JudikaturJustiz14Os29/17x

14Os29/17x – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. September 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wukovits, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rudolf F***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 26. Jänner 2017, GZ 15 Hv 110/16s 58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rudolf F***** im zweiten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang siehe 14 Os 59/16g) der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1, Abs 4 Z 3 lit b StGB (I) und des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB (II) verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat er in S ***** und an anderen Orten Österreichs

(I) von 1. Mai 2004 bis September 2013 pornographische Darstellungen minderjähriger Personen, nämlich wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien und der Schamgegend Minderjähriger hergestellt, wobei es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelte, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienten, indem er in zahlreichen Angriffen Fotografien von nackten Kleinkindern bei alltäglichen, nicht sexuellen Handlungen anfertigte, diese Bilddateien insofern nachbearbeitete, als er den Genitalbereich der Kleinkinder vergrößerte, bildschirmfüllend abspeicherte, mit diesen so aufbereiteten Bilddateien Bildershows erstellte und diese auf DVD brannte;

(II) Anfang 2002 außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person, nämlich seiner am 12. Jänner 2001 geborenen Enkelin Natascha Z***** vorgenommen, indem deren nackte Vagina betastete und zwecks Anfertigung einer entsprechenden Nahaufnahme spreizte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus den Gründen der Z 4, 5, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Mit der zur subjektiven Tatseite leugnenden Verantwortung des Angeklagten hat sich das Erstgericht in Zusammenhang mit beiden Schuldsprüchen auseinandergesetzt und ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen es dieser insgesamt nicht zu folgen vermochte (US 6 ff). Zu einer gesonderten Erörterung von allen – von der Mängelrüge relevierten – Details dieser Einlassung bestand unter dem Aspekt von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) keine Verpflichtung (RIS-Justiz RS0098642 [T1]).

Entgegen dem weiteren Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zu einem auf die Vornahme einer geschlechtlichen Handlung gerichteten Vorsatz (Schuldspruch II) haben die Tatrichter die Urteilsannahmen „zur subjektiven Tatseite“ (und damit auch zu dem von der Rüge angesprochenen Kriterium) – den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend – primär auf das äußere Tatgeschehen (RIS Justiz RS0116882) im Verein mit allgemeiner Lebenserfahrung, sowie weiters auf die als glaubwürdig erachteten Angaben der Zeugin Tanja Z***** zum generellen Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber seiner Enkelin, auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen zu seiner sexuellen Deviation und auf das vom Schuldspruch I umfasste Täterverhalten gestützt (US 7). Einzelne dieser erheblichen Umstände, die erst in ihrer Zusammenschau die Grundlage für die bekämpfte Konstatierung bilden, können isoliert unter dem Aspekt der Z 5 nicht bekämpft werden, soweit die Tatrichter darin nicht – was hier in Ansehung der von der Rüge kritisierten Bezugnahme auf die zeitlich spätere Delinquenz nicht der Fall ist – erkennbar eine notwendige Bedingung für Feststellungen hinsichtlich einer entscheidenden Tatsache erblickt haben (RIS-Justiz RS0116737).

Mit dem Vorwurf fehlender (ausreichender) Konstatierungen dazu, dass es sich bei den zum Schuldspruch I inkriminierten Darstellungen um wirklichkeitsnahe, reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensumständen losgelöste Abbildungen der Genitalien oder der Schamgegend Minderjähriger handelte, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienten, übergeht die Beschwerde einen Teil der entsprechenden Urteilsannahmen (US 4 f) und legt nicht dar, aus welchem Grund die darin enthaltene detaillierte Beschreibung der vom Angeklagten mit entsprechendem Vorsatz hergestellten Bildershows, die danach aus einer Aneinanderreihung von Ausschnitten aus von ihm angefertigten Fotografien bestanden, auf denen (ausschließlich) die jeweils vergrößerten und bildschirmfülllend abgespeicherten Genitalien und die Schamgegend von Säuglingen und (vorwiegend) Kleinkindern im Alter von sechs Monaten bis maximal zwölf Jahren zu sehen waren (erneut US 4),

insoweit keinen ausreichenden Sachverhaltsbezug herstellen sollten (vgl RIS Justiz RS0098936; Ratz , WK StPO § 281 Rz 8).

