JudikaturJustiz15Os53/06t

15Os53/06t – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Juni 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 2006 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann Sch***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 2. März 2006, GZ 407 Hv 3/05h-83, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann Sch***** der Verbrechen (zu A./) des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB, (zu B./) der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und (zu C./) der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien versucht,

A./ am 12. Mai 2005 Natascha I***** zu töten, indem er ihr mit einem Messer einen Stich in die rechte obere Brustkorbseite sowie in den linken Mittelbauchbereich versetzte, wodurch diese eine circa zwei Zentimeter große Stichwunde in der rechten oberen Brustkorbseite sowie eine acht Zentimeter große Stichwunde im linken Mittelbauchbereich, verbunden mit einer Eröffnung der rechten Brusthöhle mit Luftfüllung, erlitt;

B./ am 2. Mai 2005 Elisabeth G***** absichtlich schwer am Körper zu verletzen, indem er ihr eine einen Zentimeter lange und einen Zentimeter tiefe Schnitt- bzw Stichwunde an der rechten Halsseite hinter dem Kopfnickermuskel versetzte;

C./ Personen mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Vornahme oder Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen, und zwar

I./ am 2. Mai 2005 Elisabeth G*****, indem er sie gegen die Hausmauer drängte und zu ihr sagte: „Ich will dich ficken";

II./ am 12. Mai 2005 Natascha I*****, indem er sie an ihren Oberarmen festhielt und zu ihr sagte: „Ich will Sex von Ihnen haben", und ihr das T-Shirt ausziehen wollte;

III./ am 20. Februar 2004 Angelika Sch*****, indem er seinen Körper gegen ihren Rücken presste, versuchte sie zu küssen, ihr den Mantel aufriss, sie zu Boden stieß, ihr mit der Faust ins Gesicht schlug sowie sie an den Haaren zog;

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5 und Z 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl. Die Verfahrensrüge (Z 5) wendet sich gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Einholung des Gutachtens eines eines weiteren Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie zum Beweis dafür, „dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der ihm angelasteten Tatbestände sich im Zustand voller Berauschung befunden hat, sein Verhalten rechtlich nach § 287 StGB zu beurteilen ist bzw er zum Zeitpunkt der Tathandlungen dispositions- und diskretionsunfähig war unter der beträchtlichen Beeinträchtigung durch Alkoholgenuss" (S 505/II).

Der Beschwerde zuwider durfte der Schwurgerichtshof diesen Antrag ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abweisen. Zur Frage, ob der Angeklagte die vorgeworfenen Tathandlungen in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand begangen habe, führte der im Verfahren beigezogene Sachverständige für Psychiatrie und Neurologie Dr. Heinz Pfolz begründet aus, dass aus psychiatrischer Sicht keine Anhaltspunkte für eine volle Berauschung des Angeklagten gegeben waren (S 451/I, 457/II).

Die nachträgliche Beiziehung eines zweiten Sachverständigen kommt (im gegebenen Zusammenhang: nur dann) in Frage, wenn der aufgenommene Befund dunkel, unbestimmt, im Widerspruch mit sich selbst oder mit erhobenen Tatumständen ist (§ 125 StPO) oder wenn sich solche Widersprüche oder Mängel in Bezug auf das Gutachten ergeben oder dieses Schlüsse enthält, die aus den angegebenen Vordersätzen nicht folgerichtig gezogen sind (§ 126 StPO), und ein Verbesserungsversuch durch nochmalige Vernehmung des Sachverständigen erfolglos geblieben ist. Von einem in sich widersprüchlichen Befund ist auszugehen, wenn in diesem von Tatsachen ausgegangen wird, die mit erhobenen Tatumständen im Widerspruch stehen.

