JudikaturJustiz15Os143/23b

15Os143/23b – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Dezember 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der FI Jäger als Schriftführerin in der Strafsache gegen * M* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, (nunmehr) AZ 71 Hv 107/23h des Landesgerichts für Strafsachen Wien (vormals AZ 331 HR 146/21g dieses Gerichts), über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 23. Oktober 2023, AZ 31 Bs 289/23m, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

* M* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. Juli 2022, AZ 331 HR 146/21g, wurde über * M* die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 3 Z 1, Z 3 lit a und b StPO) verhängt (ON 125).

[2] Soweit hier von Bedeutung, setzte das genannte Gericht diese Untersuchungshaft mit Beschluss vom (richtig) 19. September 2023 aus denselben Haftgründen fort (ON 197).

[3] Nach Verkündung dieses Beschlusses erhob der Rechtsmittelwerber Beschwerde zu Protokoll (ON 194 S 2) und ergänzte diese durch einen innerhalb der dreitägigen Beschwerdefrist (§ 176 Abs 5 StPO) eingebrachten Schriftsatz (ON 196).

[4] Am 3. Oktober 2023 brachte die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift gegen den Beschwerdeführer beim Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht, AZ 71 Hv 107/23h, ein. Dagegen erhob der Rechtsmittelwerber Einspruch (AZ 31 Bs 316/23g des Oberlandesgerichts Wien).

[5] Mit Beschluss vom 23. Oktober 2023, AZ 31 Bs 289/23m, gab das Oberlandesgericht Wien der Haftbeschwerde des Rechtsmittelwerbers nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus den genannten Haftgründen fort.

[6] Das Beschwerdegericht nahm den dringenden Verdacht an (BS 3 ff), M* habe in W* und an anderen Orten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (§ 278 StGB), die als ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, bestehend aus ihm selbst, mehreren namentlich bezeichneten und weiteren Personen, darauf gerichtet war, dass von ihren Mitgliedern fortgesetzt Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz und der Geldwäscherei begangen werden,

I. von Dezember 2019 bis Juni 2022 in einer großen Zahl von Angriffen anderen vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) „um ein Vielfaches“ übersteigenden Menge – Kokain mit dem Wirkstoff Cocain (BS 4 bis 37; I.A.1 bis 64) sowie Cannabis mit den Wirkstoffen THCA und Delta 9 THC (BS 37 bis 48; I.B.1 bis 20) – überlassen oder andere zur Überlassung bestimmt (§ 12 zweiter Fall StGB), indem er das Suchtgift an Käufer und weitere Mitglieder der kriminellen Vereinigung selbst übergab oder die Suchtgiftübergaben organisierte und andere Mitglieder der kriminellen Vereinigung mit der Durchführung der Übergabe betraute;

II. von 23. November 2020 bis 7. Juli 2021 vorschriftswidrig (BS 50) zur Erzeugung einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge Suchgift – 6.860,70 Gramm Marihuana (Wirkstoffmengen: 276,26 Gramm THCA und 21,03 Gramm Delta-9-THC) – durch einen namentlich bekannten und weitere unbekannte Mittäter beigetragen (§ 12 dritter Fall SMG), indem er das geeignete Equipment für Anbau und Aufzucht sowie das Haus, in welchem die Plantage eingerichtet wurde, mitorganisierte, und eine andere Person beauftragte, 760 Marihuanasetzlinge für diesen Zweck zu kaufen und beim Verpacken des erzeugten Suchtgifts zu unterstützen;

III. die wahre Natur, Herkunft, Lage, Verfügung oder Bewegung von Vermögensbestandteilen mit einem 50.000 Euro übersteigenden Wert, die aus kriminellen Tätigkeiten (Verbrechen nach dem SMG) herrührten, verheimlicht oder verschleiert, indem er einer anderen Person in zehn bis zwölf Angriffen jeweils 5.000 Euro bis 10.000 Euro (insgesamt 70.000 Euro) Bargeld, das aufgrund des Suchtgifthandels in Österreich erlangt worden war , selbst übergab oder diese Person dazu bestimmte (§ 12 zweiter Fall StGB), diese Vermögensbestandteile einer weiteren Person zu übergeben, die das Bargeld anschließend im Auftrag von M* undeklariert nach Serbien transportierte und in B* an weitere unbekannte Mitglieder der kriminellen Vereinigung übergab.