Warum diese – auf Basis der aktenkundigen Lichtbilder und des Gutachtens des EDV-Sachverständigen DI V***** getroffenen (US 6) – Konstatierungen die vorgenommene Subsumtion unter dem Aspekt der Wirklichkeitsnähe der Abbildungen (§ 207a Abs 4 Z 3 StGB; vgl Philipp in WK² StGB § 207a Rz 8;

EBRV 294 BlgNR 22. GP 21) nicht tragen sollten, wird gleichfalls nicht erklärt.

Mit allgemeinen Überlegungen dazu, dass ein „bloßer Ausschnitt eines Fotos, der später vergrößert wird … naturgemäß eine deutlich geringere Qualität aufweist als das ursprüngliche Foto und in der Regel das ursprüngliche Motiv bei dieser Vorgehensweise überhaupt nicht mehr erkennbar ist“ (vgl im Übrigen ON 44 S 4, ON 57 S 14), stellt die Beschwerde den Sachverhaltsannahmen der Tatrichter bloß eigene Spekulationen entgegen und verfehlt solcherart insgesamt den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.

Entsprechendes gilt für den Vorwurf substanzlosen Gebrauchs der verba legalia zur subjektiven Tatseite (vgl aber US 4 f), der auf der (nach dem Vorgesagten verfehlten) Prämisse aufbaut, es mangle „bezüglich eines Großteils der Tatbestandsmerkmale“ bereits an Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, und insoweit auf eine einzelne Urteilspassage rekurriert.

Die Sanktionsrüge (Z 11 iVm Z 4) bezieht sich auf die in der Hauptverhandlung erfolgte Ablehnung des psychiatrischen Sachverständigen Univ. Prof. Dr. W*****. Dieser Antrag war jedoch erst nach dessen Vernehmung und damit verspätet gestellt worden (ON 57 S 11), ohne dass dargetan worden wäre, aus welchem Grund der Einwand nicht früher geltend gemacht werden konnte ( RIS-Justiz RS0113618 [T6]; vgl auch RS0115712, RS0106259; Hinterhofer , WK StPO § 126 Rz 64).

Davon abgesehen übersieht der Beschwerdeführer mit seiner Kritik, der Experte habe sein Gutachten zunächst (übrigens über Anordnung der Staatsanwaltschaft; ON 19 S 15) anhand der Aktenlage erstattet, dass eine persönliche Exploration des Angeklagten im Zuge einer Unterbrechung der Hauptverhandlung im ersten Rechtsgang stattfand (ON 44 S 8 ff). Dass der Sachverständige seine Expertise auch dann nicht zu ändern gewillt gewesen wäre, wenn Beweisergebnisse deren Mangelhaftigkeit aufgezeigt hätten ( Hinterhofer , WK StPO § 126 Rz 51, 64), wird mit dem bloßen Hinweis auf dessen Tätigkeit im Ermittlungsverfahren und die auch inhaltlich unrichtige (vgl ON 19 S 2, 16 sowie ON 44 S 4) Behauptung, er hätte dem Angeklagten ein falsches Motiv für sein dreimaliges Nichterscheinen zur Untersuchung unterstellt und daraus „ein tatsächlich nicht vorliegendes leugnendes Verhalten“ abgeleitet, „was ihn wiederum zu seiner Diagnose führte“, nicht aufgezeigt.

Die weitere Sanktionsrüge verweist zwar grundsätzlich zutreffend darauf, dass die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB, die einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO darstellt, nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei aber sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (Z 11 erster Fall) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, deren Kriterien der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie die Mindeststrafdrohung für die Anlasstat nach § 21 StGB sind. Nur hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis entscheidenden Tatsachen ist neben der Berufung auch die Anfechtung mit Verfahrens-, Mängel- oder Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 2 bis 5a StPO) zulässig.

