JudikaturJustiz1Nd26/95

1Nd26/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** reg.Genossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Robert Krasa, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17 19, wegen 86.309,25 S sA infolge gemeinsamen Antrags der Parteien auf Delegierung gemäß § 31 JN, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wird zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache als zuständig bestimmt.

Text

Begründung:

Die klagende Partei begehrt den Zuspruch von 86.309,25 S sA und bringt im wesentlichen vor, sie habe in einem gegen eine Verlassenschaft als beklagte Partei beim Landesgericht Leoben geführten Verfahren ein am 27.September 1993 erlassenes Versäumungsurteil erwirkt. Danach sei die Verlassenschaft schuldig erkannt worden, ihr 126.362,45 S sA zu bezahlen. Eine seit 29.Oktober 1993 vollstreckbare Ausfertigung dieses Urteils sei ihrem Vertreter am 8.November 1993 zugestellt worden. Am selben Tag habe jedoch eine Beamtin der beim Landesgericht Leoben zuständigen Gerichtsabteilung in der Kanzlei ihres Vertreters angerufen und mitgeteilt, „das Versäumungsurteil“ sei „irrtümlicherweise nicht der Verlassenschaft ..., sondern der Verlassenschaftskuratorin ... persönlich zugestellt worden“. Bei diesem Telefonat habe die Gerichtsbeamtin die Aufforderung ausgesprochen, „die vollstreckbare Ausfertigung des Versäumungsurteiles im Original an das Landesgericht Leoben zurückzustellen“; dem sei entsprochen worden. Erst am 15.Dezember 1993 sei ihrem Vertreter „nach ordnungsgemäßer Zustellung die vollstreckbare Ausfertigung des Versäumungsurteiles“ zugegangen. Die Verlassenschaft sei Liegenschaftseigentümerin gewesen. Wäre - wie beabsichtigt - noch am 8.November 1993 „ein Gesuch auf Begründung eines exekutiven Pfandrechtes ob der erblasserischen Liegenschaft abgefertigt“ worden, wäre eine Deckung der durch Versäumungsurteil titulierten Forderung aus dem Erlös für die später verkaufte Liegenschaft möglich gewesen. Nach dem 15.Dezember 1993 wäre die Begründung eines exekutiven Pfandrechts zur Hereinbringung deren vollstreckbaren Forderung dagegen aussichtslos gewesen, weil am 24.November 1993 eine Anmerkung der Rangordnung für die beabsichtigte Veräußerung erwirkt worden sei. Der Gesamtanspruch aus dem vollstreckbaren Versäumungsurteil habe samt Zinsen und Kosten 178.943,63 S betragen, worauf 92.634,38 S bezahlt worden seien. Die Differenz ergebe den Klageanspruch. Diesen Betrag habe die beklagte Partei aus dem Titel der Amtshaftung zu ersetzen, weil dieser Schaden rechtswidrig und schuldhaft durch das Verhalten eines Gerichtsorgans nämlich wegen der nicht an die beklagte Verlassenschaft, sondern an deren Kuratorin persönlich veranlaßte Zustellung des Versäumungsurteils - verursacht worden sei.

Die beklagte Partei wendet im wesentlichen ein, die Zustellung des Versäumungsurteils an die Verlassenschaftskuratorin persönlich habe den Bestimmungen des Zustellgesetzes entsprochen. Die dem Vertreter der klagenden Partei ursprünglich zugestellte vollstreckbare Urteilsausfertigung wäre daher geeignet gewesen, einem Antrag auf zwangsweise Pfandrechtsbegründung als Grundlage zu dienen. Das Unterbleiben einer solchen Antragstellung stelle eine Verletzung der Rettungspflicht gemäß § 2 Abs 2 AHG dar. Wäre das unzutreffend, hätte die klagende Partei ein Mitverschulden für den in ihrem Vermögen eingetretenen Schaden von drei Vierteln zu tragen. Der Klageanspruch sei aber auch unrichtig berechnet.

Über diese beim Landesgericht Leoben als Amtshaftungsgericht eingebrachte Klage wurde am 10.September 1995 verhandelt. Dabei teilte der Richter den Parteien mit, er fühle sich deshalb befangen, weil die in der Amtshaftungsklage „beanstandeten Handlungen des Gerichtes seine eigene Geschäftsstellenleiterin“ beträfen, mit der ihn ein freundschaftliches Verhältnis verbinde. Daraufhin stellte die klagende Partei den Antrag „auf Ablehnung des Richters wegen Befangenheit“.

Mit gemeinsamem Schriftsatz vom 16. Oktober 1995 beantragten die Streitteile gemäß § 31 JN beim Obersten Gerichtshof, zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu bestimmen. Eine Delegierung sei zweckmäßig, weil das Landesgericht Leoben ein relativ kleines Gericht sei, „wo jeder jeden“ kenne und „ein gutes und nahes Verhältnis zwischen den Richtern und den Bediensteten der Geschäftsstellen“ bestehe. Wenn auch eine „Befangenheit des gesamten Landesgerichtes Leoben“ nicht behauptet werde, erscheine die dargelegte Situation geeignet, im Falle einer Entscheidung durch das Landesgericht Leoben ein „Mißtrauen“ gegen dieses und/oder einen „Zwiespalt“ innerhalb des Gerichts hervorzurufen. Beide Parteienvertreter hätten ihren Sitz in Wien. Eine allfällige Delegierung an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz erscheine deshalb nicht ratsam, weil die Richterin jener Gerichtsabteilung, in der das dem Klagebegehren zugrunde liegende Versäumungsurteil erlassen worden sei, ihre Funktion jetzt beim Oberlandesgericht Graz also dem präsumtiven Rechtsmittelgericht - ausübe. Im Falle einer Delegierung der Rechtssache an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wären außerdem „sämtliche Ablehnungsanträge obsolet“.

