JudikaturJustiz17Os11/12i

17Os11/12i – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Dezember 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Dezember 2012 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fruhmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Stefan P***** wegen des Vergehens der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 19 Hv 120/10b des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag des Stefan P***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil vom 30. Juni 2010, AZ 11 Bs 42/10z, gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht einer Berufung des Stefan P***** wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe und wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 4. Juni 2008, GZ 17 Hv 67/07i-15, mit welchem er des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, nicht Folge und setzte in Stattgebung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe die Anzahl der Tagessätze herab.

Diese Urteile wurden in Stattgebung eines Antrags des Stefan P***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 29. Juni 2011, AZ 15 Os 81/11t, aufgehoben und die Sache zur Durchführung des erneuerten Verfahrens an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Am 25. Oktober 2010 brachte die Staatsanwaltschaft im Verfahren AZ 19 Hv 120/10b des Landesgerichts Klagenfurt einen Strafantrag gegen Stefan P***** wegen eines als Vergehen der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs 1 StGB subsumierten Sachverhalts ein (ON 30). Am 9. März 2011 dehnte der Einzelrichter auf Antrag der Staatsanwältin im Sinn des § 263 Abs 1 (§ 488 Abs 1) StPO „die Verhandlung und das Urteil“ auf einen von der Staatsanwaltschaft dem Vergehen der Begünstigung nach § 299 Abs 1 StGB subsumierten Sachverhalt aus (ON 38 S 10 f).

Nach Vertagung der Hauptverhandlung „zum Zwecke der Durchführung der Diversion“ teilte der Einzelrichter dem Angeklagten am 15. März 2011 mit, dass das gegen ihn geführte Strafverfahren nach Bezahlung eines Geldbetrags von 38.000 Euro eingestellt werde (§ 200 Abs 4 iVm § 199 StPO; ON 40). Mit Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 14. April 2011, GZ 19 Hv 120/10b 44, wurde ihm die Bezahlung des Betrags in Teilbeträgen bewilligt.

Mit Antrag vom 25. August 2011 begehrte Stefan P*****, gestützt auf § 208 Abs 2 StPO im Hinblick auf die Aufhebung seiner Verurteilung wegen Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB niedrigere Bemessung des nach § 200 StPO festgesetzten Geldbetrags (ON 46).

Diesen Antrag wies das Landesgericht Klagenfurt mit Beschluss vom 12. September 2011, GZ 19 Hv 120/10b 48, mit der Begründung ab, dass die Verurteilung ohnehin unberücksichtigt geblieben sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichteten argumentativ das Antragsvorbringen wiederholenden Beschwerde des Stefan P***** gab das Oberlandesgericht Graz als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 2. Februar 2012, AZ 10 Bs 404/11d (ON 51), mangels Hinweisen für eine „schuldsteigernde Berücksichtigung“ der ehemaligen Verurteilung nicht Folge.

Mit Beschluss vom 30. April 2012, GZ 19 Hv 120/10b 55, stellte das Landesgericht Klagenfurt das Strafverfahren gegen Stefan P***** gemäß § 199 StPO iVm § 200 Abs 5 StPO ein.

Der auf die Weigerung von Landesgericht Klagenfurt und Oberlandesgericht Graz, dem nach § 208 Abs 2 StPO gestellten Begehren zu entsprechen, bezogene Erneuerungsantrag behauptet einen unzulässigen Eingriff in von Art 1 ZPMRK geschützte „vermögensrechtliche Positionen“, weil beide Beschlüsse davon ausgegangen seien, dass das zu 15 Os 81/11t aufgehobene Strafurteil bei der Erstellung des Diversionsvorschlags nicht berücksichtigt worden war. Vom Erneuerungswerber angeführte Indizien sprächen für das Gegenteil. Von seiner eigenen Sachverhaltsannahme ausgehend, reklamiert der Erneuerungswerber in rechtlicher Hinsicht unangemessenen Ermessensgebrauch, weil der vorgeschlagene Geldbetrag dann „deutlich niedriger zu bemessen gewesen“ wäre.

