JudikaturJustiz15Os98/20f

15Os98/20f – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. November 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. November 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen N***** T***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 3. Juli 2020, GZ 605 Hv 2/20i 69, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde N***** T***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (I./) und des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 18. Oktober 2012 in W***** den Taxilenker Dr. E***** S*****

I./ mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe, und zwar eines Keramikmessers mit ca 20 cm Klingenlänge, fremde bewegliche Sachen, nämlich das gesamte im Taxi befindliche Bargeld, mit dem Vorsatz abzunötigen versucht (§ 15 StGB), sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er Dr. S***** während der Fahrt das Keramikmesser vor den Hals hielt, erklärte, dass es sich um einen Überfall handle, und die Herausgabe von Bargeld forderte, wobei Dr. S***** sich wehrte, woraufhin er Dr. S***** mit dem Keramikmesser mit voller Kraft drei Stiche in den Brustbereich und zwei Stiche in den rechten Oberbauch versetzte, sowie Schnittverletzungen am Bauch und an beiden Händen zufügte und ohne Beute flüchtete;

II./ zu töten versucht (§ 15 StGB), indem er ihm mit einem Keramikmesser mit ca 20 cm Klingenlänge mit voller Kraft drei Stiche in den Brustbereich und zwei Stiche in den rechten Oberbauch versetzte sowie Schnittverletzungen am Bauch und an beiden Händen zufügte.

Die Geschworenen hatten die (anklagekonform) gestellten Hauptfragen 1./ nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB sowie 2./ nach §§ 15, 75 StGB bejaht und demgemäß die für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 1./ und Verneinung der Hauptfrage 2./ gestellte „Eventualfrage“ (vgl aber § 316 StPO; 13 Os 115/18p) nach der Qualifikationsnorm des § 143 Abs 2 erster Fall StGB unbeantwortet gelassen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil wendet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6 und Z 8 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert das Unterbleiben „einer“ Zusatzfrage nach dem Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB).

Die gesetzmäßige Ausführung einer Fragenrüge erfordert die deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragestellung und des sie in der Hauptverhandlung indizierenden Tatsachensubstrat samt Angabe der Fundstellen in umfangreichen Akten (RIS Justiz RS0119417).

Nach den im Wahrspruch der Geschworenen zu den Hauptfragen festgestellten entscheidenden Tatsachen versetzte T***** dem (sich wehrenden) Opfer mit einem Keramikmesser mit ca 20 cm Klingenlänge mit (zumindest bedingtem) Raub- und Tötungsvorsatz ua mit voller Kraft drei Stiche in den Brustbereich und zwei Stiche in den rechten Oberbauch.

Der – einen Tötungsvorsatz leugnende –Angeklagte sagte ua aus (ON 68 S 8, 10, 13 f), er sei vom Opfer beim Versuch, die Hand wegzuziehen, (weiter) gehalten worden, er habe die (nach dem gerichtsmedizinischen Gutachten [ON 57 S 7; ON 68 S 21, 23, 26 f] durch Eröffnung der Brusthöhle, Durchsetzung des Zwerchfells und Beschädigung des rechten Leberlappens lebensgefährliche und schwere) Verletzung des Opfers gesehen, sich „geschreckt“ und sei ohne Beute und „weitere Verletzung“ des bereits am Boden liegenden Opfers weggelaufen.

Diese von der Beschwerde ins Treffen geführte Verantwortung bildet vor dem Hintergrund der wiederholten und wuchtigen Stichführung gegen den Brustbereich und den Oberbauch des Dr. S***** kein ernst zu nehmendes Indiz dafür, der Angeklagte sei im Zeitpunkt des Ablassens von seinem Opfer von der Annahme geleitet gewesen, dass es zur Realisierung des nach § 75 StGB tatbestandsmäßigen Erfolgs noch weiterer Aggressionsakte bedurft hätte, der Mordversuch sohin noch nicht beendet gewesen wäre (vgl jeweils mwN 15 Os 44/18m; 15 Os 39/17z; 15 Os 78/13d; 13 Os 6/19k; 11 Os 86/09w; zum fehlgeschlagenen oder misslungenen Versuch vgl Hager/Massauer in WK 2 §§ 15, 16 Rz 157 ff, 163).

