JudikaturJustiz14Nds73/02

14Nds73/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Dezember 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Stephan T***** wegen des Verbrechens der Vorbereitung eines Verbrechens durch Sprengmittel nach § 175 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen im Zuständigkeitsstreit zwischen dem Landesgericht Innsbruck und dem Landesgericht Wels nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Strafverfahren steht dem Landesgericht Innsbruck zu.

Text

Gründe:

Dem 38-jährigen österreichischen Staatsbürger Stephan T***** liegt nach der Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für Tirol vom 19. August 2002 zur Last, in der Nacht zum 11. August 2002 in seiner Wohnung in Lana/Südtirol eine hochexplosive Mischung hergestellt, dabei ungewollt eine Explosion ausgelöst und eine Gefahr für Leib und Leben seiner Lebensgefährtin und seiner beiden Kinder herbeigeführt zu haben. Er selbst wurde dabei schwer verletzt und noch am 11. August 2002 an die Universitätsklinik in Innsbruck überstellt, wo er operiert und in stationären Aufenthalt genommen wurde. Der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Innsbruck beschloss am 18. August 2002 die Einleitung der Voruntersuchung gegen Stephan T***** wegen §§ 174 Abs 1, 175 Abs 1 und § 280 Abs 1 StGB sowie wegen § 3g VerbotsG (S 1) und verhängte am 19. August 2002 die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO (ON 5).

Am 22. August 2002 trat er das Strafverfahren mit der Begründung an das Landesgericht Wels ab, dass dieses wegen amtlich gemeldeten Wohnsitzes und zeitweisen Aufenthaltes des Beschuldigten in Schwanenstadt gemäß § 54 Abs 1 StPO zuständig sei (S 1a). Das Landesgericht Wels beschloss am 20. September 2002 die Rückabtretung mit der Begründung, dass der Beschuldigte schon am 16. August beim Meldeamt in Schwanenstadt abgemeldet worden sei, er sich nach den Erhebungen der Sicherheitsdirekion für das Bundesland Oberösterreich in den vergangenen Jahren ständig in Südtirol aufgehalten, dort in Lebensgemeinschaft gelebt und auch seinen Arbeitsplatz gehabt habe, sodass in Ermangelung eines Wohnsitzes oder Aufenthaltes im Inland zum Zeitpunkt der ersten Untersuchungshandlung das Gericht der Betretung des Beschuldigten zuständig sei (ON 20). Mit Beschluss vom 15. Oktober 2002, AZ 7 Ns 1.235/02, entschied das Oberlandesgericht Innsbruck, dass zur Führung des Stafverfahrens das Landesgericht Wels zuständig sei. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Beschuldigte "(auch) einen amtlichen (Neben )Wohnsitz im Sprengel" des Landesgerichtes Wels gehabt habe. Der Beschuldigte sei nämlich trotz seines Lebensmittelpunktes (Zusammenleben mit Lebensgefährtin und zwei Kindern sowie Berufsausübung) während der letzten Jahre in Lana/Südtirol bestrebt gewesen, den "(amtlichen) Wohnsitz" in Schwanenstadt bei seiner Mutter aufrechtzuerhalten, zumal er bis zuletzt seinen PKW mit einem Vöcklabrucker Kennzeichen benützt habe. Dementsprechend sei er zumindest vom 10. August 1994 bis zu der durch seine Mutter ohne seine Information und offenbar wegen der gegen ihn eingeleiteten behördlichen Ermittlungen erfolgten Abmeldung vom 10. August 2002 fast durchwegs in Schwanenstadt behördlich gemeldet gewesen (S 277). Er habe sich in der Vergangenheit trotz wiederholter Abmeldungen durch seine Mutter immer wieder selbst unter der Adresse seiner Mutter in Schwanenstadt angemeldet und sich zuletzt vom 3. bis 7. oder 8. August 2002 im Haus seiner Mutter aufgehalten. Bei dieser Gelegenheit habe er die Zahlung der Kfz-Haftpflichtversicherung vorgenommen und die Begutachtung seines PKW veranlasst (S 251). Der Beschuldigte habe sich nach seinen eigenen Angaben in den letzten Jahren immer wieder, wenn auch nur kurzfristig, bei seiner Mutter in Schwanenstadt aufgehalten und beabsichtige, nicht mehr nach Südtirol zurückzukehren, sondern in Hinkunft ständig in Schwanenstadt zu leben (S 105 ff, 312 f). Seine Mutter Gertrud T***** habe ihre Bereitschaft erklärt, ihm in ihrem Haus in Schwanenstadt eine Wohnmöglichkeit zu bieten, und angegeben, dass er dort zuerst seinen Haupt- und in der Folge seinen Nebenwohnsitz gehabt, er sich auch in den letzten Jahren des Öfteren unter dieser Adresse aufgehalten habe und sie seine Abmeldung vom 16. August 2002 lediglich auf Veranlassung der Gendarmerie vorgenommen habe (S 315).

