JudikaturJustiz15Os59/23z

15Os59/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Sekljic in der Strafsache gegen * W* und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten W* und * U* gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Geschworenengericht vom 8. März 2023, GZ 12 Hv 7/21i 466, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden * W* und * U* im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten 15 Os 37/22p) – unter Einbeziehung des bereits rechtskräftigen Teils des im ersten Rechtsgang ergangenen Urteils – jeweils des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall, 15 StGB, U* als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach haben W* und U* die den im ersten Rechtsgang in Teilrechtskraft erwachsenen Schuldsprüchen III./A./ bis C./ (W*) und III./A./ und B./ (U*) zugrunde liegenden Taten jeweils in der Absicht begangen, sich durch die wiederkehrende Begehung von Betrugshandlungen eine längere Zeit von zumindest mehreren Wochen hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, das nach einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung monatlich den Betrag von 400 Euro übersteigt, wobei sie jeweils bereits zwei solche Taten begangen hatten (§ 70 Abs 1 und Abs 2 Z 3 StGB).

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die auf § 345 Abs 1 Z 1, 5, 6 und 11 lit a StPO gestützten, inhaltsgleich ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten W* und U*, denen keine Berechtigung zukommt.

[4] Vorausgeschickt sei, dass der Verfassungsgerichtshof den auf Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B VG gestützten Parteiantrag der Angeklagten, §§ 11, 31 Abs 2, 32 StPO sowie einzelne Wortfolgen in § 31 Abs 3 erster Satz und Abs 4 erster Satz StPO, in § 32a Abs 2 erster Satz StPO, in § 33 Abs 1 Z 2 StPO, in § 34 Abs 1 Z 1 StPO, in § 40 Abs 1 erster Satz StPO, in § 40 Abs 2 letzter Satz StPO, in § 46 erster Satz StPO und in § 47a Abs 2 letzter Satz StPO als verfassungswidrig aufzuheben, zurückwies (VfGH 21. 9. 2023, G 188/2023 20).

[5] Der Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 1 StPO liegt vor, wenn der Schwurgerichtshof oder die Geschworenenbank nicht gehörig besetzt war, wenn nicht alle Richter und Geschworenen der ganzen Verhandlung beigewohnt haben oder wenn sich ein ausgeschlossener Richter oder Geschworener (§§ 43 und 46 StPO) an der Verhandlung beteiligt hat.

[6] Der (auch zum Gegenstand des Antrags an den Verfassungsgerichtshof) im Rahmen der Besetzungsrüge (Z 1) erhobene Einwand, die Geschworenenbank sei nicht geschlechterparitätisch, sondern mit zwei Frauen und sechs Männern, solcherart mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz nicht gehörig besetzt gewesen, scheitert bereits daran, dass der nunmehr relevierte Sachverhalt in der Hauptverhandlung nicht gerügt wurde (§ 345 Abs 2 StPO; RIS Justiz RS0097452). Auch in der Beschwerde wurde nicht dargelegt, welche Gründe der rechtzeitigen Rüge im Weg gestanden sein sollen (RIS Justiz RS0119225).

[7] Im Übrigen sieht das Gesetz für die Durchführung der Hauptverhandlung wegen der hier in Rede stehenden Delikte (vgl dagegen § 32 Abs 2 StPO) weder im Geschworenen- und Schöffengesetz 1990 (GSchG) noch in der Strafprozessordnung eine besondere Regelung über eine nach geschlechterspezifischen Kriterien vorzunehmende Zusammensetzung der Geschworenenbank vor (siehe jüngst 12 Os 30/23p Rz 5).

[8] Die weitere Besetzungsrüge (Z 1) zieht unter Bezugnahme auf eine eidesstättige Erklärung des A* O* die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit der Geschworenen E* O* mit dem Hinweis auf deren angebliche Reaktion (Verweis des O* aus der ehelichen Wohnung) aufgrund der Beteiligung ihres Ehemanns und ihrer Söhne an einem Unternehmen, an dem auch die Angeklagten beteiligt waren einerseits, sowie deren Bemerkungen nach Fällung des Urteils, wonach W* ein Betrüger sei, sie schon vor der Hauptverhandlung über die Aktivitäten von W* und U* Bescheid gewusst hätte und froh sei, dass diese durch ihre Mitwirkung verurteilt worden seien, andererseits in Zweifel.

[9] Ausgeschlossenheit im Sinn des hier angesprochenen § 43 Abs 1 Z 3 StPO liegt vor, wenn aufgrund des äußeren Anscheins der objektiv gerechtfertigte Eindruck entsteht, dass unsachliche Motive eine unparteiliche Entscheidungsfindung hemmen ( Lässig , WK StPO § 43 Rz 9 f mwN).

