JudikaturJustiz14Os140/20z

14Os140/20z – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Februar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Februar 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Nagy in der Strafsache gegen ***** T***** und einen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten T***** und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 26. August 2020, GZ 8 Hv 128/19s 131, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch und im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), demgemäß auch im Kostenersatzausspruch, aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Bedeutung – ***** T***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (1 und 2) schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie in B***** folgende Polizisten, mithin Beamte im strafrechtlichen Sinn, mit dem Vorsatz, dadurch „einerseits den Bund sowie die Betroffenen in ihrem konkreten Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten, an denen diese ein schutzwürdiges Interesse haben (§ 1 Abs 1 DSG), und zum anderen die Republik Österreich in ihrem Recht auf Verfolgung von gerichtlich zu ahndenden strafbaren Handlungen durch Ermittlungsverfahren auch unter Beschränkung der Akteneinsicht (§ 51 Abs 1 zweiter Satz StPO) zu schädigen“, wissentlich zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch zu missbrauchen, dass sie ohne dienstliche Rechtfertigung auf Akten im polizeilichen Protokollierungssystem (PAD) betreffend Ermittlungen nicht nur gegen T*****, sondern auch gegen andere, teils bekannte Täter wegen einer Serie von Brandstiftungen „zugreifen“, „öffnen, Einsicht in Dokumente dieser Akten nehmen und entweder ***** T***** direkt oder im Wege ihrer Aufforderer über das Ergebnis informieren sollten“, wobei die Tat jeweils infolge Weigerung der Polizisten scheiterte, nämlich

1/ zwischen dem 24. Jänner 2019 und dem 1. Februar sowie am 14., am 18. und am 19. Februar 2019 einen ihr nicht, jedoch ihrem Vater bekannten Polizisten namens „Christian“, indem sie auf ihren Vater telefonisch und mittels SMS einzuwirken suchte, er möge diesen Polizisten kontaktieren und ihr die verlangten Informationen aus dem Ermittlungsverfahren weitergeben;

2/ zwischen dem 24. Jänner und dem 19. März 2019 einen „unbekannten, möglicherweise als Brandermittler tätigen Kärntner Polizisten namens 'Daniel', über die diesbezüglich vorsatzlos agierende ***** K*****, indem sie diesen persönlich telefonisch aufforderte, ihr die auf die zuvor beschriebene Art und Weise verlangten, pflichtwidrig erlangten Informationen des Ermittlungsverfahrens bekannt zu geben“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen das Urteil richten sich Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten T***** und der Staatsanwaltschaft, wobei erstere den Schuldspruch aus Z 5 und 9 lit a, letztere den Strafausspruch aus Z 11, jeweils des § 281 Abs 1 StPO, bekämpft.

[4] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von einem nicht geltend gemachten Rechtsfehler (Z 9 lit a) zum Nachteil der Angeklagten T*****, der von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[5] Das Erstgericht ging im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

[6] Die Kriminalpolizei führte ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit einer Serie von Brandstiftungen. In diesem wurde die Angeklagte zunächst – obwohl sie bereits „zu diesem Zeitpunkt dem Kreis der möglichen Verdächtigen zugerechnet“ wurde (US 21) – als Zeugin, wenige Tage später als Verdächtige und in weiterer Folge als Beschuldigte vernommen. Sie versuchte (zu im Urteil nicht näher konkretisierten Zeitpunkten) – teils über ihren Vater – zwei mit den Ermittlungen nicht befasste Polizeibeamte dazu zu bringen, dieses Verfahren, in dem nach ihrer Information „auch gegen andere teils bekannte (jugendliche) und teils unbekannte Täter ermittelt wurde“, mit dem ihr bekannten Aktenzeichen im polizeilichen Protokollierungssystem (PAD) abzufragen, in „die darin dokumentierten Ermittlungsergebnisse jedweder Art“ Einsicht zu nehmen und ihr das Ergebnis dieser Abfragen mitzuteilen. Dabei wollte sie „diesen polizeilichen Ermittlungsstand unbedingt wissen und darüber informiert sein, obwohl sie wusste, dass ihr grundsätzlich als Beschuldigte auch eine Akteneinsicht zustand. Es ging ihr aber auch um ein Wissen über die polizeilichen Erhebungen bezüglich anderer Personen“. Die beiden Polizisten führten die gewünschten Abfragen nicht durch (US 20 ff).

