JudikaturJustiz14Os111/21m

14Os111/21m – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. November 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen B***** O***** wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1 erster Fall und Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 9. Juli 2021, GZ 20 Hv 77/20f 56, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu I./A./, I./B./, I./D./2./ und III./, demgemäß auch im Strafausspruch, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde B***** O***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (I./A./ und I./D./2./), des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (I./B./), der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (I./C./ und I./D./1./), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (I./D./3./), der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1 erster Fall und Abs 4 zweiter Fall StGB (II./A./ und II./B./) sowie des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (III./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in G*****

I./ S***** O*****

A./ im Herbst 2012 vorsätzlich am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig verletzt, indem er sie an die Wand stieß und ihr eine kräftige Ohrfeige versetzte, wobei die Tat ein leichtes Hämatom am linken Auge zur Folge hatte;

B./ am 31. Oktober 2019 vorsätzlich am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine an sich schwere Körperverletzung sowie eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung zugefügt, indem er ihr Stöße gegen den Brustkorb sowie die Schultern und einen Schlag gegen den Rücken versetzte, sodass sie zu Boden fiel, und er ihr anschließend gegen das Wadenbein trat, wobei die Tat einen Bruch des rechten Wadenbeins mit Biegungskeil zur Folge hatte;

C./ ab dem Frühjahr 2019 bis zum 17. Jänner 2020 in einer Vielzahl an Angriffen mit zumindest einer Verletzung am Körper und einer Verletzung einer Sympathieperson gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihr gegenüber äußerte;

1./ er werde in ihre „Firma“ kommen und ihren Arbeitskollegen etwas antun und/oder die Büros verwüsten, wobei der Bedeutungsinhalt seiner Äußerung darin lag, dass er ihren Arbeitskollegen zumindest eine Verletzung am Körper zufügen und zum Nachteil ihres Arbeitgebers eine Sachbeschädigung vornehmen werde;

2./ er werde sie umbringen;

3./ „Schau, wenn ich diese Wodka Flasche nehme, kann ich dir damit den Kopf einschlagen“;

4./ er werde ihr den Kopf einschlagen, wobei er seine Drohung durch Erheben seiner rechten Faust bekräftigte;

5./ er werde ihre Mutter umbringen;

6./ sie solle ihn nicht wieder böse machen „because that will be very bad“, wobei der Bedeutungsinhalt seiner Äußerung vor dem Hintergrund der vorangegangenen Gewalthandlungen dahingehend zu verstehen war, dass er ihr zumindest eine Verletzung am Körper zufügen werde;

D./ am 2. Jänner 2020

1./ durch die Äußerungen: „I will kill you, your mother, your father“ sowie „You will see what i will do with you, i kill you, i kill you“ mit zumindest einer Verletzung am Körper und einer Verletzung einer Sympathieperson gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

2./ vorsätzlich am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig an der Gesundheit geschädigt, indem er sie zu Boden stieß und ihr mit der flachen Hand gegen den Rücken schlug, wobei die Tat über die körperliche Einwirkung hinaus anhaltende Schmerzen des Opfers zur Folge hatte;

3./ durch Gewalt, nämlich durch Erfassen an den Beinen und Zerren an diesen, zum Verlassen der Wohnung zu nötigen versucht;

II./ gegen nachgenannte Personen länger als ein Jahr fortgesetzt Gewalt (§ 107b Abs 2 StGB) ausgeübt, und zwar gegenüber

A./ seiner unmündigen Tochter L***** O***** ab einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2014 bis zum Jänner 2020 durch

1./ fortdauernde Körperverletzungen (§ 83 Abs 1 StGB) und Misshandlungen (§ 83 Abs 2 StGB), indem er sie vorsätzlich am Körper verletzte und/oder am Körper vorsätzlich misshandelte und dadurch fahrlässig verletzte oder an der Gesundheit schädigte, indem er ihr

i./ anfangs wöchentlich, später beinahe täglich heftige Ohrfeigen versetzte, wobei die Taten teils über die körperliche Einwirkung hinaus anhaltende Schmerzen zur Folge hatten;

ii./ am 26. Oktober 2019 mehrere Ohrfeigen versetzte, sie auf den Boden stieß und ihr Tritte gegen den Oberschenkel und die Hüfte sowie Schläge gegen den Kopf versetzte, wobei die Taten über die körperliche Einwirkung hinaus mehrere Tage andauernde Schmerzen im Bereich der Hüfte zur Folge hatten;

iii./ in zumindest fünfzehn Angriffen Schläge mit dem zusammengefalteten Gürtel auf die Handflächen, den Kopf und den Rücken versetzte;