Werden die gesetzlichen Kriterien für die Gefährlichkeitsprognose verkannt oder die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt eine Anfechtung nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO in Betracht. Der Sanktionsausspruch ist dann nichtig, wenn im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt wird oder die Feststellungsgrundlage die Ableitung der schweren Folgen als willkürlich erscheinen lässt (RIS Justiz RS0118581, RS0113980; Ratz , WK StPO § 281 Rz 715 ff; Ratz in WK² StGB Vor §§ 21–25 Rz 8 ff mwN).

Indem die ausschließlich gegen die Annahme qualifizierter Gefährlichkeit im Sinn des § 21 Abs 2 StGB gerichtete Beschwerde demgegenüber bloß auf Basis eigenständiger beweiswürdigender Erwägungen aus dem Sachverständigengutachten, der Verantwortung des Angeklagten und dem langen Zurückliegen des vom Schuldspruch II umfassten Täterverhaltens andere, für den Angeklagten günstigere Feststellungen begehrt als jene des Erstgerichts, ohne das Übergehen einer Erkenntnisquelle oder einen unvertretbaren Schluss aus herangezogenen Erkenntnisquellen zu behaupten, orientiert sie sich nicht an den dargestellten Anfechtungskategorien der Z 11, sondern erstattet bloß ein Berufungsvorbringen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
6
  • RS0115712OGH Rechtssatz

    25. April 2023·3 Entscheidungen

    Die - außer dem Fall des § 252 Abs 1 StPO - in dessen Abhörung bestehende Beiziehung eines Sachverständigen zur Hauptverhandlung kann durch das Vorbringen erheblicher Einwendungen verhindert werden, auch wenn dieser bereits ein schriftliches Gutachten abgegeben hat (EvBl 1997/82). Nach § 248 Abs 1 erster Satz StPO hat das Gericht bei der Beurteilung solcher Einwendungen auf ihre rechtliche Erheblichkeit die für den Untersuchungsrichter in der Voruntersuchung erteilten Vorschriften zu beobachten, soweit sie nicht ihrer Natur nach als in der Hauptverhandlung unausführbar erscheinen. Auf den Anschein der Befangenheit gestützte Einwendungen sind dabei von solchen zu scheiden, die mit mangelnder Sachkenntnis der als Sachverständiger abzuhörenden Person begründet werden. Ob sich die als Sachverständiger beizuziehende Person schon vor der Hauptverhandlung eine Meinung über den Fall gebildet hat, ist für die Beurteilung des Anscheins der Befangenheit schon deshalb ohne Bedeutung, weil eine vorläufige Meinungsbildung spätestens mit Abgabe des schriftlichen Gutachtens füglich nicht mehr zu bestreiten ist und solcherart ansonsten kein mit der Abgabe eines schriftlichen Gutachtens beauftragter Gutachter in der Hauptverhandlung abgehört werden dürfte - ein Ergebnis das offen den Verfahrensgesetzen widerspricht und den Grundsatz indirekt als zutreffend erweist. Abhörung oder Verlesung des abgegebenen schriftlichen Gutachtens sind infolge Anscheins von Befangenheit vielmehr nur dann unzulässig, wenn zu erkennen ist, dass der Sachverständige sein Gutachten auch dann zu ändern nicht gewillt sein werde oder würde, wenn Verfahrensergebnisse dessen Unrichtigkeit aufzeigen. Allein aus einer vom Gutachtensauftrag nicht erfassten und daher unangebrachten rechtlichen Beurteilung zur Stellungnahme übermittelter Texte kann eine solche Befürchtung jedoch nicht abgeleitet werden. Von vornherein unbedenklich sind Aussagen wissenschaftlicher Publikationen aus dem Sachbereich des Gutachtensauftrages. Sie indizieren Befähigung, nicht Befangenheit. Wurde das schriftliche Gutachten bereits abgegeben, bedarf es zur Beiziehung eines weiteren Sachverständigen wegen fehlender Sachkenntnis des Beauftragten eines an den Kriterien der §§ 125 f StPO ausgerichteten Antragsvorbringens. Denn auch der Untersuchungsrichter hätte sich daran auszurichten (§ 248 Abs 1 erster Satz StPO).