[7] Vorweg ist klarzustellen, dass in der vorliegenden Konstellation unter dem Aspekt des § 302 StGB zwischen missbräuchlicher Abfrage für die dienstliche Aufgabenerfüllung eingerichteter (elektronischer) Datenbanken und Weitergabe der daraus gewonnen Information zu unterscheiden ist. Das Ermitteln der Daten erfüllt das Tatbild, wenn der Beamte ohne dienstliche Rechtfertigung handelt und solcherart seine (abstrakte) Befugnis (zu hoheitlicher Aufgabenerfüllung) missbraucht (RIS-Justiz RS0095301). Hingegen wird bei der Informationsweitergabe nur ausnahmsweise eine tatbildliche Befugnis in Anspruch genommen. Von solchen Ausnahmefällen abgesehen kommt Missbrauch der Amtsgewalt durch Geheimnisverrat nur dann in Betracht, wenn der Beamte dies auf Grund einer ihn (im Zusammenhang mit einer bestimmten hoheitlichen Maßnahme) konkret treffenden Pflicht zu unterlassen hat. Ansonsten ist Strafbarkeit einer (unzulässigen) Informationsweitergabe primär nach § 310 StGB zu prüfen, welcher Tatbestand bei vorangegangener missbräuchlicher Beschaffung der Information (des Geheimnisses) mit § 302 Abs 1 StGB real konkurrieren kann (RIS-Justiz RS0126993 [T1 und T3]). Verwirklicht die Informationsweitergabe für sich nicht den Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt, scheidet ihre Zusammenfassung mit der Informationsbeschaffung im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit unter dem Aspekt des § 302 Abs 1 StGB aus (vgl RIS Justiz RS0122006; Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89). Missbrauch der Amtsgewalt setzt zudem voraus (arg: „dadurch“), dass die Rechtsschädigung nach dem Vorsatz des Täters gerade durch den Befugnismissbrauch bewirkt werde (RIS-Justiz RS0129143; jüngst 14 Os 47/20y; zum Ganzen Nordmeyer in WK 2 StGB § 302 Rz 86, 121 f und 168 f).

[8] Vorliegend ergibt sich aus dem Sachverhalt zwar, dass die von der Angeklagten gewünschte Datenbankabfrage durch nicht mit den Ermittlungen befasste Polizeibeamte einen Befugnisfehlgebrauch dargestellt hätte. Für die (rechtliche) Annahme, die von ihr kontaktierten Polizeibeamten hätten bei der (intendierten heimlichen) Weitergabe von Informationen aus dem Ermittlungsverfahren (nach Vorstellung der Angeklagten) eine im Sinn des § 302 StGB tatbildliche Befugnis (fehlerhaft) wahrnehmen sollen, fehlt es hingegen an Feststellungen (vgl US 25 [wo in Bezug auf die subjektive Tatseite verfehlt offenbar Pflichtwidrigkeit der Informationsweitergabe mit Befugnisfehlgebrauch gleichgesetzt wird]). Solcherart hätte die Sachverhaltsgrundlage für den Schuldspruch nur ausgereicht, wenn der konstatierte Schädigungsvorsatz der Angeklagten auf Verletzung von Rechten gerade durch die gewünschten Abfragen gerichtet gewesen wäre. Das staatliche Recht auf Strafverfolgung kommt insoweit als Bezugspunkt (ohne Informationsweitergabe) nicht in Betracht (vgl erneut 14 Os 47/20y). Eine Schädigung von Dritten an deren Recht auf Datenschutz, indem deren personenbezogenen Daten unbefugt abfragenden Polizeibeamten zur Kenntnis gelangten, ist zwar denkbar. Dass sich der Vorsatz der Angeklagten darauf bezogen hätte, stellten die Tatrichter indes nicht fest (vgl US 25 f).

[9] Somit entbehrt der Schuldspruch zu beiden Punkten ausreichender Feststellungen zum Schädigungsvorsatz. Dies erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Urteils soweit im Spruch bezeichnet samt Rückverweisung der Sache in diesem Umfang bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 StPO).

[10] Mit ihren Rechtsmitteln waren die Angeklagte T***** und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

[11] Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein:

[12] 1/ Unter Berücksichtigung obiger Ausführungen wird zu prüfen sein, ob sich der Vorsatz der Angeklagten T***** darauf bezog, unbeteiligte Dritte bereits durch die Abfrage im polizeilichen Protokollierungssystem (PAD) an deren Recht auf Schutz personenbezogener Daten zu schädigen. Im Fall eines Schuldspruchs nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB sind dazu mängelfrei begründete Feststellungen zu treffen.

[13] 2/ Mit Blick auf die inkriminierte Bestimmung zur Informationsweitergabe kommt zwar grundsätzlich Strafbarkeit nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 310 Abs 1 StGB in Betracht. Der Tatbestand erfordert jedoch eine – vom Vorsatz umfasste – Eignung der tatbildlichen Handlung, ein öffentliches oder ein berechtigtes privates Interesse zu verletzen. Soweit die Angeklagte ein Recht auf Akteneinsicht hatte, ist eine solche Eignung auszuschließen. Interessen Dritter auf Geheimhaltung ihrer personenbezogenen Daten sind nicht „berechtigt“ im Sinn dieses Tatbestands, weil sie das – durch das Akteneinsichtsrecht geschützte – Interesse der Beschuldigten nicht überwiegen. Sollte abermals festgestellt werden (vgl US 25), dass für den Großteil des in Frage kommenden Tatzeitraums Beschränkungen der Akteneinsicht angeordnet war, wird zu klären sein, ob dieser Umstand (zur jeweiligen Tatzeit) vom Vorsatz der Angeklagten umfasst war, widrigenfalls diese sich in einem (Vorsatz ausschließenden) Tatbildirrtum befunden hätte ( Nordmeyer in WK 2 StGB § 310 Rz 39, 43 und 46 [im Druck]).

Rechtssätze
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