechtbar sein solle, wogegen eine gleichartige Bestimmung für den Fall der Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses nicht in das Gesetz aufgenommen worden sei. Da das Erstgericht keinerlei Feststellungen darüber getroffen habe, ob bzw welche Umstände dem Verstorbenen zu seinen Lebzeiten wann bekannt geworden sind, aufgrund welcher er begründete Zweifel daran hegen musste, dass die Antragsgegnerin von ihm abstammt, könne nicht beurteilt werden, ob die Antragstellerin die zweijährige Präklusivfrist eingehalten habe. Sollten solche Umstände nicht näher eruierbar sein, werde zu klären sein, seit wann und aufgrund welcher Umstände die Antragstellerin ihrerseits berechtigte Zweifel an der Vaterschaft ihres Ehemanns gehabt habe bzw hätte haben müssen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der allfälligen analogen Anwendbarkeit der Bestimmung des § 158 Abs 3 ABGB auch auf Fälle einer Antragstellung auf Rechtsunwirksamkeit eines Vaterschaftsanerkenntnisses im Sinne des § 164 ABGB Judikatur des Höchstgerichts nicht vorliege. Da aus der vom Rekursgericht vorgenommenen Auslegung der Bestimmungen der §§ 158 bzw 164 ABGB eine erheblich unterschiedliche Behandlung ehelicher und außerehelicher Kinder resultiere, sei nicht auszuschließen, dass sich das Höchstgericht zu einer Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof zur Prüfung der Verfassungsgemäßheit dieser Regelungen veranlasst sehen könnte.

Rechtliche Beurteilung

Der im Zusammenhang mit dem Revisionsrekurs gestellte Antrag, einen Überprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, ist unzulässig, weil den Parteien eines zivilgerichtlichen Verfahrens ein Antragsrecht in dieser Richtung nicht zukommt (RIS Justiz RS0058452). Im Übrigen ist der Revisionsrekurs zulässig und berechtigt.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragstellerin ist als verspätet zurückzuweisen: Die 14 tägige Frist des § 68 Abs 1 Satz 2 AußStrG endete am 21. 4. 2008, wogegen der Schriftsatz erst am 2. 5. 2008 eingebracht wurde.

Das Rekursgericht hat die von der Revisionsrekurswerberin befürwortete analoge Anwendung der absoluten 30 jährigen Frist des § 158 Abs 3 ABGB auf Anträge auf Rechtsunwirksamerklärung eines Vaterschaftsanerkenntnisses im Wesentlichen mit dem Argument abgelehnt, dass sowohl § 158 als auch § 164 ABGB erst kürzlich - mit dem FamErbRÄG 2004 - novelliert worden seien und dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, dabei wertungsmäßig gleichgelagerte Sachverhalte unbeabsichtigt unterschiedlich behandelt zu haben. „Offensichtlich" habe der Gesetzgeber bewusst den Status eines ehelichen Kindes verstärkt schützen wollen.

