JudikaturJustiz15Os60/07y

15Os60/07y – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. August 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. August 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Günther Z***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgerichtes Linz vom 1. März 2007, GZ 26 Hv 8/07g-50, nach Anhörung der Generalprokurator in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, es werden der Wahrspruch der Geschworenen, der im Übrigen unberührt bleibt, zur Zusatzfrage 4, demzufolge das auf den Wahrspruch gegründete Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A./ wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und im Strafausspruch (einschließlich der Aussprüche nach § 21 Abs 2 StGB und § 38 Abs 1 Z 1 StGB) sowie im Privatbeteiligtenzuspruch an Karin P***** aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Linz verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Günther Z***** des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (A./) sowie des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er - soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz - (zu A./) am 24. August 2006 in Linz Karin P***** dadurch, dass er mit einem Springmesser (Klingenlänge ca 8 cm) in zumindest sechs Angriffen im Bauch-, linken Unterarm- und Rückenbereich auf sie einstach, vorsätzlich zu töten versucht. Die Geschworenen haben die Hauptfrage 1 nach dem Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15 , 75 StGB bejaht und die Zusatzfragen 2 (nach Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB) sowie 4 (nach Rücktritt vom Versuch gemäß § 16 Abs 1 StGB) verneint. Demzufolge blieben die Eventualfragen 3 (§ 287 Abs 1 StGB in Beziehung auf §§ 15, 75 StGB), 5 (§ 87 Abs 1 StGB), 7 (§ 287 Abs 1 StGB in Beziehung auf § 87 Abs 1 StGB), 8 (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und 2 Z 1 StGB) sowie 10 (§ 287 Abs 1 StGB in Beziehung auf §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und 2 Z 1 StGB), weiters auch die Zusatzfragen 6 und 9 (jeweils § 11 StGB in Beziehung auf § 87 Abs 1 StGB bzw §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und 2 Z 1 StGB) unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das Urteil (inhaltlich nur gegen den Schuldspruch wegen versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB) richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 6, 8 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie ist teilweise im Recht.

Die Verfahrensrüge nach § 345 Abs 1 Z 4 StPO behauptet einen nichtigkeitsbegründenden Verstoß gegen § 152 Abs 1 Z 2, Abs 5 StPO. Der Zeugin Karin P***** sei in der Hauptverhandlung ein Entschlagungsrecht zugestanden, über das sie jedoch nicht belehrt worden sei und auf welches sie nicht ausdrücklich verzichtet habe. Sie sei im Tatzeitpunkt Lebensgefährtin des Angeklagten gewesen, wenngleich die Lebensgemeinschaft zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung bereits beendet gewesen sei.

§ 152 Abs 1 Z 2 StPO stellt nach seinem klaren Wortlaut und Sinn auf die Angehörigeneigenschaft im Zeitpunkt der Vernehmung ab. Dabei wird der Angehörigenbegriff des § 72 StGB durch entsprechenden Verweis übernommen und um die Fälle einer Angehörigeneigenschaft aus früherer Ehe erweitert. Demnach ist zwar die geschiedene Ehegattin des Angeklagten zur Aussageverweigerung berechtigt, nicht aber die frühere Lebensgefährtin (Kirchbacher, WK-StPO § 152 Rz 22; Fabrizy StPO9 § 152 Rz 9; 15 Os 69/06w).

Soweit die Beschwerde unter diesem Nichtigkeitsgrund die Verlesung der Angaben der genannten Zeugin vor der Polizei (s dazu aber Ratz, WK-StPO § 281 Rz 183) und dem Untersuchungsrichter rügt, weil sie bei diesen Vernehmungen nicht über ihr Entschlagungsrecht als Lebensgefährtin belehrt worden sei und nicht darauf verzichtet habe, übersieht sie, dass es für die Verlesungszulässigkeit nicht relevant ist, ob der Inhalt des Schriftstückes rechtens zustande gekommen ist. Die Verlesung nichtiger Akte des Vorverfahrens wird durch § 252 Abs 1 StPO nicht verboten, ist aber aus § 345 Abs 1 Z 3 StPO beachtlich, für welchen Nichtigkeitsgrund jedoch das Erfordernis rechtzeitiger Rüge gilt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 239). Eine Verwahrung des Beschwerdeführers gegen die Verlesung lag aber hier nicht vor, vielmehr erfolgte diese sogar parteieneinverständlich (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO).

