JudikaturJustiz15Os32/07f

15Os32/07f – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. März 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. März 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Brandstetter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerhard S***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 und Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 36 Ur 91/06h des Landesgerichtes Leoben, über die Grundrechtsbeschwerden des Attila K***** und des Peter Ko***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Beschwerdegericht vom 6. Februar 2007, AZ 11 Bs 36/07p, 37/07k (ON 392 des Strafaktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Attila K***** und Peter Ko***** wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerden werden abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschlüssen des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes Leoben vom 17. Jänner 2007, GZ 36 Ur 91/06h-347 und 349, wurde jeweils nach Durchführung einer Haftverhandlung die am 6. Oktober 2006 über die beiden Beschuldigten Attila K***** und Peter Ko***** verhängte (ON 144 und 146) und mehrmals verlängerte (ON 166, 168, 227 und 229) Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Fluchtgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 StPO und der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO fortgesetzt.

Laut angefochtenem Beschluss sind die beiden Beschuldigten dringend verdächtig,

I. an nicht näher bekannten Grenzübertrittstellen nachgenannte, zuvor im Ausland lebende Ausländerinnen mit dem Vorsatz, dass sie in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, der Prostitution nachgehen, unter Ausnützung ihres Irrtums über dieses - durch die Vorgabe, der Transport erfolge zur Ermöglichung der Aufnahme einer Beschäftigung als Tänzerin verschleierte - Vorhaben in einen anderen Staat, nämlich von Ungarn nach Österreich befördert zu haben, und zwar

1. im April 2006 die ungarische Staatsangehörige Katalin Krisztina Kr*****;

2. im Mai 2006 die slowakische Staatsangehörige „V*****";

II. in Veitsch und anderen Orten

1. nachgenannte Personen, mögen sie auch bereits der Prostitution nachgegangen sein, in der Absicht, sich durch die wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, der Prostitution in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, zugeführt oder sie hiefür angeworben zu haben, indem sie sie zur Prostitutionsausübung in Österreich überredeten, sie nach Österreich verbrachten, für ihre Eingliederung in das Bordell H***** und für anschließende Zahlungen der Frauen an sie sorgten, und zwar

a. Ende Mai, Anfang Juni 2006 die ungarische Staatsangehörige Zsanett Va*****;

b. im Juni 2006 die slowakische Staatsangehörige „E*****";

2. sich im Zeitraum April 2006 bis Dezember 2006 an einer von Monika Su*****, Gerhard S***** und anderen zur Ausführung von Verbrechen nach § 217 Abs 1 und Abs 2 StGB gegründeten kriminellen Vereinigung als Mitglied beteiligt zu haben,

somit die Verbrechen des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 2 StGB (zu I) und nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB (zu II 1) sowie das Vergehen der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 zweiter Fall StGB (zu II 2) begangen zu haben. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Graz den Beschwerden der genannten Beschuldigten gegen die Fortsetzungsbeschlüsse vom 17. Jänner 2007 nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus den dort angenommenen Haftgründen fort.

Rechtliche Beurteilung

Den dagegen rechtzeitig erhobenen und gesondert ausgeführten (jedoch inhaltlich gleichlautenden) Grundrechtsbeschwerden der beiden Beschuldigten, mit welchen in erster Linie die Verfassungswidrigkeit und die Europarechtswidrigkeit der Strafbestimmung des § 217 StGB behauptet und im Übrigen lediglich die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr bekämpft wird, kommt keine Berechtigung zu. Die Einwände der Verfassungswidrigkeit und Europarechtswidrigkeit der Strafbestimmung des § 217 StGB gehen fehl. Denn die Gerichte sind an Gesetze auch dann gebunden, wenn gegen ihre Verfassungsmäßigkeit Bedenken bestehen, die durch eine verfassungsgemäße Interpretation der betroffenen Bestimmung nicht beseitigt werden können. Ein durch eine gerichtliche Entscheidung oder Verfügung bewirkter Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit kann daher mit der Behauptung, eine maßgebende (hier: materiellrechtliche Straf )Bestimmung sei verfassungswidrig, im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht angefochten werden (vgl 11 Os 136/06v).

Es besteht aber auch kein Anlass für die Einleitung eines Normprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 Abs 1 B-VG oder für eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art 234 EGV im Hinblick auf eine allfällige Verletzung der in den Art 12, 39 oder 43 EGV verankerten Grundsätze.

Bedenken an der Verfassungsgemäßheit bzw an der Europarechtskonformität der genannten Strafbestimmung vermag die Beschwerde nämlich nicht aufzuzeigen.

Die unterschiedliche Behandlung der Straftäter im § 217 StGB gegenüber § 215 StGB sei - nach Ansicht der Beschwerdeführer - dann nicht sachlich gerechtfertigt, wenn die Tatopfer aus einem anderen EU-Mitgliedstaat der Prostitution in Österreich zugeführt werden, weil in einem solchen Fall von der Ausnutzung einer besonderen Zwangslage nicht gesprochen werden könne. Eine solche würde nur dann vorliegen, wenn Personen aus Drittstaaten der Prostitution innerhalb der EU zugeführt würden.

Dabei übersehen die Beschwerdeführer jedoch, dass durch Verbringung einer geschützten Person in ein für sie fremdes Land, auch wenn diese von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen erfolgt, generell die Gefahr für sie verbunden ist, in finanzielle Abhängigkeit von anderen zu geraten und ihre sexuelle Dispositionsfähigkeit zu verlieren (Philipp in WK² § 217 [2006] Rz 2 und 12). § 217 StGB erfasst daher eine „besonders gefährliche und schamlose" (EBRV 1971, 364) Form der Förderung der Prostitution, sodass die in dieser Bestimmung gegenüber § 215 StGB vorgenommene Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Im Übrigen enthält § 217 StGB - der Beschwerde zuwider - keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit; sie ist vielmehr eine - mehreren internationalen Rechtsakten zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels und der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität entsprechende (hiezu näher EBRV StRÄG 2004, 4; Kienapfel/Schmoller StudB BT III Vorbem §§ 201 ff RN 7 f) - Schutzbestimmung zu Gunsten von Personen, die zum tatbestandsspezifischen Zweck in ein Land verbracht werden, das für sie weder Heimatland noch gewöhnliches Aufenthaltsland ist (Philipp in WK² § 217 [2006] Rz 12 f) und die dadurch in eine besondere Abhängigkeit geraten können. Die Freizügigkeit (Art 39 EGV) und Niederlassungsfreiheit (Art 43 EGV) von Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaates, die in einem anderen Mitgliedstaat der Prostitution nachgehen wollen, wird dadurch jedoch in keiner Weise eingeschränkt.

Da die Beschwerdeführer das Vorliegen des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr nicht bestreiten, erübrigt sich die Prüfung, ob darüber hinaus der Haftgrund der Fluchtgefahr vorliegt. Ein Eingehen auf das diesbezügliche Vorbringen ist somit entbehrlich. Eine Grundrechtsverletzung liegt daher nicht vor, weshalb die Beschwerden in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der Äußerung der Verteidigung gemäß § 35 Abs 2 StPO ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen waren.