2./ fortdauernde gefährliche Drohungen (§ 107 Abs 1 StGB), indem er sie zumindest mit einer Verletzung am Körper und/oder einer Verletzung an der Freiheit gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

i./ in zumindest fünf Angriffen durch Äußerungen mit dem sinngemäßen Inhalt, sie solle aufpassen, er werde sie nach Afrika schicken und sie könne sich nicht dagegen wehren;

ii./ durch die Äußerung mit dem sinngemäßen Inhalt, er werde sie zu ihrem Onkel nach England schicken;

iii./ durch die mehrfach getätigte Ankündigung, er werde ihr mit der Gürtelschnalle auf den Kopf schlagen;

B./ seinem unmündigen Sohn N***** O***** von einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2016 bis Jänner 2020 durch

1./ fortdauernde Körperverletzungen (§ 83 Abs 1 StGB) und Misshandlungen (§ 83 Abs 2 StGB), indem er ihn vorsätzlich am Körper verletzte und/oder am Körper vorsätzlich misshandelte und dadurch fahrlässig am Körper verletzte oder an der Gesundheit schädigte, indem er ihm

i./ zumindest einmal pro Woche ein bis zwei Ohrfeigen versetzte, wobei die Taten teils über die körperliche Einwirkung hinaus anhaltende Schmerzen sowie Rötungen zur Folge hatten;

ii./ zwei bis dreimal pro Woche Schläge mit dem Gürtel gegen die Hand, den Bauch und den Rücken versetzte, wobei die Taten teils über die körperliche Einwirkung hinaus anhaltende Schmerzen sowie teils Rötungen zur Folge hatten;

2./ fortdauernde gefährliche Drohungen (§ 107 Abs 1 StGB), indem er ihn zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedrohte, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

i./ durch die ein- bis zweimal monatlich getätigte Äußerung: „I will beat you“;

ii./ durch die mehrfach getätigte Ankündigung, er werde ihm mit der Gürtelschnalle auf den Kopf schlagen;

3./ fortdauernde Nötigungen (§ 105 Abs 1 StGB), indem er ihn durch gefährliche Drohungen zumindest mit einer Verletzung am Körper zu nachangeführten Handlungen oder Unterlassungen nötigte oder zu nötigen versuchte, und zwar

i./ durch die sinngemäße Äußerung, er solle zu weinen aufhören und seine Hausübung machen, sonst werde er ihm eine Ohrfeige verpassen, zur Abstandnahme von der Kundgabe seiner Trauer und zur Erledigung seiner Hausaufgaben;

ii./ durch die ein- bis zweimal wöchentlich getätigte Äußerung: „Benimm dich, sonst schlag ich dich (If you don‘t do this, I beat you)“, zu einem ihm konformen Verhalten;

III./ ab dem Jahr 2016 bis Jänner 2020 seiner unmündigen Tochter P***** O*****, die seiner Fürsorge und Obhut unterstand, körperliche Qualen zufügt, indem er ihr ein- bis zweimal im Monat Ohrfeigen versetzte und ihr in einer nicht näher bekannten Anzahl an Angriffen Schläge mit dem Gürtel gegen die Hände versetzte.

Rechtliche Beurteilung

[3] D agegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5a und 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil im Schuldspruch zu I./A./, I./B./, I./D./2./ und III./ nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) zum Nachteil des Angeklagten anhaftet.

[5] Denn den Entscheidungsgründen sind Feststellungen zur subjektiven Tatseite, nämlich ob der Angeklagte zu I./A./ und I./D./2./ jeweils mit (zumindest bedingtem) Misshandlungsvorsatz (vgl Burgstaller/Schütz in WK 2 StGB § 83 Rz 26) und zu I./B./ mit (zumindest bedingtem) Vorsatz auf Verletzung oder Gesundheitsschädigung des Opfers (vgl Burgstaller/Schütz in WK 2 StGB § 83 Rz 20, § 84 Rz 3) gehandelt hat, nicht zu entnehmen. Die Erwähnung (US 2 f) des subjektiven Tatbildes im Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) kann die auf diese bezogenen Feststellungen nicht ersetzen (RIS Justiz RS0114639 [T4, T5 und T11]).

[6] Zu III./ mangelt es wiederum an einer hinreichenden Sachverhaltsbasis zum Vorsatz des Angeklagten in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal des Zufügens von körperlichen oder seelischen Qualen, mithin an Konstatierungen, dass der Angeklagte es zumindest ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, P***** O***** durch die festgestellten Tathandlungen (US 12 f) Schmerzen, Leiden oder Angstzustände zuzufügen, die – wegen ihrer beträchtlichen Intensität oder weil sie einen gewissen Zeitraum andauern oder sich wiederholen – mit einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen oder physischen Wohlbefindens des Opfers verbunden sind (RIS Justiz RS0093099; Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 92 Rz 12, 19).