[7] Diesen als dringend verdächtig angenommenen Sachverhalt ( ergänzt um weitere Verdachtsannahmen betreffend die jeweilige subjektive Tatseite; vgl BS 49 f) subsumierte das Beschwerdegericht als die Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG, 12 zweiter Fall StGB (I.), des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 2 Z 2 SMG (II.) und der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 Z 2, Abs 4 erster und zweiter Fall StGB (III.).

Rechtliche Beurteilung

[8] Die gegen diesen Beschluss erhobene Grundrechtsbeschwerde richtet sich gegen die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr, die Nichtanwendung gelinderer Mittel sowie die Überschreitung der Frist nach § 178 Abs 2 StPO, angebliche Verfahrensverzögerungen und daraus resultierende Verletzungen des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§ 9 Abs 2 StPO).

[9] Ihr kommt keine Berechtigung zu.

[10] Weder in der zu Protokoll erklärten Haftbeschwerde (ON 194 S 2) noch in der schriftlichen Ergänzung (ON 196) argumentierte der Beschwerdeführer gegen die angenommenen Haftgründe oder (substanziiert) gegen die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Die in der Grundrechtsbeschwerde erstmals dazu geäußerte Kritik ist mangels horizontaler Erschöpfung des Instanzenzugs einer inhaltlichen Erwiderung entzogen (§ 1 Abs 1 GRBG; RIS Justiz RS0114487 [T1, T18]; Kier in WK² GRBG § 1 Rz 41).

[11] In Ansehung der Fristüberschreitung nach § 178 Abs 2 StPO lässt die Grundrechtsbeschwerde die Erwägungen des Beschwerdegerichts zum besonderen Umfang der Ermittlungen zum hafttragenden Sachverhalt, insbesondere zum außergewöhnlichen Datenvolumen, das zu übersetzen, auszuwerten und zu verarbeiten war (BS 52 f), unberücksichtigt. Sie bringt auch keine Argumente vor, die gegen die Richtigkeit dieser Ausführungen sprechen würden. Solcherart wird nicht aufgezeigt, dass das Oberlandesgericht sein gebundenes Ermessen bei der Bejahung der Voraussetzungen der Fristüberschreitung nach § 178 Abs 2 StPO rechtsfehlerhaft ausgeübt hätte (RIS-Justiz RS0133154, RS0121605).

[12] Der Beschwerdeführer macht schließlich eine „mit der Fristüberschreitung verbundene wiederholte Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen“ nach § 9 Abs 2 StPO geltend, weil es zu „erheblichen Verzögerungen im Zusammenhang mit der Übermittlung von Ermittlungsberichten“ und zu einem mehrere Monate dauernden Verfahrensstillstand auf Ebene der Anklagebehörde bis zur Einbringung der Anklageschrift am 3. Oktober 2023 gekommen sei.

[13] Allerdings geht die Grundrechtsbeschwerde auch hier nicht auf die Begründung des Beschwerdegerichts ein, wonach das zu verarbeitende Beweismaterial außergewöhnlich umfangreich war, übersetzt werden musste und erst im Juli 2023 vervollständigt werden konnte. Zudem lässt die Beschwerde die Ausführungen unbeachtet, nach denen die Anklagebehörde regelmäßig aktiv auf die Vornahme noch ausstehender Ermittlungstätigkeiten und Berichterstattungen hinwirkte, und dieser auch ein dem erheblichen Beweismittelumfang entsprechender Zeitraum (knapp drei Monate ab dem letzten Abschlussbericht) für die Verfassung der Anklageschrift zuzugestehen war (BS 52 f). Eine vom Oberlandesgericht zu Unrecht nicht anerkannte Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen wird solcherart nicht aufgezeigt.

[14] Der Beschwerdeführer wurde demnach im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.