JudikaturJustiz15Os55/95

15Os55/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. Juni 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 1.Juni 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Stöckelle als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Blaza T***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 18.Oktober 1994, GZ 41 Vr 297/94-79, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde sowie die "Ergänzung zur Nichtigkeitsbeschwerde" werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Blaza T***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (1 a und b) sowie des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 (§ 81 Z 1) StGB (2) schuldig erkannt.

Darnach hat er am 17.Jänner 1994 in S*****

1) seinem Stiefsohn Zjelko C***** und seiner Gattin Nada T***** dadurch, daß er gezielt hochprozentige Natronlauge aus zwei Zahnputzbechern gegen deren Gesichter schüttete und daraufhin Zjelko C***** auch mit Natronlauge aus einer 1-Liter-Plastikflasche übergoß, schwere Körperverletzungen absichtlich zugefügt, wobei die Tat

a) bei Zjelko C***** schwere Dauerfolgen, nämlich den vollständigen Verlust des Sehvermögens, eine Verstümmelung in Form von Schrumpfung und Eintrübung beider Augäpfel, eine auffallende Verunstaltung durch großflächige Narben im gesamten Gesicht und auf der rechten Halsseite sowie die Berufsunfähigkeit;

b) bei Nada T***** zweit- bis drittgradige Laugenverätzungen im Gesicht sowie am Hals, eine Verätzung im Bereich des äußeren Gehörgangs mit Ausbildung einer Nekrose mit Freiliegen des Ohrknorpels und eine laugenbedingte Reizung der Augenbindehäute mit oberflächlicher Hornhautreizung, die eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit zur Folge hatten,

nach sich gezogen hatte sowie

2) seine dreijährige Tochter Sanela T***** mit der bei der oben geschilderten Tat herumspritzenden Natronlauge, mithin unter besonders gefährlichen Verhältnissen, fahrlässig am Körper verletzt, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung mit einer Gesundheitsschädigung von über vierundzwanzig Tagen, nämlich großflächige Verätzungen im Gesicht, am linken Ober- und Unterarm, am rechten Oberarm sowie am Bauch neben dem Nabel zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Diese Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf die Gründe der Z 5 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO gestützt wird.

Vorweg: Der Beschwerdeführer begehrt in seinem Rechtsmittelantrag u. a. der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben, nach § 288 a StPO die Hauptverhandlung zu vernichten und die Sache zur nochmaligen Verhandlung vor das zuständige Gericht erster Instanz zu verweisen. Hiezu ist anzumerken, daß nach der erwähnten Gesetzesbestimmung nur im Falle des Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes des § 281 a StPO (Unzuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz, der die Versetzung in den Anklagestand ausgesprochen hat) der Oberste Gerichtshof die Hauptverhandlung "vernichtet", die Sache an das zuständige Gericht erster Instanz verweist und die nötige Verfahrensverbesserung anordnet. Da im vorliegenden Strafverfahren ein Oberlandesgericht gemäß §§ 214 und 218 StPO nicht tätig war, ist nicht nachvollziehbar, worin der Angeklagte den Nichtigkeitsgrund nach § 281 a StPO erblickt. Auf diesen, ersichtlich auf mangelhafter Akten- oder Gesetzeskenntnis beruhenden Beschwerdeantrag ist daher nicht weiter einzugehen.

In der Mängelrüge (Z 5) behauptet der Beschwerdeführer zunächst das Fehlen jeglicher Begründung für die Feststellung, daß er das Ätznatron dem Lagerbestand der M***** GesmbH entnommen hat. Dabei übersieht er jedoch, daß die Tatrichter diese Konstatierung auf das Vorbringen des Angeklagten vor der Kriminalpolizei (S 21/I) gründeten, wonach er das Ätznatron von seiner Firma mit nach Hause genommen hat (US 18 f). Vom Fehlen jeglicher Begründung in bezug auf die relevierte Feststellung kann daher keine Rede sein.

Sofern der Beschwerdeführer vermeint, die Feststellung: "Offenbar hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits vor, selbst hochprozentige Natronlauge durch Vermischung dieser Substanz mit Wasser herzustellen und die Lauge zu Hause bei der nächstbesten vermeintlichen Provokation auf seinen Stiefsohn und/oder seine Gattin zu schütten" (US 7) stelle eine klassische Scheinbegründung dar, übersieht er, daß die bemängelte Urteilsstelle keine Begründung und demnach auch keine Scheinbegründung darstellt, sondern unmißverständlich eine Konstatierung zur subjektiven Tatseite. Dies abgesehen davon, daß der genaue Zeitpunkt des Tatentschlusses keine für die rechtliche Beurteilung der Tat oder für den anzuwendenden Strafsatz entscheidende Tatsache darstellt.