[7] Diese Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordern – bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) – die Aufhebung des Urteils im Schuldspruch zu I./A./, I./B./, I./D./2./ sowie III./ und demzufolge auch im Strafausspruch. In diesem Umfang war die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

[8] Auf das zu I./B./ und III./ erstattete Vorbringen im Rahmen der Tatsachenrüge (Z 5a) war daher nicht einzugehen.

[9] Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt – im verbleibenden Umfang – keine Berechtigung zu.

[10] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde durch die Abweisung (ON 55 S 3) des in der Hauptverhandlung am 9. Juli 2021 gestellten Antrags des Angeklagten (ON 55 S 2) auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens hinsichtlich der Zeugen S***** O*****, ***** H*****, L***** O***** und N***** O***** zum Beweis, dass die Aussagen der Zeugen jeweils im Rahmen ihrer (teils kontradiktorischen) Vernehmungen nicht erlebnisbasiert sind und ihre Angaben „insbesondere“ in der Hauptverhandlung (auch in Bezug auf die Häufigkeit der Vorfälle) von früheren Angaben abweichen, Verteidigungsrechte nicht verletzt.

[11] Der Antrag ließ nämlich schon nicht erkennen, dass die von diesem umfassten Zeugen die Zustimmung zu ihrer Begutachtung erteilen würden (RIS Justiz RS0118956 [T3]).

[12] Im Übrigen ist eine sachverständige Hilfestellung bei der – ausschließlich dem Gericht zukommenden (§ 258 Abs 2 StPO) – Prüfung der Glaubwürdigkeit von Zeugen nur in besonders gelagerten Fällen erforderlich. Dies ist etwa bei – durch Beweisergebnisse indizierten – Bedenken gegen die allgemeine Wahrnehmungs- oder Wiedergabefähigkeit des Zeugen oder dessen (vom Einzelfall unabhängige) Aussageehrlichkeit, weiters bei abwegiger Veranlagung in psychischer oder charakterlicher Hinsicht sowie bei Entwicklungsstörungen oder sonstigen Defekten desselben der Fall (RIS-Justiz RS0097733, RS0097576). Anhaltspunkte für solche Ausnahmekonstellationen legte der Antrag, der sich lediglich auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen im konkreten Fall bezog, ebenfalls nicht dar.

[13] Zu II./A./ und B./ behauptet die Tatsachenrüge (Z 5a) unter Wiedergabe mehrerer Aussagen der Zeugen N***** O***** und ***** H***** zur Häufigkeit der körperlichen Übergriffe, den Feststellungen würde „jedwedes Tatsachensubstrat“ fehlen und „eklatante Widersprüche“ seien „nicht hinreichend gewürdigt“ worden. In dieser Form geübte Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung – im Übrigen unter Vernachlässigung der Gesamtheit der beweiswürdigenden Erwägungen (US 19 ff) – ermöglicht die Tatsachenrüge aber nicht (RIS Justiz RS0100555).

[14] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu I./C./ und I./D./1./ die Beurteilung der Drohungen als milieubedingte Unmutsäußerungen anstrebt, vernachlässigt sie die gegenteiligen Konstatierungen (US 8 f) zum Bedeutungsinhalt und der Ernsthaftigkeit der Äußerungen (RIS Justiz RS0112523).

[15] Zu II./A./2./ legt die Beschwerde nicht dar, warum die Eignung der getätigten Drohungen, begründete Besorgnis vor Verletzungen am Körper und an der Freiheit einzuflößen, bei gebotener Anlegung eines objektiv individuellen Maßstabs in Bezug auf die konstatierten Ankündigungen gegenüber einer unmündigen Person, sie nach Afrika zu schicken, ohne dass sie sich dagegen wehren könne, sie zu ihrem Onkel nach England zu schicken und sie mit einer Gürtelschnalle auf den Kopf zu schlagen (US 11), nicht gegeben sein sollte (RIS Justiz RS0092753). Soweit den Äußerungen die Ernsthaftigkeit abgesprochen wird, orientiert sie sich abermals nicht an den Feststellungen (US 11).

[16] Mit der Behauptung, „selbiges“ gelte auch für die Äußerungen zu II./B./3./ (vgl dazu aber die Feststellungen US 12), wird materiell rechtliche Nichtigkeit nicht verfahrenskonform aufgezeigt.

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in diesem Umfang bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[18] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.

[19] Die Kostenentscheidung, die sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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