Die Fragenrüge (Z 6) bemängelt die Unterlassung der Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des versuchten Totschlags gemäß §§ 15, 76 StGB und einer Zusatzfrage hiezu nach Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB). Eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung iSd § 76 StGB sei gegeben gewesen, weil Karin P***** nach der Verantwortung des Angeklagten - den Reifen seines Fahrrads (welches sein „Heiligtum" gewesen sei) zerstochen und ihn beschimpft habe, weiters weil der Angeklagte rund drei Promille Alkohol im Blut hatte und an einem Borderline-Syndrom litt.

Dabei orientiert sich die Beschwerde nicht an der Verantwortung des Angeklagten in ihrer Gesamtheit - weil dieser sich nämlich in der Hauptverhandlung dahin verantwortet hat, dass die Tat nicht passiert wäre, wenn er „nur weniger getrunken hätte" (S 10/II), und dass er „im Rausch" zugestochen habe (S 11/II) - und legt nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar, warum ein Alkoholmissbrauch im dargestellten Ausmaß - entgegen Rechtsprechung und Lehre (vgl dazu Moos in WK2 § 76 Rz 39) - als Grund für die allgemeine Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung heranzuziehen sei.

Im Übrigen war aufgrund der in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen eine Fragestellung in Richtung §§ 15, 76 StGB nicht indiziert, darf doch die Ursache der Gemütsbewegung ebenso wenig in einem psychisch abnormen Persönlichkeitsbild, sondern lediglich in äußeren Umständen zu suchen sein (Fabrizy StGB9 § 76 Rz 2), und sind die dargestellten Handlungen des Tatopfers allein nicht geeignet, einen rechtstreuen Durchschnittsmenschen in eine solche Gemütsverfassung kommen zu lassen, in die selbst der Angeklagte - nach eigener Darstellung - nur durch die aggravierende Wirkung seines enormen Alkoholkonsums kam.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) vermag mit den bloßen Behauptungen, mit der Klingenlänge des Tatwerkzeugs von 8 cm sei in der Regel nicht Lebensgefahr verbunden, sowie dem Akteninhalt sei „doch mehr oder weniger deutlich zu entnehmen", dass sich der Angeklagte in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung befunden habe, keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 1 festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken. Soweit die Tatsachenrüge auf die Verneinung der Zusatzfrage 4 Bezug nimmt, wird sie auf das Ergebnis der anschließenden Ausführungen verwiesen.

Denn die Instruktionsrüge (Z 8) ist soweit im Recht, als sie die Belehrung zum Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch (S 16 der Instruktion) als irreführend unvollständig kritisiert. Die Flucht des Opfers beim unbeendeten Versuch schließt nämlich die Freiwilligkeit des Rücktritts vom Versuch nicht unter allen Umständen aus, vielmehr nur dann, wenn sich der Täter durch diese Flucht zur Aufgabe seines deliktischen Unternehmens bestimmen lässt (RIS-Justiz RS0089870).

Weil ein Einfluss dieses Instruktionsfehlers auf die Entscheidung der Geschworenen im konkreten Fall nach der Aktenlage nicht ausgeschlossen werden kann (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 62; vgl S 103/II), waren daher der Wahrspruch der Geschworenen (der hinsichtlich der Hauptfragen 1, 11 und 12, der Zusatzfrage 2 und der Eventualfrage 3 unberührt bleibt) zur Zusatzfrage 4 (mit Auswirkung auch für die gegebenenfalls zu beantwortenden Eventualfragen 5, 7, 8 und 10 sowie die Zusatzfragen 6 und 9), weiters das auf den Wahrspruch gegründete Urteil, das im Schuldspruch B./ wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB und im Teilfreispruch unberührt bleibt, im Schuldspruch A./ wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und im Strafausspruch (einschließlich der Aussprüche nach § 21 Abs 2 StGB und § 38 Abs 1 Z 1 StGB) sowie im Privatbeteiligtenzuspruch aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Linz zu verweisen (§§ 285e, 344 StPO). Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde, die zum Schuldspruch B./ ohne jegliches inhaltliches Vorbringen die Urteilsaufhebung beantragt, zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), und es waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungen auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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