Rechtliche Beurteilung

Den Ausführungen des Oberlandesgerichtes Linz zu seinem die Zuständigkeit des Landesgerichtes Wels verneinenden Beschluss vom 25. Oktober 2002, GZ 7 Ns 85/02, kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Die Gerichtszuständigkeit für eine im Ausland begangene strafbare Handlung nach § 54 Abs 1 StPO richtet sich zunächst nach dem Wohnsitz oder Aufenthalt des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens. Während diese beiden Anknüpfungspunkte nach dem Gesetzeswortlaut gleichwertig nebeneinander stehen, kommt der ebenfalls nach dieser Gesetzesstelle vorgesehene Gerichtsstand der Betretung des Beschuldigten erst subsidiär zum Tragen (vgl S. Mayer Commentar § 54 StPO Z 3 f; Roeder, Strafverfahrensrecht2, 45 [s dazu auch erste Auflage, 62 mit FN 1], Vargha, Strafprozessrecht, 62 f; Ullmann, Strafprozessrecht2, 222; aM Bertel/Venier, Strafprozessrecht7, Rz 123).

Der Aufenthalt einer Person bestimmt sich ausschließlich nach tatsächlichen Umständen; er hängt weder von der Erlaubtheit noch von der Freiwilligkeit des Aufenthaltes ab (vgl § 66 Abs 2 JN; näher Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht, Erkenntnisverfahren5 Rz 111/2). Ein "gewöhnlicher" Aufenthalt iSd § 66 JN wird nach § 54 Abs 1 StPO nicht verlangt.

Demnach war zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens, d.i. mangels vorangegangener strafgerichtlicher Aktivitäten gegen den Beschuldigten zum Zeitpunkt der Einleitung der Voruntersuchung durch den Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Innsbruck am 18. August 2002 (vgl dazu auch Foregger in WK2 § 58 Rz 12, 13), weil sich der Beschuldigte in stationärer Krankenhausbehandlung in Innsbruck befand, sein Aufenthalt in Innsbruck.

Nur der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass ein Wohnsitz des Beschuldigten im Sprengel des Landesgerichtes Wels zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens nicht bestand:

Einen "Wohnsitz" iS der §§ 52, 54 StPO, welcher Begriff mit jenem nach § 66 JN übereinstimmt, hat eine Person an jenem Ort, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, dort ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Die polizeiliche An- oder Abmeldung in einer Stadt bildet keinen hinreichenden Beweis für das Begründen oder Aufheben eines Wohnsitzes (Stohanzl JN-ZPO15 § 66 JN E 1 und 7).

Der Beschuldigte hatte nach der Aktenlage seinen Lebensmittelpunkt in Südtirol, wo er mit seiner Lebensgefährtin und zwei unmündigen Kindern lebte. Er hatte sich allerdings zwischen 10. August 1984 und 16. August 2002 mehrfach vorübergehend in Schwanenstadt im Hause seiner Mutter aufgehalten, wobei diese ihn, ohne ihn zu informieren, immer wieder abmeldete und er sich dort auch wieder anmeldete. Seinen Pkw hatte er bei der für Schwanenstadt zuständigen Bezirkshauptmannschaft zugelassen.

Während seines letzten Besuches in Schwanenstadt verschaffte sich der Beschuldigte, der keinen eigenen Hausstorschlüssel besaß, ohne Wissen und in Abwesenheit seiner Mutter mittels eines dem Nachbarn überlassenen Haustorschlüssels Eintritt in ihr Haus (S 251), in welchem er aber weder ein eigenes Zimmer noch persönliche Gegenstände hatte (S 273 f). Bei seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Innsbruck gab er an, "nur kurz manchmal" zu seiner Mutter zu fahren, „zwei oder drei Tage oder auch eine Woche" zu bleiben und dann wieder zurückzufahren. Er sei in Österreich nirgends aufhältig und reise nur zu Besuchen ein (S 105 ff). Aus den angeführten Umständen in Verbindung mit den dargelegten Angaben des Beschuldigten ergibt sich, dass dieser zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens keinen Wohnsitz in Schwanenstadt hatte.

Rechtssätze
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