JudikaturJustiz14Os122/19a

14Os122/19a – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Januar 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Jänner 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Hauer in der Strafsache gegen Seyit K***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, AZ 23 Hv 24/19i des Landesgerichts Innsbruck, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO betreffend den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 24. April 2019, AZ 6 Bs 84/19g, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

In dem zum AZ 23 Hv 24/19i des Landesgerichts Innsbruck (ursprünglich) wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB gegen Seyit K***** geführten, zwischenzeitig rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren wurde der Genannte seit dem 15. Mai 2018 aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO in Untersuchungshaft angehalten (ON 10).

Mit Beschluss vom 13. März 2019, GZ 23 Hv 24/19i-93, wies der Vorsitzende des Geschworenengerichts den – am selben Tag um 14:30 Uhr eingebrachten – Antrag des Angeklagten auf Ausführung nach § 98 Abs 2 StVG iVm § 184 StPO zur Teilnahme an der gleichfalls am selben Tag um 17 Uhr in I***** stattfindenden Trauerfeier für seine verstorbene Mutter ab.

Seiner dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 24. April 2019, AZ 6 Bs 84/19g, nicht Folge gegeben.

In seiner Begründung führte das Beschwerdegericht – soweit hier wesentlich – aus, dass der Untersuchungshäftling mit Blick auf den gegen ihn bestehenden dringenden Verdacht der Begehung eines massiven Gewaltverbrechens bei der begehrten mehrstündigen Ausführung von mehreren Justizwachebediensteten begleitet und bewacht hätte werden müssen, bei Abzug des solcherart erforderlichen Personals nach den – als unbedenklich beurteilten – aktenkundigen Mitteilungen der Justizanstalt Innsbruck der Dienst und die Ordnung in der Justizanstalt aufgrund Personalmangels („aus Kapazitätsgründen“) aber nicht mehr ohne Beeinträchtigung gewährleistet gewesen wären und entsprechende organisatorische Vorkehrungen so kurzfristig gleichfalls nicht getroffen werden konnten, und bejahte demzufolge – wie schon das Erstgericht – das Vorliegen des Ausschließungsgrundes nach § 98 Abs 2 erster Satz zweiter Fall StVG iVm § 184 StPO.

Auf dieser Basis vertrat das Oberlandesgericht die Auffassung, dass der durch die Verweigerung der Ausführung zur Teilnahme an der Trauerfeier für die verstorbene Mutter bewirkte Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der auf einer gesetzlichen Grundlage beruhte und dem legitimen Ziel der Verteidigung der Ordnung, nämlich der Aufrechterhaltung des Dienstes und der in einer Justizanstalt erforderlichen Ordnung ohne Beeinträchtigung, diente, auch verhältnismäßig gewesen sei und die behauptete Verletzung von Art 8 MRK daher nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der (rechtzeitige) Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO, mit dem er – wie schon in der Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 13. März 2019 – eine Verletzung seines Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 MRK behauptet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein Urteil des EGMR nicht mehr Voraussetzung für einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens, der eine Verletzung in einem Grundrecht nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung behauptet (RIS Justiz RS0122228). Auch im solcherart erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO gelten für einen solchen Antrag, bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß (RIS Justiz RS0122737).

Nach § 1 Abs 1 GRBG steht wegen Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung nach Erschöpfung des Instanzenzugs Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zu. Die (im Wesentlichen durch Art 3 und 8 EMRK geschützten) Bedingungen der Haft sind nicht von diesem Grundrecht erfasst ( Grabenwarter/Pabel, EMRK 6 § 21 Rz 2). Für den Vollzug von Freiheitsstrafen und vorbeugenden Maßnahmen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen schließt § 1 Abs 2 GRBG die Grundrechtsbeschwerde ausdrücklich aus (vgl RIS Justiz RS0123350). Eine solche – wie auch ein dazu subsidiärer Erneuerungsantrag – steht demgemäß nicht zu, wenn sich der behauptete Verstoß gegen Art 5 MRK

auf die Bedingungen (des Vollzugs) von Freiheitsentzug bezieht, und zwar unabhängig davon ob dies die Untersuchungshaft oder die Strafhaft betrifft ( Kier in WK² GRBG § 1 Rz 7 und 54 mwN; vgl auch RIS Justiz RS0126401).

Dass insoweit Grundrechtsschutz durch den Obersten Gerichtshof generell, also auch in Bezug auf die Behauptung von Verletzungen anderer Grundrechte (insbesondere Art 3 und 8 MRK) während eines Freiheitsentzugs mittels Erneuerungsantrag, ausgeschlossen ist, kann daraus nicht abgeleitet werden (vgl in Bezug auf Strafhaft 14 Os 37/15w mwN; vgl aber RIS Justiz RS0123350 [T3, T5, T7]; zu ursprünglich von der Vollzugsbehörde entschiedenen Strafvollzugssachen s RIS Justiz RS0122228 [T6]).

Der ausdrücklich auf Art 8 MRK gestützte Erneuerungsantrag ist daher zulässig, aber nicht berechtigt.

Wie das Oberlandesgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, stellt die Verweigerung der Teilnahme von Häftlingen an der Beerdigung – hier: an der Trauerfeier – eines Elternteils einen Eingriff in deren Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar ( Grabenwarter/Pabel, EMRK 6 § 22 Rz 18 mwN). Ein solcher Eingriff begründet allerdings nur dann eine Verletzung von Art 8 MRK, welcher in Haft befindlichen Personen kein bedingungsloses Recht auf Freigänge garantiert (RIS Justiz RS0125091), wenn er nicht gesetzlich vorgesehen ist oder kein legitimes Ziel verfolgt oder nicht als notwendig in einer demokratischen Gesellschaft angesehen werden kann ( Grabenwarter/Pabel, EMRK 6 § 22 Rz 36).

Dass der vorliegende Eingriff auf einer gesetzlichen Grundlage (§ 173 StPO, § 98 Abs 2 StVG iVm § 184 und § 189 Abs 1 StPO) beruhte und ein legitimes Ziel, nämlich die Verteidigung der Ordnung, verfolgte, räumt der Antragsteller ein; er wendet sich ausschließlich gegen die Feststellungen zum Vorliegen des Ausschließungsgrundes nach § 98 Abs 2 erster Satz zweiter Fall StVG.

Indem er aber bloß behauptet, dass gegen deren Richtigkeit erhebliche Bedenken bestünden, die Mitteilungen der Justizanstalt Innsbruck zu deren Fundierung nicht geeignet seien und der „allgemeine Hinweis“ auf „Personalmangel“ oder „Kapazitätsgründe ... keine – zumindest aber (eine) ganz offenbar unzureichende – Begründung“ darstelle, in diesem Zusammenhang das Unterbleiben einer Konkretisierung der dienstlichen Aufgaben, die bei Abzug des für die Ausführung erforderlichen Personals nicht mehr ordnungsgemäß erfüllt hätten werden können, kritisiert und Ausführungen dazu vermisst, „ob und warum diese Aufgaben nicht von anderen Justizwachebeamten – allenfalls auch nach Heranziehung zur Überstundenleistung – verrichtet werden konnten“ sowie „inwiefern ... die Ordnung in der Anstalt beeinträchtigt worden wäre“, macht er ein Begründungsdefizit des bekämpften Beschlusses nicht deutlich und bestimmt geltend (zum Prüfungsmaßstab vgl RIS Justiz RS0129981; 17 Os 13/14m, 14/14h, 32/14f, 33/14b; 17 Os 18/17h). Im Übrigen lässt er die – nicht willkürlichen oder grob unvernünftigen – Ausführungen des Beschwerdegerichts außer Acht, nach denen in der zwischen der Antragstellung und der Trauerfeier für die verstorbene Mutter verbliebenen kurzen Zeitspanne (von nur 2 ½ Stunden) die für die Ausführung erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen (demnach auch die Heranziehung weiterer Beamter zur Leistung von Überstunden) nicht getroffen werden konnten.

Der Antrag war daher als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 StPO; vgl dazu 17 Os 11/12i).

Rechtssätze
6
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.