Die - gleichfalls nicht entscheidungswesentliche - Urteilsannahme, der Angeklagte habe bewußt verabsäumt, seine Gattin am Tattag vom gemeinsamen Arbeitsplatz in seinem PKW nach Hause mitzunehmen ist - dem Beschwerdevorbringen zuwider - weder mangelhaft begründet, noch aktenwidrig.

Das Schöffengericht stützte seine zum Schuldspruch führenden Feststellungen auf die für glaubwürdig erachteten Aussagen der Zeugen Nada T*****, Zjelko C*****, Stoja I*****, Johannes H***** und Petar J*****; den Aussagen der Zeugin Miroslava J***** sowie Darinka und Dragisa P***** schenkte es hingegen keinen Glauben, weil es zur Überzeugung gelangte, diese Zeugen wären bemüht, den Sachverhalt in einem für den Beschwerdeführer günstigen Licht zu schildern.

Die Zeugin Nada T***** hat vor der Polizei (S 47/I), vor dem Untersuchungsrichter (S 150/I) und in der Hauptverhandlung (S 437/I) stets gleichlautend ausgesagt, daß der Angeklagte sie am Tattag gewollt nicht im Auto mit nach Hause genommen hat; da die Tatrichter ihre Feststellungen u.a. auf die Aussagen dieser Zeugin stützten und nicht auf die möglicherweise unpräzise festgehaltenen Angaben dieser Zeugin vor dem Sachverständigen Prof.Dr.S***** am 20.Juli 1994, nach welchen der Beschwerdeführer bereits den ganzen Tag böse und sehr schlecht gelaunt gewesen sei, weshalb sie auch von der Arbeit mit dem Bus und nicht mehr dem Auto heimgefahren sei (S 21/II), liegt keine mangelhafte Begründung und schon gar keine Aktenwidrigkeit vor, welche nur dann gegeben ist, wenn im Urteil der - eine entscheidende Tatsache betreffende - Inhalt einer Aussage oder Urkunde unrichtig oder unvollständig wiedergegeben wird (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 5 P 185).

Auch die Konstatierung, daß sich nach der Aussage der Zeugin Stoja I***** die Natronlauge vorher nicht im Bad befunden hatte, ist weder mangelhaft begründet, noch aktenwidrig, findet sie doch im Protokoll über die kontradiktorische Vernehmung dieser Zeugin gemäß § 162 a StPO, insbesondere in der im Anschluß an den in der Nichtigkeitsbeschwerde wiedergegebenen Aussageteil angeführten und mit der übrigen Zeugenaussage im Kontext zu verstehenden Passage:

"Ich habe schon zwei Jahre in der Wohnung gelebt. Mir ist so eine Flüssigkeit noch nie aufgefallen" (S 157 unten/I) ihre Stütze. Das Schöffengericht konnte daraus - in denkmöglicher Folgerung - ableiten, daß die Natronlauge bis zum Tag der Tat nicht im Badezimmer war. Demgemäß ist diese Feststellung auch nicht aktenwidrig (siehe oben).

Die Tatrichter sind ohnedies davon ausgegangen, daß Anlaß für die Tathandlung des Angeklagten eine Auseinandersetzung zwischen ihm und seinem Stiefsohn Zjelko C***** war, bei der der Stiefsohn beleidigende Worte gebrauchte (US 9 f). Einer Feststellung dahin, wie lautstark der Streit war und welchen Wortlaut die Beleidigungen hatten, bedurfte es den Beschwerdeausführungen zuwider - weil entscheidungsunwesentlich - nicht. Sofern aber im Urteil Konstatierungen auf Grund der Verantwortung des Beschwerdeführers vermißt werden, genügt der Hinweis, daß nach der Überzeugung des Schöffengerichtes diese Verantwortung unglaubwürdig ist.

