JudikaturJustiz14Os21/06d

14Os21/06d – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. März 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. März 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Westermayer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Peter P***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Mauerkirchen vom 17. Dezember 2004, GZ 2 U 84/04t-7 (nunmehr GZ 4 U 66/05f des Bezirksgerichtes Braunau am Inn), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Knibbe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Bezirksgerichtes Mauerkirchen vom 17. Dezember 2004, GZ 2 U 84/04t-7 (S 77), nunmehr GZ 4 U 66/05f des Bezirksgerichtes Braunau am Inn, verletzt, soweit damit eine diversionelle Verfahrenseinstellung (auch) an die Bedingung der Zahlung einer Geldbuße von 100 Euro geknüpft wurde, das Gesetz in § 90a Abs 1 StPO.

Dieser Teil des Beschlusses wird ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

Im Verfahren AZ 2 U 84/04t des Bezirksgerichtes Mauerkirchen (nachmals AZ 4 U 66/05f des Bezirksgerichtes Braunau am Inn; § 1 Z 8 der insoweit mit 1. Jänner 2005 in Kraft getretenen Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich, BGBl II 2002/422) wurden dem am 17. Jänner 1987 geborenen jugendlichen Beschuldigten Peter P***** mit Antrag auf Bestrafung vom 2. September 2004 in Beziehung auf Tatvorfälle vom 17. Juli 2004 die Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB, der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB und des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 StGB zur Last gelegt (ON 3).

In der Hauptverhandlung vom 17. Dezember 2004 - zu der bei Aufruf der Sache von den geladenen Eltern des Beschuldigten nur dessen Mutter erschienen war, welche auf die weitere Teilnahme aber auf dessen Wunsch verzichtet hatte - verkündete der Bezirksrichter nach Durchführung des Beweisverfahrens und nach Annahme eines Diversionsanbotes durch den Beschuldigten den Beschluss auf Einstellung des Verfahrens „gemäß § 90c und d sowie g iVm 90b StPO, wenn der Beschuldigte bis 30. Dezember 2004 bei Gericht einlangend

1.) die Bezahlung eines Teilschmerzengeldbetrages an Josefine M***** in Höhe von 300 Euro nachweist, 2.) eine Geldbuße in Höhe von 100 Euro sowie einen Pauschalkostenbeitrag von 100 Euro (sohin insgesamt 200 Euro) bezahlt und 3.) eine gemeinnützige Leistung beim Roten Kreuz bis 30. Juni 2005 im Gesamtausmaß von 20 Wochenstunden freiwillig leistet" (S 77).

Die Bezirksanwältin, die (entgegen der analog anzuwendenden Bestimmung des § 90l Abs 2 zweiter Satz StPO) vor dem Diversionsanbot an den Beschuldigten und vor der Beschlussfassung nicht formell angehört worden war (vgl 13 Os 41/03; Schroll, WK-StPO § 90l Rz 16), gab dazu keine Erklärung ab. Eine Begründung (vgl 14 Os 24/05v) des (nicht gesondert schriftlich ausgefertigten) Beschlusses ist nicht protokolliert.

Nach rechtzeitiger und vollständiger Erbringung der auferlegten Leistungen durch den Beschuldigten wurde das Verfahren mit - ausschließlich mit dem Verweis auf die Erbringung der aufgetragenen gemeinnützigen Leistung sowie die Bezahlung des Schmerzengeldbetrages und der Pauschalkosten begründetem - Beschluss des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 12. Juli 2005 gemäß § 90d (zu ergänzen: Abs 5) StPO iVm § 90b StPO eingestellt (ON 13). Gegen diesen von der Staatsanwaltschaft unbekämpft gebliebenen Beschluss erhob der Beschuldigte am 12. Oktober 2005 mündlich zu gerichtlichem Protokoll Beschwerde, mit der er die Herabsetzung des (vermeintlich) im Betrag von 200 Euro auferlegten Pauschalkostenbeitrages auf 100 Euro, in eventu „die Ausschaltung der aufgetragenen Geldbuße von 100 Euro aus dem gerichtlichen Diversionsbeschluss bzw -anbot", in eventu die Beschlussaufhebung zur neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht, beantragte (ON 14).

