JudikaturJustiz14Os74/15m

14Os74/15m – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Juli 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Juli 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zechner als Schriftführer in der Strafsache gegen Rudolf D***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB, AZ 18 St 142/14h der Staatsanwaltschaft Klagenfurt, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 17. Juni 2015, AZ 9 Bs 228/15w (ON 76 des Ermittlungsakts), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Rudolf D***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Rudolf D***** befand sich in dem von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt zu AZ 18 St 142/14h wegen eines (zunächst) als Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB qualifizierten Verhaltens geführten Ermittlungsverfahren etwa einen Monat in Verwahrungs und Untersuchungshaft. Letztere wurde mit Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 5. Dezember 2014 (ON 20 des Ermittlungsakts) unter Anwendung gelinderer Mittel aufgehoben.

Mit Urteil vom 19. Jänner 2015 sprach der Einzelrichter des Landesgerichts Klagenfurt gemäß § 488 Abs 3 StPO seine Unzuständigkeit aus, weil die der Anklage zugrunde liegenden Tatsachen in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen eine zur Zuständigkeit des Geschworenengerichts gehörige strafbare Handlung begründen würden (ON 29). Nach (mit 8. April 2015 eingetretener) Rechtskraft dieses Unzuständigkeitsurteils führte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 261 Abs 2 (iVm § 488 Abs 1) StPO fort und beantragte die Durchführung einer Tatrekonstruktion (ON 1 S 31); eine Anklage wurde seither nicht eingebracht (vgl § 261 Abs 2 zweiter Satz StPO).

Nach seiner erneuten Festnahme wurde über Rudolf D***** am 26. Jänner 2015 die Untersuchungshaft (nunmehr) gemäß § 173 Abs 6 StPO (weil die Haftgründe der Flucht , der Verdunkelungs und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO nicht auszuschließen wären) verhängt (ON 35); diese wurde zuletzt mit Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 5. Juni 2015, GZ 8 HR 206/14d 71 (wegen Nichtausschließbarkeit der Haftgründe der Flucht und der Tatbegehungsgefahr) fortgesetzt (ON 71). Der dagegen gerichteten Beschwerde gab das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 17. Juni 2015 nicht Folge (ON 76). Dabei ging es vom dringenden Verdacht aus, Rudolf D***** habe am 7. November 2014 in F***** versucht, Karl H***** vorsätzlich zu töten, indem er mit einem Küchenmesser (mit einer Klingenlänge von 20 cm) Stichbewegungen gegen dessen Hals ausgeführt habe, wobei das Opfer einen Stich mit der Hand abgewehrt und ein Polizeibeamter die weitere Tatausführung verhindert habe, sodass Karl H***** nur eine Schnittverletzung an der linken Hand erlitten habe.

Mit der dagegen rechtzeitig eingebrachten Grundrechtsbeschwerde bekämpft der Beschuldigte im Wesentlichen (bloß) die Annahme, die Haftgründe der Flucht- und der Tatbegehungsgefahr seien im Sinn des § 173 Abs 6 StPO nicht auszuschließen.

Im Sinn der ständigen Rechtsprechung ist zunächst festzuhalten, dass Umstände, die der Annahme eines Haftgrundes gemäß § 173 Abs 2 StPO entgegenstehen, nicht gleichzusetzen sind mit solchen, die sein Vorliegen im Sinn des § 173 Abs 6 StPO mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (vgl RIS Justiz RS0113412) - ausschließen (RIS Justiz RS0113413). Nur wenn das Beschwerdegericht diese Annahme willkürlich (also ohne oder mit offenbar unzureichender Begründung) trifft, verletzt es dadurch das Grundrecht auf persönliche Freiheit ( Kier in WK 2 GRBG § 2 Rz 47 mwN; allgemein zum Fehlerkalkül bei der Annahme von Haftgründen RIS Justiz RS0118185, RS0117806). Dies vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts sei der Haftgrund der Fluchtgefahr mit Blick auf den aus der Strafdrohung des § 75 StGB resultierenden Fluchtanreiz nicht auszuschließen, weil eine über das übliche Maß hinausgehende soziale Gebundenheit (vgl erneut RIS Justiz RS0113413) wegen des vom (in der angelasteten Tat zum Ausdruck kommenden) Naheverhältnis zu seinen Schwestern abgesehen Fehlens einer besonders engen familiären Bindung des kinderlosen und ledigen Beschuldigten und dessen Beschäftigungslosigkeit nicht vorliege. Diese Erwägungen verstoßen keineswegs gegen Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze (vgl RIS Justiz RS0118317). Schon damit ist der Haftgrund des § 173 Abs 6 StPO mängelfrei begründet und die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gerechtfertigt (RIS Justiz RS0061196).

Im Übrigen hat das Beschwerdegericht ohne Willkür dargelegt, dass auch der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO) nicht auszuschließen ist. Es verwies in diesem Zusammenhang insbesondere auf die „Traumatisierung“ des Beschuldigten durch die Trennung seiner (ihm sehr nahestehenden) Schwester vom späteren Opfer und seiner daraus entstandenen Aggression diesem gegenüber sowie auf die aus der Art der Tatbegehung ableitbare hohe Gewaltbereitschaft.

Bleibt zur Vermeidung künftiger Grundrechtsverletzungen anzumerken, dass die vom Beschwerdegericht vertretene Ansicht, ein Unzuständigkeitsurteil ziehe in keinem Fall ein Wiederaufleben der Haftfristen nach sich, nicht zutrifft. Die dazu zitierte, zur Rechtslage vor dem BGBl I 2007/93 (mit dem unter anderem die Frist des § 261 Abs 2 StPO für die Antragstellung der Staatsanwaltschaft erheblich auf drei Monate verlängert wurde) ergangene Rechtsprechung (RIS Justiz RS0109169; in diesem Sinn auch Kirchbacher/Rami , WK StPO § 175 Rz 21) wird nicht aufrechterhalten. Abgesehen davon, dass ein Unzuständigkeitsurteil anders als Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft dringenden Tatverdacht nicht voraussetzt ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 497), beseitigt die (hier vorliegende) Fortführung des (zeitlich nicht begrenzten) Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft die bisherige Anklage. Allein der Staatsanwaltschaft obliegt die (inhaltlich nicht beschränkte) Entscheidung, ob dieses Ermittlungsverfahren durch Einstellung oder Anklage (bei dem ihrer Ansicht nach für das Hauptverfahren zuständigen Gericht [vgl § 210 Abs 1 StPO]) beendet wird ( Lewisch , WK StPO § 261 Rz 14 ff). Anders in der vom Beschwerdegericht zu Unrecht als vergleichbar erachteten Konstellation der Urteilsaufhebung und Rückverweisung zu neuer Verhandlung, bei der die (weiter aufrechte) ursprüngliche Anklage (auf die Wortlaut und Schutzzweck des § 175 Abs 5 StPO abstellen) zugrunde zu legen ist (§ 293 Abs 1 StPO; ähnlich bei Vertagung oder Wiederholung der Hauptverhandlung nach § 276a zweiter Satz StPO [vgl RIS Justiz RS0098035]).

Im weiteren Verfahren werden daher bis zur allfälligen Einbringung einer Anklage die Einhaltung der Haftfristen (§ 175 Abs 2 Z 3 StPO) ebenso zu beachten sein wie die Voraussetzungen für ein Überschreiten der in § 178 Abs 2 StPO genannten Frist.

Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Rechtssätze
4