[10] Dass die Geschworene O* über die strafrechtlich relevanten Aktivitäten der Angeklagten schon vor der Hauptverhandlung Bescheid gewusst habe, ist der eidesstattlichen Erklärung des A* O* (ON 479 S 5) nicht zu entnehmen. Deren weiteren Aussagen gegenüber ihrem Ehemann am 19. April 2023, somit nach der Urteilsfällung und damit zeitlich nach dem Abschluss des Verfahrens erster Instanz gesetzte Verhaltensweisen lassen – selbst im Fall des Anscheins mangelnder Unvoreingenommenheit – bloß Rückschlüsse auf ihre innere Überzeugung nach diesem, nicht mehr entscheidungsrelevanten, Zeitpunkt zu. Schlussfolgerungen für die Zeit während der Hauptverhandlung bleiben dagegen rein spekulativ (RIS Justiz RS0116659). Die von den Beschwerdeführern kritisierte Reaktion der Geschworenen auf eine gemeinsame Unternehmensbeteiligung der Angeklagten und ihrer Familienangehörigen erfolgte nach dem Inhalt der eidesstattlichen Erklärung (ON 479 S 5) ebenfalls erst nach der Urteilsfällung.

[11] Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider wurden die Angeklagten durch die Abweisung ihrer in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge in ihren Verteidigungsrechten nicht verletzt.

[12] Die Anträge auf Heranziehung eines Buchsachverständigen zur Überprüfung des Rechnungswesens und des Belegmaterials des Vereins „E*“ (ON 456 S 56) und auf Vernehmung des D*, letzteren zum Beweis dafür, dass ein von der Staatsanwaltschaft beantragter Zeuge in einem anderen Verfahren aus Hass und Eifersucht auf den Angeklagten W* „Unwahrheiten in die Welt setzte“ (ON 465 S 55), sprachen keine schuld- oder subsumtionserhebliche Tatsache an (RIS Justiz RS0116503). Die Rüge verkennt nämlich, dass über das objektive Betrugsgeschehen bereits rechtskräftig im ersten Rechtsgang (ON 415 iVm ON 440) abgesprochen wurde. Da eine Aussage zum inneren Wissen und Wollen der Angeklagten in der Regel nur von diesen selbst getätigt werden kann (RIS Justiz RS0097540 [T17]), hätte es eines Antragsvorbringens bedurft, inwieweit die begehrten Beweisaufnahmen geeignet gewesen wären, zur Klärung der – im zweiten Rechtsgang nur noch offenen – Frage eines gewerbsmäßigen Handelns der Angeklagten (§ 148 erster Fall StGB) beizutragen. Die beantragten Beweisaufnahmen zielten jedoch nur darauf ab, jene Umstände in Frage zu stellen, die zufolge Teilrechtskraft des Urteils vom 16. Juni 2021 (ON 415) nicht mehr Verfahrensgegenstand des zweiten Rechtsgangs waren.

[13] Das in der Rechtsmittelschrift zur Fundierung der Anträge nachträglich erstattete Vorbringen unterliegt dem sich aus dem Wesen dieses Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbot und ist somit unbeachtlich (RIS Justiz RS0099618 [T23]).

[14] Ein Antrag auf Vernehmung des Zeugen * S* wurde dem Vorbringen der weiteren Verfahrensrüge zuwider in der Hauptverhandlung gar nicht gestellt (ON 465 S 54; siehe aber RIS Justiz RS0099244 [T1]).

[15] Die im Rechtsmittel kritisierte Begründung der ablehnenden Entscheidung des Erstgerichts ist im Rahmen der Prüfung des relevierten Nichtigkeitsgrundes nicht maßgeblich (RIS Justiz RS0116749).

[16] Die formal aus Z 6 (der Sache nach auch Z 8) erhobene Kritik, wonach eine Rechtsbelehrung „im Hinblick auf den Straf- bzw. Schuldausschließungsgrund gemäß § 8 StGB (Irrtum über das Vorliegen eines rechtfertigenden Sachverhalts)“ sowie betreffend „die fehlende strafrechtliche Tatbestandsmäßigkeit einer bloß zivilrechtlichen Täuschung (bzw eines zivilrechtlichen Betrugs) nach § 870 ABGB“ unterblieben sei, und die Reklamation einer entsprechenden Zusatzfrage nach § 8 StGB vernachlässigen neuerlich die Teilrechtskraft des im ersten Rechtsgang ergangenen Urteils und damit den Verfahrensgegenstand. Dieser war aufgrund des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 27. Juli 2022, 15 Os 37/22p, auf die Frage der Gewerbsmäßigkeit (§ 148 erster Fall StGB) des Schuldspruchs III./ wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB beschränkt.

[17] Dies lässt auch die Rechtsrüge (Z 11 lit a) außer Acht, der zufolge „einige der den Angeklagten zur Last gelegten Taten … bereits verjährt“ wären. Sie entwickelt diesen sich in einer bloßen Behauptung erschöpfenden Einwand im Übrigen auch nicht methodengerecht unter Vergleich der im Wahrspruch festgestellten Tatsachen mit dem darauf anzuwendenden Gesetz (RIS Justiz RS0101148, RS0101403 ).

[18] Schließlich spricht auch das Vorbringen, wonach die Tatrichter bei der Beurteilung der Frage, ob die Höchstdauer des Ermittlungsverfahrens überschritten wurde, §§ 108 und 108a StPO einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt und solcherart gegen Art 6 MRK verstoßen haben, keine materiell-rechtliche Nichtigkeit an. Im Übrigen hat das Erstgericht den Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB ohnedies in Anschlag gebracht (US 17) und eine dadurch bewirkte Strafreduktion explizit in Rechnung gestellt (RIS Justiz RS0099892 [T8]).

[19] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).

[20] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
7