Das Landesgericht Ried im Innkreis als Beschwerdegericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 28. November 2005, AZ 10 Bl 81/05w (= ON

17) mit der (zutreffenden) Begründung zurück, dass der Beschuldigte zur Anfechtung des Beschlusses auf endgültige Verfahrenseinstellung vom 12. Juli 2005 nicht legitimiert sei (§ 90l Abs 3 erster Satz StPO) und die Beschwerde, soweit sie sich der Sache nach gegen den Beschluss vom 17. Dezember 2004 richte, im Hinblick auf den Ablauf der mit Beschlussverkündung in Gang gesetzten Rechtsmittelfrist (vgl 13 Os 41/03) verspätet sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss des Bezirksgerichtes Mauerkirchen vom 17. Dezember 2004 steht, wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

§ 90a Abs 1 StPO sieht - zur Hintanhaltung einer sonst dem Diversionscharakter nicht mehr entsprechenden übermäßigen Inanspruchnahme des Verdächtigen - die alternative Anwendung der dort aufgezählten vier Arten der diversionellen Erledigung (Z 1 bis 4; § 90c, d, f, g StPO) vor; eine Kombination dieser diversionellen Erledigungsformen ist daher nicht zulässig (vgl 12 Os 16/04; 14 Os 24/05v; Schroll, WK-StPO § 90a Rz 50).

Die mit der vorläufigen Verfahrenseinstellung unter Erteilung der Auflage der (freiwillig übernommenen) unentgeltlichen Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§ 90d Abs 1 StPO iVm § 90b StPO) - neben der damit zulässiger Weise verknüpften Voraussetzung einer Schadensgutmachung (§ 90d Abs 3 StPO) - verbundene, zusätzlich gesetzte Bedingung der Zahlung einer Geldbuße (§ 90c StPO iVm § 90b StPO) für die diversionelle Verfahrensbeendigung widerspricht diesem aus § 90a Abs 1 StPO abzuleitenden Kumulierungsverbot und gereicht dem Beschuldigten zum Nachteil, weshalb über die Feststellung der Gesetzesverletzung hinaus die Beseitigung des betroffenen Entscheidungsteils auszusprechen war (§ 292 letzter Satz StPO). Anzumerken bleibt, dass die (auch) an die Bedingung der Zahlung eines Pauschalkostenbeitrags geknüpfte Verfahrenseinstellung mit dem Gesetz im Einklang steht, weil die die Zahlung eines Pauschalkostenbeitrages durch den Verdächtigen als Zulässigkeitsvoraussetzung (auch) einer Verfahrenseinstellung nach § 90d Abs 5 StPO iVm § 90b StPO normierende Bestimmung des § 388 Abs 2 StPO in der Fassung des (insoweit mit 1. Jänner 2005 in Kraft getretenen) Budgetbegleitgesetzes 2005, BGBl I 2004/136, zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 12. Juli 2005 bereits in Geltung stand.

Rechtssätze
3
  • RS0118013OGH Rechtssatz

    01. März 2022·3 Entscheidungen

    § 90l Abs 2 zweiter und dritter Satz, Abs 3 und Abs 4 StPO beziehen sich nur auf das Verfahren vor der Hauptverhandlung, nicht auf diese selbst. Da hinsichtlich des Gebotes der Anhörung des Staatsanwaltes vor diversionellem Vorgehen des Gerichtes (vgl § 90l Abs 2 zweiter Satz StPO) und der Befugnis des Staatsanwaltes zur Anfechtung eines Beschlusses auf Einstellung des Verfahrens nach dem IX a.Hauptstück der StPO sowie der hiefür offenstehenden Frist (vgl § 90l Abs 3 erster Satz StPO) ein nach Verfahrensstadien – vor und in der Hauptverhandlung – differenzierender Regelungsplan nicht erkennbar ist, liegt insoweit für das Stadium der Hauptverhandlung eine planwidrige Gesetzeslücke vor. Diese lässt sich durch analoge Heranziehung der in § 90l Abs 2 zweiter Satz und Abs 3 erster Satz StPO getroffenen Regelungen schließen. Dabei ist, weil die für die Hauptverhandlung vorgesehene Form der Bekanntmachung von Entscheidungen die mündliche Verkündung ist, an diese und nicht an die Zustellung anzuknüpfen. Daraus ergibt sich: Auch in der Hauptverhandlung hat das Gericht, wenn es diversionell vorgehen will, vor einer Mitteilung an den Verdächtigen, dass ein solches Vorgehen beabsichtigt sei (§§ 90c Abs 4, 90 d Abs 4, 90 f Abs 3, jeweils iVm § 90 b StPO), und vor einem Beschluss, mit dem das Verfahren nach den Bestimmungen des IX a. Hauptstückes der StPO eingestellt wird, den Staatsanwalt zu hören. Ergeht in der Hauptverhandlung ein Beschluss auf Einstellung des Verfahrens nach dem IX a.Hauptstück der StPO, ist diese Entscheidung mündlich zu verkünden. Dagegen steht dem Staatsanwalt die binnen 14 Tagen nach Verkündung einzubringende Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu.