JudikaturJustiz14Os108/22x

14Os108/22x – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Dezember 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M., den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Tonin in der Strafsache gegen * F* wegen des Verbrechens nach § 3g VG und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. September 2022, GZ 614 Hv 4/22b 56, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 28. Juni 2022, GZ 614 Hv 4/22b-44, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 28. Juni 2022, GZ 614 Hv 4/22b-44, wurde * F* des Verbrechens nach § 3g VG (III) und der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (I), der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1, § 84 Abs 2 StGB (II/A, B und [iVm § 15 StGB] C) sowie der Beleidigung nach § 115 Abs 1, § 117 Abs 2 StGB (IV) schuldig erkannt.

[2] Unmittelbar nach Urteilsverkündung und erteilter Rechtsmittelbelehrung durch den Vorsitzenden meldete der Angeklagte (in Anwesenheit seines Verteidigers) „Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung“ an (ON 43 unjourn. II. Bogen).

[3] Am 5. Juli 2022 langte beim Erstgericht ein undatiertes, vom Angeklagten eigenhändig unterzeichnetes Schriftstück mit dem Text „Bitte darum die Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuziehen!“ ein (ON 49). Diese Eingabe wurde dem Verteidiger am 8. Juli 2022 zur Kenntnis gebracht (ON 1 S 1.31 samt Zustellnachweis in VJ).

[4] Mit Schriftsatz vom 26. Juli 2022 gab der Verteidiger bekannt, dass der Angeklagte das Schreiben ON 49 „selbstständig und ohne Rechtsberatung“ verfasst habe und „die Bitte die Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuziehen […] irrtümlich“ erfolgt sei, sodass der Angeklagte seine Rechtsmittelanmeldung vom 29. Juni 2022 „vollinhaltlich aufrecht“ halte (ON 53).

[5] Binnen vier Wochen nach Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Verteidiger (Zustellnachweis ON 1.32 verso) führte dieser die angemeldeten Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 30. August 2022 aus (ON 55).

[6] Mit Beschluss vom 5. September 2022 wies der Vorsitzende des Geschworenengerichts die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285a Z 1 StPO iVm § 344 StPO zurück, wobei er die Eingabe des Angeklagten vom 5. Juli 2022 (ON 49) ihrem Inhalt nach als rechtswirksamen Verzicht auf das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde beurteilte (ON 56).

Rechtliche Beurteilung

[7] Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Angeklagten (§ 285b Abs 2 StPO iVm § 344 StPO), in der er (zusammengefasst) vorbringt, schon die Wortwahl in der Eingabe ON 49 lasse sich nicht als Zurückziehung der Nichtigkeitsbeschwerde interpretieren, er habe damit bloß „eine allfällige Rückziehung zu erörtern“ beabsichtigt. Im Übrigen sei die Bestimmung des § 57 Abs 2 letzter Satz StPO nach der ratio legis teleologisch nicht auf die Situation im Anschluss an eine Urteilsverkündung zu reduzieren (ON 58).

[8] Sie ist nicht im Recht.

[9] Gemäß § 285a Z 1 letzter Fall StPO hat das Landesgericht, bei dem eine Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet wird, diese zurückzuweisen, wenn sie von einer Person eingebracht wurde, die auf sie verzichtet hat.

[10] Ein rechtswirksam erklärter Rechtsmittelverzicht ist unwiderruflich (RIS-Justiz RS0099945).

[11] Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist die gegenständliche Erklärung des Angeklagten (ON 49) – ihrem unmissverständlichen Wortlaut nach („Bitte […] Nichtigkeitsbeschwerde zurückziehen!“) – als Verzicht auf das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde aufzufassen (vgl RIS-Justiz RS0096679; vgl auch Ratz , WK-StPO § 285b Rz 6).

[12] Nach § 57 Abs 2 zweiter Satz StPO gilt im Fall einander widersprechender Erklärungen (hier) des Angeklagten und seines Verteidigers grundsätzlich jene des Angeklagten. § 57 Abs 2 letzter Satz StPO, der (als Ausnahme hierzu) die Wirkungslosigkeit eines „nicht im Beisein seines Verteidigers und nach Beratung mit diesem“ abgegebenen Rechtsmittelverzichts des Angeklagten normiert, ist auf unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung abgegebene Erklärungen des Angeklagten zu reduzieren (RIS Justiz RS0133227). Das eine gegenteilige Rechtsansicht vertretende Beschwerdevorbringen lässt diese Judikatur unbeachtet (zur teleologischen Reduktion des § 57 Abs 2 letzter Satz StPO auf unmittelbar nach Urteilsverkündung abgegebene Erklärungen instruktiv 11 Os 59/20s mwN).

[13] Ausgehend davon ist der vorliegend – außerhalb der angesprochenen Prozesssituation – erklärte Verzicht des Angeklagten auf das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde rechtswirksam und demzufolge unwiderruflich (vgl erneut 11 Os 59/20s sowie 13 Os 67/21h [Rz 5 ff]).

[14] Die dennoch ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde wurde somit von einer Person eingebracht, die auf sie verzichtet hat (§ 285a Z 1 StPO).

[15] Die Beschwerde war zurückzuweisen (§ 285b Abs 4, § 285i StPO), weil die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten durch den Vorsitzenden des Geschworenengerichts zu Recht erfolgte (§§ 285a Z 1, 285b Abs 1 StPO iVm § 344 StPO).

[16] Die Entscheidung über die Berufungen und die (gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO implizierte) Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO; RIS-Justiz RS0100545).

[17] Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil es nicht zu einem Rechtsmittelverfahren iSd § 390a Abs 1 StPO gekommen ist ( Lendl , WK-StPO § 390a Rz 11).

Rechtssätze
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