Weshalb beweiswürdigenden Überlegungen eines Erneuerungswerbers widerstreitende gerichtliche Sachverhaltsannahmen (zur vorgeschlagenen Höhe eines Geldbetrags, gegen dessen Entrichtung die Einstellung eines Strafverfahrens in Aussicht gestellt wurde) Art 1 ZPMRK widersprechen sollten, macht der Erneuerungswerber nicht klar; nicht einmal, weshalb auf der Grundlage seiner eigenen Sachverhaltsannahmen von Art 1 ZPMRK garantierter Eigentumsschutz vom Diversionsvorschlag berührt, geschweige denn verletzt worden sein könnte.

Prozessförmiges Aufzeigen von Rechtsfehlern als Grund für Erneuerung des Strafverfahrens bedarf methodengerechter (das heißt, nach Maßgabe juristisch geordneter Gedankenführung zumindest vertretbarer, wenngleich nicht notwendigerweise zutreffender) Ableitung der aufgestellten Rechtsbehauptung aus der reklamierten Grundrechtsverheißung. Es gilt nichts anderes als für prozessförmige Darstellung einer Rechts oder Subsumtionsrüge (dazu grundlegend: 13 Os 151/03, SSt 2003/98 = JBl 2004, 531 [ Burgstaller ]; zuletzt eingehend: Ratz , Mit dem OGH in Strafsachen ins Gespräch kommen RZ 2012, 158 [161 164]). Ohne nachvollziehbaren Bezug zum reklamierten Grundrecht fehlt es an der prozessualen Möglichkeit, dessen Verletzung festzustellen, weil amtswegiges Vorgehen des Obersten Gerichtshofs vom Gesetz nicht vorgesehen ist (vgl demgegenüber §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 362 Abs 1 Z 1 StPO).

Der Antragsteller jedoch missachtet die für sinnvolle Kommunikation geltenden mit Blick auf die von § 363b Abs 1 Z 1 StPO verlangte Verteidigerunterschrift ohne Überforderung zu rechtfertigenden Mindestanforderungen an eine Antragsbegründung (RIS Justiz RS0124359; „auf einem für ein Höchstgericht angemessenen Argumentationsniveau“; vgl dazu auch Kier in WK² GRBG § 3 Rz 13 ff, insb 15).

Nach § 363a StPO anstelle des EGMR (also nicht aufgrund eines seiner Erkenntnisse) angerufen, wendet der Oberste Gerichtshof neben denjenigen des II. Abschnitts des 16. Hauptstücks der StPO die für jenen geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art 35 MRK an, zielt doch der Antrag darauf ab, unter Vorwegnahme der (von der konditionalen Einleitung in § 363a Abs 1 StPO angesprochenen) meritorischen (eine Grundrechtsverletzung bejahenden) Entscheidung dieses Gerichtshofs gleich deren Umsetzung zu verlangen (vgl Art 46 Abs 1 MRK). Da der EGMR eine Grundrechtsverletzung nur feststellen kann, wenn die Beschwerde den Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art 35 MRK entspricht, sind diese von den Besonderheiten überstaatlicher Beschwerdeführung und der Erweiterung des Rechtsbehelfs auf sämtliche in Österreich garantierten Grund und Menschenrechte abgesehen auch gegenüber dem Obersten Gerichtshof maßgeblich.

Der unter bloß scheinbarer Berufung auf ein Grundrecht gestellte Antrag ist daher in sinngemäßer Anwendung des Art 35 Abs 3 MRK unzulässig. Unzulässige Anträge können nach § 363b Abs 2 StPO zurückgewiesen werden. Insoweit ist § 363b Abs 2 StPO unter dem Aspekt der von 13 Os 135/06m erstmals ausgesprochenen (seither von der ständigen Rechtsprechung bestätigten) analogen Erweiterung des § 363a Abs 1 StPO planwidrig lückenhaft (vgl Art 35 Abs 4 MRK).

Der Oberste Gerichtshof hat wie zur Information des Antragstellers angeführt sei jüngst zur Rechtsnatur von Diversionsvorschlägen klargestellt, dass der Beschuldigte (§ 48 Abs 2 StPO) zwar ein von §§ 198 f StPO garantiertes (subjektives) Recht auf ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO, nicht aber auf eine bestimmte Art diversioneller Erledigung hat (12 Os 84/12p). Davon ausgehend sind nach § 208 Abs 2 StPO gestellte Anträge als bloße Anregungen für amtswegiges Vorgehen einzustufen.

Rechtssätze
6
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.