Im konkreten Fall hat der Verteidiger in seinem Antrag keine der in §§ 125 f StPO beschriebenen Mängel von Befund oder Gutachten dargetan, sondern lediglich - ohne nähere Begründung, inwieweit das eingeholte Sachverständigengutachten mangelhaft sei - die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen zur genannten Frage beantragt. Die Beschwerde verstößt mit der Nachholung von Gründen für die Antragstellung einerseits gegen das für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses geltende Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117), andererseits bekämpft sie mit der Kritik an der Gutachtensannahme des Fehlens der Kriterien einer vollen Berauschung des Angeklagten der Sache nach bloß in unzulässiger Form die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Dem Beschwerdevorbringen, dem Sachverständigen sei es weder in seiner schriftlichen Gutachtenerstattung noch in seiner mündlichen Erörterung gelungen, den Berauschungszustand des Angeklagten mit seiner psychiatrisch-neurologischen Persönlichkeitsstruktur in Verbindung zu setzen und insgesamt ein schlüssiges Bild des Gemütszustandes des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten darzulegen, zuwider hat der Experte die bekämpfte Annahme im Übrigen mängelfrei darauf gestützt, dass der Angeklagte bei seinen Vernehmungen wie auch bei der Befundaufnahme in der Lage war, detaillierte Angaben zum Ablauf der jeweiligen Tathandlungen, den Örtlichkeiten sowie teilweise zu den Tatzeiträumen zu machen (S 449/I, 457/II). Die Fragenrüge (Z 6) vernachlässigt zu A./ mit dem Begehren nach Stellung einer Eventualfrage in Richtung §§ 15, 87 Abs 1 StGB, dass zur - in Richtung §§ 15, 75 StGB gestellten - Hauptfrage 2 eine Eventualfrage (2) nach (vollendeter) absichtlicher schwerer Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB ohnehin gestellt worden ist und legt nicht dar, warum ungeachtet des unstrittig eingetretenen schweren Verletzungserfolgs ein bloßer Versuch dieses Verbrechens indiziert gewesen sei.

Zu C./I./ reklamiert die Beschwerde ebenfalls eine Eventualfrage in Richtung §§ 15, 87 Abs 1 StGB zur - in Richtung §§ 15, 201 Abs 1 StGB gestellten - Hauptfrage 4, vernachlässigt dabei jedoch, dass eine solche bereits wegen derselben Tat (vgl Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28 - 31 Rz 11 ff) zur Hauptfrage 1 gestellt (und von den Geschworenen bejaht) worden ist (vgl Eventualfrage 1).

Gesagtes gilt auch für die Fragenrüge zu C./II./, die zur Hauptfrage 5 (§§ 15, 201 Abs 1 StGB) eine Eventualfrage in Richtung §§ 15, 87 Abs 1 StGB reklamiert. Die Beschwerde übersieht, dass mit der Eventualfrage 2 die Frage nach absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 87 Abs 1 StGB zur Hauptfrage 2 (§§ 15, 75 StGB) wegen derselben Tat ohnehin gestellt wurde und legt erneut nicht dar, warum ungeachtet des schweren Verletzungserfolgs ein bloßer Versuch dieses Verbrechens indiziert gewesen sei. Schließlich reklamiert die Beschwerde auch zu C./III./ eine Eventualfrage nach versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß §§ 15, 87 Abs 1 StGB zur Hauptfrage 6 (§§ 15, 201 Abs 1 StGB), weil sich aus dem Beweisverfahren Anhaltspunkte dafür ergäben hätten, dass der Angeklagte mit Verletzungsvorsatz, nicht aber mit Vergewaltigungsvorsatz gehandelt habe. Sie stützt sich dabei aber nicht auf in der Hauptverhandlung vorgebrachte Tatsachen, die allein Grundlage für die Stellung einer Eventualfrage nach § 314 Abs 1 StPO sein können, sondern auf folgende Angaben der Zeugin Sch***** bei ihrer polizeilichen Vernehmung: „Ich bin mir nicht sicher, ob der Mann wirklich auf eine Vergewaltigung im herkömmlichen Sinn aus war. Viel mehr hatte ich das Gefühl, dass es ihm Lust bereitet, eine Frau zu schlagen bzw einer Frau das Gesicht zu verunstalten und Haare auszureissen" (S 175/II). Gegenstand einer Zeugenaussage ist aber nur ein Bericht über Tatsachen, die der Vergangenheit angehören. Subjektive Meinungen, Ansichten, Wertungen, Schlussfolgerungen, rechtliche Beurteilungen und ähnliche intellektuelle Vorgänge können hingegen grundsätzlich nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 435; RIS-Justiz RS0097540), vielmehr sind sie unbeachtlich. Die reklamierte Aussage der Zeugin stellt keine Tatsachenwahrnehmung sondern nur ihre subjektive Meinung dar, die kein für die Stellung einer Eventualfrage geeignetes Verfahrensergebnis sein kann.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1, 344 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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