Die Feststellung, daß der Angeklagte sich kurz nach 18 Uhr ins Bad begeben, aus der 1-Liter-Plastikflasche Natronlauge in zwei Zahnputzbecher geleert habe und er, die beiden gefüllten Becher hinter seinem Rücken haltend, ins Wohnzimmer zurückgekehrt sei (US 10), ist gleichfalls nicht aktenwidrig, denn in der Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht aufgezeigt, welche - den Tatrichtern glaubwürdig erscheinenden - Beweisergebnisse in bezug auf die bekämpfte Konstatierung im Urteil unrichtig oder unvollständig wiedergegeben werden. Der Vollständigkeit halber sei jedoch angemerkt, daß die bemängelte Urteilsfeststellung sowohl in der Aussage des Zjelko C***** (S 69/I) als auch in jener der Nada T***** (S 49/I) wie auch in der der Zeugin Stoja I***** (S 156/I) sowie im Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchung von zwei Zahnputzbechern (S 173 ff/I) Deckung findet, worauf das Schöffengericht als die genannten Aussagen stützendes Beweismittel Bezug nahm (US 19).

Nicht entscheidungswesentlich ist, ob der Angeklagte aus einem Aggressionsstau oder aus einer mit Labilität verbundenen Erregbarkeit handelte. Im übrigen geht aus der Aussage der Zeugin Nada T***** hervor, daß der Angeklagte aggressiv ist (S 149/I); daß er die hochprozentige Natronlauge in der Absicht, schwere Verletzungen zuzufügen, auf seine Gattin und seinen Stiefsohn geschüttet hat, wurde vom Erstgericht aus der Begehungsweise, insbesondere mit dem Wissen des Beschwerdeführers um die Wirkung des Ätznatron begründet (US 22). Der Sachverständige Prof.Dr.M***** hat dem Angeklagten keine erhöhte Aggressionsneigung attestiert (S 493/I); eine solche haben die Tatrichter dem Beschwerdeführer aber auch gar nicht angelastet.

Weder unbegründet noch aktenwidrig hinwieder ist die Konstatierung, daß der Angeklagte einen weiteren Angriff (mit der Flasche mit Ätznatron) gegen seinen Stiefsohn unternommen hat (US 10), findet diese Urteilsannahme doch Deckung im ersten Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Polizei (S 21/I). Auch die Zeugin Stoja I***** bestätigte, daß später eine weitere Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und seinem Stiefsohn stattfand (S 156/I).

Für die Unterstellung der Tat unter das Strafgesetz oder die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes ist es abermals völlig unentscheidend, ob die Polizei die beiden Plastikbecher angeblich schon am 17. (wofür sich aber in der in der Nichtigkeitsbeschwerde angeführten, erst am 19. März 1994 verfaßten Bezugsstelle S 295/I kein eindeutiger Hinweis ergibt) oder erst am 28.November 1994 sichergestellt hat; die Nichtigkeitsbeschwerde vermag nicht aufzuzeigen, welche Relevanz diese behauptete Ungereimtheit haben könnte.

Gleiches gilt für den letzten Einwand in der Nichtigkeitsbeschwerde, das Schöffengericht habe die Aussage der Polizeibeamten F***** (S 477/I) und K***** (S 483/I) unerörtert gelassen, ihrer Ansicht nach könnten die in der Wohnung vorgefundenen (großen) Laugenmengen nicht vom Verschütten bloß zweier Zahnputzbecher stammen. Diese Angaben stehen auch den - in der Beschwerde nicht näher bezeichneten - Urteilsfeststellungen keineswegs diametral entgegen, vielmehr decken sie die Konstatierung über einen zweiten mit der Flasche geführten Laugenangriff des Beschwerdeführers gegen seinen Stiefsohn.

Die Prüfung der in der Beweisrüge (Z 5 a) erhobenen Einwände durch den Obersten Gerichtshof ergab, daß damit keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen dargetan werden.

Sofern der Angeklagte sein Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund der Z 5 unsubstantiiert auch unter jenen der Z 5 a geltend macht, ist er auf vorstehende Erwiderungen zur Mängelrüge zu verweisen.

Der Sache nach unternimmt der Beschwerdeführer mit seinem übrigen Vorbringen insgesamt nur den im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Versuch, die Beweiswürdigung der Tatrichter in Zweifel zu ziehen, ohne schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zustande gekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufzuzeigen oder auf aktenkundige Beweisergebnisse hinzuweisen, die gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285 d Abs 1 Z 2 StPO als offenbar unbegründet schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Ihr Schicksal teilt die vom Angeklagten persönlich direkt beim Obersten Gerichtshof eingebrachte "Ergänzung zur Nichtigkeitsbeschwerde", weil das Gesetz nur eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde vorsieht; demnach sind Ergänzungen zu diesem Rechtsmittel unstatthaft (Mayerhofer/Rieder aaO § 285 E 36).

Die Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft fällt gemäß § 285 i StPO in die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz.