JudikaturJustiz15Os3/97

15Os3/97 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Februar 1997 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rouschal, Dr.Schmucker, Dr.Zehetner und Dr.Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Miljevic als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Manfred R***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Deliktsfall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Jugendschöffengericht vom 28. November 1996, GZ 13 Vr 256/96-43, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Jerabek, des Angeklagten Manfred R*****, seiner gesetzlichen Vertreterin Gertrude H***** und des Verteidigers Dr.Bacher zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 6.Juli 1981 geborene (Jugendliche) Manfred R***** wurde des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Deliktsfall StGB schuldig erkannt, weil er in der Zeit von Ende 1995 bis 10.März 1996 in Wien wiederholt eine unmündige Person, nämlich die am 19.März 1986 geborene Bettina O*****, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht dadurch mißbraucht hat, daß er etwa dreibis viermal jeweils sein erigiertes Glied gegen deren entblößten Afterbereich drückte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5, 5 a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Zu Unrecht releviert der Beschwerdeführer eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte (Z 4) durch das schöffengerichtliche Zwischenerkenntnis (§ 238 StPO), mit dem der vom Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellte Antrag (186 f iVm 203 f) auf neuerliche Untersuchung des Angeklagten durch einen "anderen" (186) jugendpsychiatrischen Sachverständigen zum Nachweis der (behaupteten)mangelnden Reife im Sinne des § 4 Abs 2 Z 1 JGG abgelehnt wurde (204).

Dem Antrag ist nämlich nicht einmal andeutungsweise zu entnehmen, aus welchen Gründen der Nichtigkeitswerber die Voraussetzung für die - nach dem Gesetz nur in den Ausnahmefällen der besonderen Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung (§ 118 Abs 2 StPO) bzw der vom im Verfahren beigezogenen (ersten) jugendpsychiatrischen Sachverständigen nicht behebbaren Mangelhaftigkeit von Befund oder Gutachten (§§ 125, 126 StPO) - zulässige Befassung eines zweiten Sachverständigen für gegeben erachtet. Eine diesbezügliche Substantiierung wäre aber als formelle Voraussetzung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes bereits bei Antragstellung notwendig gewesen, weshalb die Verfahrensrüge schon unter diesem Gesichtspunkt versagt (vgl Mayerhofer StPO4 § 118 E 66 ff; § 281 Z 4 E 133 a).

Die Beurteilung hinwieder, ob die Schwierigkeit des Falles die Zuziehung eines zweiten Sachverständigen gebietet, ist dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes anheimgestellt. Hält es den Gutachter - wie im vorliegenden Fall den sehr erfahrenen, über die Lehrbefugnis verfügenden Jugendneuropsychiater (111) Univ.Prof.Dr.F***** (US 15 f) - für fähig, ein einwandfreies Gutachten abzugeben, somit für glaubwürdig, und erheben sich keine Bedenken im Sinne des § 125 StPO, so kann diese Entscheidung, daß ein zweiter Sachverständiger nicht zuzuziehen sei, nicht mit Erfolg angefochten werden; denn solcherart wird bloß auf eine im Nichtigkeitsverfahren unzulässigen Weise die tatrichterliche Beweiswürdigung kritisiert (Mayerhofer aaO § 118 E 72; § 281 Z 4 E 132, 133).

Demnach müssen die erst in der Beschwerdeschrift- somit prozessual verspätet - gegen die im Ergebnis sachgerechte Begründung des bekämpften Zwischenerkenntnisses vorgebrachten Argumente, die in ihrem Kernbereich bloß Kritik an der Methodik des genannten Experten üben und dessen Gutachten als mangelhaft und unvollständig hinzustellen trachten, als unbeachtlich auf sich beruhen.

Soweit gegen die Person des Sachverständigen (erst in der Nichtigkeitsbeschwerde) vorgebracht wird, er habe in "höchst seltsamer" Vorgangsweise den Beschwerdeführer zu einem Geständnis zu bewegen getrachtet, ist darauf zu verweisen, das erhebliche Einwendungen gegen einen Sachverständigen iSd § 120 StPO vor Gutachtenserstattung erhoben werden müßten (Mayerhofer aaO § 120 E 2 f).

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider haftet dem angefochtenen Urteil auch kein formaler Begründungsfehler an.

Abgesehen davon, daß sich das Erstgericht im Urteil weit über das Gebot des § 270 Abs 2 Z 5 StPO hinaus (wonach die entscheidenden Feststellungen in gedrängter Form anzuführen sind) mit den "örtlichen Gegebenheiten" des Tatortes und mit der "Zutrittsmöglichkeit" durch den Angeklagten auch ohne Erlaubnis seiner Mutter Gertrude H***** (die vermißte Konstatierung, daß sich die unmündige Bettina O***** nicht allein Zutritt hiezu hätte verschaffen können, ergebe nach Lage der Dinge überhaupt keinen Sinn) ausführlich auseinandersetzt (US 5, 7 ff), ist es für die Schuldfrage ohne Belang, daß die Räumlichkeiten durch offene Durchgänge miteinander verbunden sind, sodaß kein Raum für sich abgeschlossen ist und die Räume eine "durchlässige Einheit" darstellen; in welcher Räumlichkeit konkret die Unzuchtshandlungen vorgenommen wurden, ist ebenso bedeutungslos. Genug daran, daß das Schöffengericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) zureichend und aktengetreu (vgl insbesonders 12, 25, 172, 108, 178) - im Gegensatz zu der vom Beschwerdeführer reklamierten Konstatierung - festgestellt hat, der Angeklagte habe drei- bis viermal die "jeweils einige wenige Sekunden" dauernden Unzuchtsakte im Büro der Kantine vorgenommen, als er mit dem unmündigen Mädchen allein war (US 7 ff).

In Wahrheit unternimmt der Rechtsmittelwerber mit seinem Vorbringen abermals nur einen unzulässigen Angriff auf die zu seinem Nachteil gelöste Schuldfrage.

Gleiches gilt für die Tatsachenrüge (Z 5 a); denn auch dieser unter die formellen Nichtigkeitsgründe eingereihte und daher in seiner prozessualen Reichweite keineswegs einer Schuldberufung gleichende Anfechtungstatbestand gestattet nicht die Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung. Insbesonders darf der zur Darlegung erheblicher Zweifel am Gelingen der Wahrheitsfindung gebotene Vergleich aktenkundiger Umstände mit entscheidenden Feststellungen nicht durch die Behauptung ersetzt werden, eine vom Schöffengericht in einer Gesamtschau der maßgeblichen Beweisergebnisse sowie unter Verwertung des persönlich gewonnenen Eindrucks als glaubhaft beurteilte Zeugenaussage sei unglaubwürdig (vgl Mayerhofer aaO § 281 Z 5 a E 1, 3 f).

Eben diesen prozeßwidrigen Weg verfolgt der Beschwerdeführer, indem er die Beweiskraft der Belastungszeugin Bettina O***** dadurch zu erschüttern sucht, daß er einzelne Details aus ihren Aussagen herausgreift, mit denen sich das Erstgericht in den Entscheidungsgründen ohnehin besonders ausführlich und kritisch auseinandergesetzt hat (US 11 ff), und - selbst beweiswürdigend - folgert, ihre Darstellung des Tatgeschehens sei einerseits "objektiv widerlegt", weil er mit seinem Penis gar nicht in ihren Anus eingedrungen sein könne und sie angegeben habe, er sei (trotz altersbedingter Schambehaarung) im Genitalbereich nicht behaart, andererseits sei sie auf Grund der körperlichen Größendifferenz zwischen Täter und Opfer schon anatomisch "unmöglich" und wegen der unterschiedlichen Anzahl der unzüchtigen Angriffe "in sich widersprüchlich".

Angesichts der Erörterung aller bedeutsamen Verfahrensergebnisse (einschließlich der leugnenden Verantwortung des Angeklagten) im Urteil vermag die Beschwerde keine sich aus den Akten ergebende Bedenken (geschweige denn solche erheblicher Art) gegen den empirisch einwandfrei und plausibel begründeten Schuldspruch zu erwecken.