Das Vorliegen von allfälligen Indizien für eine (die Hauptfrage 2./ betreffende) gelungene Erfolgsabwendung im Sinn eines contrarius actus durch den Angeklagten oder auch nur ein ernstliches Bemühen des Genannten um eine solche wird von der Beschwerde nicht einmal behauptet (vgl aber Hager/Massauer in WK 2 §§ 15, 16 Rz 164, 168, 173, 178). Bemerkt sei im Übrigen, dass der Tod nur durch die rasche Hilfeleistung zufällig vorbeigekommener Dritter abgewendet werden konnte (ON 68 S 17, 20, 23, 26).

Hinsichtlich des (eintätig verwirklichten) Raubgeschehens wiederum legt die Rüge kein Tatsachensubstrat dar, demgemäß die Tatausführung freiwillig, also aus autonomen Motiven im Sinn einer inneren Umkehr erfolgt wäre (vgl Hager/Massauer in WK 2 §§ 15, 16 Rz 127 ff, 142). Ein ernst zu nehmendes Indiz dahin, der Angeklagte habe trotz der festgestellten (von ihm selbst geschilderten) Gegenwehr des Opfers von der Geldforderung Abstand genommen, obwohl er sie erfolgversprechend hätte durchsetzen können, ist seiner Verantwortung (ON 68 S 8, 10, 14 f) nämlich nicht zu entnehmen.

Mit der Behauptung, die Tat sei mit dem Tatort „W*****“ und der Umschreibung der Tatwaffe als „Keramikmesser mit ca 20 cm Klingenlänge“ nicht hinreichend individualisiert und konkretisiert worden , macht die Beschwerde nicht klar, aus welchem Grund die in der Frage enthaltene Sachverhaltsschilderung zur Abgrenzung der zu beurteilenden Tat von anderen Sachverhalten ( zwecks Vermeidung einer wiederholten Strafverfolgung) und zur rechtsrichtigen Subsumtion sowie deren Überprüfbarkeit nicht ausreichen und weshalb es unter dem Aspekt des § 312 Abs 1 StPO einer weiteren Spezifizierung des Tatorts bedürfen sollte (vgl dazu Lässig , WK StPO § 312 Rz 9, 17 ff; RIS Justiz RS0100686, RS0100780). Indem der Nichtigkeitswerber bestreitet, dass die tatsächlich zum Einsatz gelangte Tatwaffe die in der Frage angeführte Klingenlänge aufgewiesen habe, zeigt er jedenfalls keinen Mangel an Konkretisierung der gerügten Fragen auf.

Das Vorbringen (Z 6) zielt der Sache nach insoweit bloß auf eine Bekämpfung der Beweiswürdigung durch die Geschworenen ab.

Die Behauptung der Instruktionsrüge (Z 8), es „könne“ von der Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung zum bedingten Vorsatz „ausgegangen“ werden, erschöpft sich mit Blick auf die nach der Aktenlage den Geschworenen erteilte Instruktion (Beilage B./ zum Hauptverhandlungsprotokoll S 4 ff, S 15, 17 ff, 28) in einer reinen Spekulation des Beschwerdeführers (vgl aber RIS Justiz RS0119549, RS0119071), der dazu nur anführt, die Rechtsbelehrung sei anlässlich der „am 28. August 2020 durchgeführten Akteneinsicht“ nicht aufzufinden gewesen.

Wodurch der durch einen Verteidiger vertretene Angeklagte – unter dem Aspekt einer im Rechtsmittel angesprochenen „effektiven Verteidigung“ – daran gehindert gewesen wäre, beim Erstgericht die Akteneinsicht (auch) in die erteilte Rechtsbelehrung (die sich in einem braunen Umschlag für Beilagen und Beratungsprotokolle bei den Akten befindet) einzufordern (§§ 51, 53, 57 StPO), lässt die Beschwerde offen.

Da die Rechtsbelehrung nur insoweit angefochten werden kann, als sie Fragen betrifft, die tatsächlich an die Geschworenen gestellt wurden (RIS Justiz RS0101091), geht die abschließende Kritik (Z 8) am Unterbleiben einer Instruktion betreffend Rücktritt vom Versuch (§ 16 StGB) von vornherein ins Leere.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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