Dem vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Zu beachten ist nämlich auch, dass in § 164 ABGB nicht nur eine dem § 158 Abs 3 ABGB entsprechende Normierung einer absoluten Anfechtungsfrist fehlt (vgl auch § 163d Abs 2 ABGB), sondern darüber hinaus auch eine § 158 Abs 2 ABGB entsprechende Regelung. Anlässlich der erwähnten Novelle wurde die „Anfechtungsfrist" sowohl für die Ehelichkeitsbestreitung als auch den Antrag auf Rechtsunwirksamerklärung eines Vaterschaftsanerkenntnisses gegenüber der früheren Rechtslage von einem Jahr auf zwei Jahre verlängert, wobei die Fristen in beiden Fällen mit Kenntnis jener Umstände beginnen, die gegen die Vaterschaft sprechen. Wie schon nach früherem Recht enthalten lediglich die Bestimmungen über die Ehelichkeitsbestreitung (Feststellung der Nichtabstammung vom Ehemann der Mutter) einen eigenen Hemmungstatbestand (§ 158 Abs 2 ABGB), nach dem der Lauf der zweijährigen Frist gehemmt ist, solange die antragsberechtigte Person nicht eigenberechtigt ist oder innerhalb des letzten Jahres der Frist durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Antragstellung gehindert ist. Nach Auffassung des erkennenden Senats kann es keinem Zweifel unterliegen, dass dieser Hemmungstatbestand (sinngemäß) auch auf die Zweijahresfrist des § 164 Abs 2 ABGB anzuwenden ist, weil nicht ersichtlich ist, warum zwar bei der Ehelichkeitsbestreitung, nicht aber bei der Bekämpfung eines Vaterschaftsanerkenntnisses eine Verhinderung an der Antragstellung durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis von Bedeutung sein sollte (idS auch Hopf in KBB2 § 164 ABGB Rz 6 unter Hinweis auf Schwimann in Schwimann 3, I § 164 ABGB Rz 16). Schon diese Erwägungen sprechen gegen die Auffassung des Rekursgerichts, voneinander abweichende Regelungen im Bereich der Ehelichkeitsbestreitung einerseits und der Bekämpfung eines Vaterschaftsanerkenntnisses andererseits seien (ausnahmslos) bewusste Entscheidungen des Gesetzgebers gewesen.

Aber auch im Hinblick auf die absolute (materiellrechtliche) „Antragsfrist" des § 158 Abs 3 ABGB sind sachliche Gesichtspunkte nicht zu erkennen, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, die Möglichkeit, die eigene Vaterschaft in Frage zu stellen, bei ehelichen Kindern mit 30 Jahren zu begrenzen, sie bei unehelichen Kindern, denen gegenüber die Vaterschaft anerkannt wurde, hingegen zeitlich unbeschränkt zuzulassen. Dass der Gesetzgeber hier daran gedacht hätte, eheliche Kinder zu bevorzugen, ist auch aus den Gesetzesmaterialien zum FamErbRÄG 2004 nicht zu entnehmen. Auch wenn im allgemeinen Teil der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (471 BlgNR 22. GP, 1) davon die Rede ist, dass zum wesentlichen Inhalt der Novelle die „Fortentwicklung einzelner Rechtsinstitute des Abstammungsrechts und Schaffung einer ausgewogenen Regelung zwischen dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung und dem Schutz der intakten Familie" gehören, kann daraus wohl nicht der Schluss gezogen werden, dass beabsichtigt gewesen wäre, gerade auch im Zusammenhang mit der zeitlichen Möglichkeit, eine bisher feststehende rechtliche Vaterschaft in Frage zu stellen, zwischen ehelichen und unehelichen Kindern differenziert werden bzw eine bisher allenfalls unbewusst bestehende Differenzierung aufrecht erhalten werden sollte. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass mit dem angestrebten „Schutz der intakten Familie" nur an die Ehe und daraus entspringende Kinder gedacht war, zumal nach heutigem Verständnis jedenfalls auch unverheiratete Personen und ihre gemeinsamen Kinder eine Familie bilden.

In Ermangelung sachlicher Anhaltspunkte für die vom Rekursgericht angenommene Differenzierung hält der erkennende Senat somit die analoge Anwendung des § 158 Abs 3 ABGB auf die Fälle des § 164 Abs 1 Z 3 ABGB für geboten (in diesem Sinne offenbar auch Stormann in Schwimann 3 § 138a ABGB Rz 2). Da somit das Recht desjenigen, der seine Vaterschaft anerkannt hat, bzw dessen Rechtsnachfolgers (§ 138a Abs 2 ABGB), die Rechtswirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses in Frage zu stellen, nach dem 30. Geburtstag des Kindes nicht mehr besteht, ist die antragsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Der Verfassungsgerichtshof muss nicht angerufen werden, weil die hier maßgeblichen Bestimmungen des ABGB verfassungsgemäß angewendet werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 AußStrG; für die Schriftsätze im Rechtsmittelverfahren ist nur der einfache Einheitssatz (60 %) angefallen.