Mit der Rechtsrüge (Z 9 lit b) remonstriert der Nichtigkeitswerber gegen die Nichtanwendung des § 9 JGG.

Zu den kumulativ geforderten Voraussetzungen der beanspruchten Begünstigung zählt unter anderem, daß die Schuld des Täters nicht als schwer anzusehen und seine Bestrafung nicht geboten ist, um ihn von strafbaren Handlungen abzuhalten. Ob keine schwere Schuld vorliegt, ist nach Strafbemessungsgrundsätzen (§ 32 StGB) zu beurteilen, wobei hiefür keineswegs ein Überwiegen der Erschwerungsumstände vorausgesetzt wird; vielmehr ist neben der Vorwerfbarkeit des begangenen Tatunrechtes auch der gesamte in der Tat verwirklichte Handlungs- und Gesinnungsunwert miteinzubeziehen (15 Os 13/92, 14 Os 19/94; JBl 1992, 197; Jesionek JGG 1988 Anm 11.ff zu § 9).

Im vorliegenden Fall fehlt es schon am Erfordernis einer nicht als schwer anzusehenden Schuld; weist doch die im § 207 Abs 1 StGB vorgesehene Strafdrohung darauf hin, daß der Gesetzgeber den Unwert des in Rede stehenden Verbrechens an sich hoch veranschlagt. Hinzu kommt, daß der Angeklagte, dem der Sachverständige lebensaltertypische Reife und intakte Persönlichkeitsstruktur attestiert (115 f, 199 f), die deliktischen Angriffe auf ein neunjähriges Mädchen mehrfach wiederholt hat. Demgegenüber vermag der Beschwerdeeinwand, der Nichtigkeitswerber habe weder Gewalt noch nötigende Bedrohung angewendet, den hohen sozialen Störwert der ihm angelasteten Taten nicht zu mindern; denn die Anwendung dieser Mittel hätte die Subsumierung seines Verhaltens auch unter den idealkonkurrierenden Tatbestand des § 202 Abs 1 StGB bewirkt, während eine Verletzung des Mädchens zusätzlich als erschwerend ins Gewicht gefallen wäre.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war sonach zu verwerfen.

Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach § 207 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG eine viermonatige Freiheitsstrafe, die es gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah, und ordnete gemäß § 50 Abs 1 StGB Bewährungshilfe an. Dabei wertete es die Wiederholung der Unzuchtsakte als erschwerend, hingegen das Alter des Angeklagten knapp über vierzehn Jahre, dessen bisher ordentlichen Lebenswandel und den auffallenden Widerspruch zu seinem sonstigen Verhalten als mildernd.

In seiner dagegen erhobenen Berufung beantragt der Rechtsmittelwerber, von einem Strafausspruch abzusehen (§ 12 JGG), oder den Ausspruch über die Strafe vorzubehalten (§ 13 JGG), in eventu die Freiheitsstrafe herabzusetzen.

Die Berufung ist nicht begründet.

Warum die vom Berufungswerber auch hier zu seinen Gunsten ins Treffen geführten Umstände (keine Anwendung von Gewalt oder einer nötigenden Drohung; keine Verletzung des Opfers) nicht mildernd sein können, wurde bereits in der Rechtsrüge dargetan. Der weitere Einwand, er habe den Afterbereich des Mädchens nur "berührt", ist urteilsfremd (vgl US 3, 9 verbo: "drückte").

Unter Berücksichtigung aller Strafzumessungskomponenten (§ 32 StGB) bedarf es bei Manfred R***** auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes der Verhängung einer dem Schuld- und Unrechtsgehalt adäquaten viermonatigen (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe, um ihn künftighin von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten, weshalb die (primär) beantragten Maßnahmen nach § 12 Abs 1 JGG oder § 13 Abs 1 JGG aus spezialpräventiven Gründen nicht mehr in Frage kommen können.

Demnach mußte auch die Berufung erfolglos bleiben.

Rechtssätze
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