Der Verhandlungsrichter des Landesgerichtes Leoben erklärte in seiner Äußerung zum Delegierungsantrag vom 9.November 1995, er erachte die Begründung der Parteien für stichhältig.

Der erkennende Senat hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Die Parteien übersehen, daß für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer Delegierung nicht der Sitz ihrer Vertreter, sondern bloß der Wohnort (Sitz) der Parteien oder der Zeugen maßgebend sein kann (EFSlg 69.713; EvBl 1956/27). Ein Delegierungsantrag kann auch nicht auf Ablehnungsgründe gestützt werden (EFSlg 69.714; EvBl 1968/144). Unerheblich ist im übrigen, daß die Leiterin der seinerzeit für die Erlassung des Versäumungsurteils zuständigen Gerichtsabteilung jetzt als Richterin beim Oberlandesgericht Graz ernannt sein mag. Der erkennende Senat hat in Ansehung einer gemäß § 9 Abs 4 AHG (damals § 9 Abs 5 AHG) beantragten Delegierung schon einmal ausgesprochen, daß Fälle, in denen ein Richter des betroffenen Gerichts später zu einem Gericht ernannt wird, das in erster oder zweiter Instanz über die Amtshaftungsklage zu entscheiden hat, den Delegierungstatbestand nicht erfülle (1 Nd 5/89). Was insofern gegen eine Delegierung gemäß § 9 Abs 4 AHG spräche, gilt nicht minder für die Voraussetzungen einer Delegierung gemäß § 31 JN.

Es liegt hier auch kein Anwendungsfall einer notwendigen Delegierung gemäß § 9 Abs 4 AHG vor, die der Parteidisposition entzogen wäre (RZ 1990/108) und Anlaß für eine Entscheidung durch das Oberlandesgericht Graz hätte sein können. Es ist zwar der Begriff „Präsident“ in der genannten Gesetzesstelle nicht eng zu verstehen, sodaß darunter jedes Verhalten in Ausübung der Justizverwaltung im Zuständigkeitsbereich der Präsidenten fällt, mag es auch von einem Vertreter oder einem beauftragten Justizverwaltungsorgan gesetzt worden sein ( Schragel , AHG 2 Rz 261), weder der Wortlaut des Gesetzes noch dessen Zweck legen jedoch den Schluß nahe, daß die Behauptung eines schadensursächlichen Verhaltens einer Kanzleileiterin des für die Amtshaftungsklage zuständigen Gerichtshofs den Delegierungstatbestand des § 9 Abs 4 AHG erfüllen soll.

Eine Delegierung aus Zweckmäßigkeitsgründen ist gemäß § 31 JN dann anzuordnen, wenn die Übertragung der Zuständigkeit zu einer wesentlichen Verkürzung des Prozesses, zu einer Erleichterung der Amtstätigkeit oder zu einer wesentlichen Verbilligung des Verfahrens beitragen kann (EFSlg 69.713). Beantragen die Parteien eine Delegierung einvernehmlich, so ist allerdings bei der zu treffenden Ermessensentscheidung kein allzu strenger Maßstab anzulegen (EvBl 1960/305).

Die klagende Partei beruft sich zum Beweis für ihr Vorbringen auf beizuschaffende Akten und vorzulegende Urkunden sowie auf die Vernehmung eines Rechtsanwalts als Zeugen, der im Amtshaftungsverfahren nicht als Klagevertreter einschreitet und seinen Kanzleisitz in Wien hat. Die beklagte Partei beantragt als Beweis für ihre Behauptungen nur die Beischaffung von Akten.

Berücksichtigt man, daß der einzige beantragte Zeuge seinen Kanzleisitz in Wien hat und bei der zu treffenden Ermessensentscheidung wegen des einvernehmlichen Parteienantrags kein allzu strenger Maßstab anzulegen ist, erscheint eine Delegierung der Rechtssache an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien allerdings nicht aus den im Antrag angeführten Gründen, sondern deshalb zweckmäßig, weil eine Terminabstimmung mit dem voraussichtlich als Zeugen zu vernehmenden Wiener Rechtsanwalt leichter durch ein Wiener Gericht als durch das Landesgericht Leoben möglich sein wird und auch eine wesentliche Verbilligung des Verfahrens erreicht werden kann; im Falle einer Anreise des beantragten Zeugen nach Leoben wäre nämlich ein nicht unerheblich höherer Betrag an Zeugengebühr (Anreisekosten, Verdienstentgang) zu erwarten.

Dem gemeinsamen Parteienantrag ist daher zu entsprechen.

Rechtssätze
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