JudikaturJustiz13Os67/16a

13Os67/16a – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Februar 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alejandro T*****, andere Beschuldigte und belangte Verbände wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 19 St 43/13y der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption, über die Anträge der Beschuldigten Mag. Michael S*****, Dr. Nikolaus M***** und Mag. Alexander R***** sowie des belangten Verbands D***** GmbH auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Von der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption wird – soweit hier von Bedeutung – gegen drei Geschäftsführer der D***** GmbH, nämlich Mag. Michael S*****, Dr. Nikolaus M***** und Mag. Alexander R***** zu AZ 19 St 43/13y ein Ermittlungsverfahren wegen §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 3 StGB (idF vor BGBl I 2015/112) und weiterer strafbarer Handlungen geführt. Das Strafverfahren richtet sich auch gegen die D***** GmbH als gemäß § 3 Abs 1 Z 1 VbVG verantwortlichen Verband.

Mit Beschluss vom 28. November 2014, AZ 354 HR 154/14t (ON 840), bewilligte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien die durch die Staatsanwaltschaft im Wesentlichen auf der Grundlage des im Insolvenzverfahren der A***** Holding GmbH und der A***** Bau GmbH erstatteten Berichts der B***** GmbH unter Beiziehung eines Vertreters der gesetzlichen Interessenvertretung (§ 121 Abs 2 letzter Satz StPO) gemäß §§ 117 Z 2, 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO zur Sicherstellung von Beweisen (§ 110 Abs 1 Z 1 StPO) angeordnete Durchsuchung von Geschäftsräumlichkeiten der D***** GmbH.

Vor Ablauf der vom Gericht festgesetzten Frist wurden die Eingriffe vollzogen.

Den dagegen von der D***** GmbH, Mag. Michael S*****, Dr. Nikolaus M*****, Mag. Alexander R***** und anderen erhobenen Beschwerden gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 28. Dezember 2015, AZ 18 Bs 27/15z, 18 Bs 293/15t, nicht Folge. Das Bestehen einer dringenden Verdachtslage gegen die Erneuerungswerber im Zeitpunkt der erstrichterlichen Bewilligung wurde bejaht und diese Einschätzung ausführlich anhand der Aktenlage auf Basis der Analyse der B***** GmbH, eines Berichts der K***** AG Wirtschaftsprüfungs und Steuerberatungsgesellschaft vom 19. November 2012 und Angaben des Prüfungsausschusses von D***** (ON 787, 788 und 789) im Rahmen des Status Reports 2009, 2010 und 2011 begründet (BS 30 ff).

Die mit Bezug auf diese Entscheidung und den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. November 2014 (ON 840) unter Berufung auf das Berufsgeheimnis erhobenen Anträge auf Erneuerung des Verfahrens des Mag. Michael S*****, des Dr. Nikolaus M*****, des Mag. Alexander R***** und des belangten Verbands sind – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Anträge behaupten Verletzungen der Garantien der Art 6 und 8 MRK.

Für einen Erneuerungsantrag, der sich – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR stützt, gelten die gegenüber diesem normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen (Art 34 und 35 MRK) sinngemäß (RIS Justiz RS0122737, RS0128394). Demnach kann (auch) der Oberste Gerichtshof erst nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs angerufen werden (Art 35 Abs 1 MRK). Diesem Erfordernis wird entsprochen, wenn von allen zugänglichen (effektiven) Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht und die behauptete Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (vgl RIS Justiz RS0122737 [T13]; Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 13 Rz 24 ff).

Da demnach Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber mit Beschwerde anfechten kann, unzulässig sind (RIS Justiz RS0124739 [T2]), waren die Anträge, soweit sie sich gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. November 2014 (ON 840) richten, schon deshalb zurückzuweisen.

In Ansehung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht behaupten die Antragsteller Verletzungen des Art 6 Abs 1 MRK, und zwar infolge Verstoßes gegen die Grundsätze der Waffengleichheit und des rechtlichen Gehörs, weil das Rechtsmittelgericht die dringende Verdachtslage in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Bewilligung der Hausdurchsuchung, also „ex ante“, überprüft habe und solcherart auf die nach der Erlassung der Zwangsmaßnahmen hervorgekommenen „entlastenden“ Beweisergebnisse (wie etwa die Klagebeantwortung, in der die mangelnde Relevanz und die Unrichtigkeit der Behauptungen des B***** Privatgutachtens dargelegt wurde, oder – nicht näher bezeichnete – im Mai und Juni 2014 sichergestellte, mangels Sichtung „nicht zwingend vorwerfbar“ noch nicht zum Akt genommene Unterlagen) nicht eingegangen sei.

Die Anträge beziehen sich insofern ausschließlich auf Konventionsgarantien, welche auf die Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage selbst zielen ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 28) und die demgemäß in der Hauptverhandlung (§ 238 StPO) oder im Rahmen der Urteilsanfechtung (§ 281 Abs 1 StPO), also im Sinn des Art 13 MRK wirksam, durchgesetzt werden können (13 Os 64/16k; 13 Os 40/16f; 13 Os 51/15x; vgl auch 11 Os 119/10z und RIS Justiz RS0126370). Da die Anträge nicht erkennen lassen, weshalb die Erneuerungswerber hier dennoch bereits im Ermittlungsverfahren in ihren durch Art 6 MRK garantierten Rechten verletzt seien sollen, legen sie die Opfereigenschaft (Art 34 MRK) nicht deutlich und bestimmt dar (13 Os 51/15x; 13 Os 90/15g; 13 Os 64/16k).

Soweit die Erneuerungswerber Passagen der Entscheidung verkürzt referieren und behaupten, das Oberlandesgericht sei zum Ergebnis gelangt, dass der dringende Tatverdacht aus einer „ex post“ Perspektive jedenfalls zwischenzeitig entkräftet worden sei, entfernen sie sich vom Inhalt der bekämpften Entscheidung. Auf das daraus entwickelte Vorbringen ist daher nicht einzugehen.

Angemerkt sei, dass sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Bewilligung einer Durchsuchung – auch wenn in anderen Zusammenhängen im Beschwerdeverfahren eine Neuerungserlaubnis besteht – nur auf den damaligen Entscheidungszeitpunkt beziehen kann („ex ante“ Perspektive). Nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstände, die aus späterer Sicht zur Annahme führen, es fehle an einer Durchsuchungsvoraussetzung, machen die seinerzeitige Entscheidung, wie das Oberlandesgericht zutreffend erkannte, nicht rechtswidrig (vgl RIS Justiz RS0127268 [T7]). Davon unberührt bleibt die in § 89 Abs 2b erster Satz StPO wurzelnde Pflicht des Beschwerdegerichts, noch andauernde Maßnahmen, wie Untersuchungshaft, beim Wegfall einer gesetzlichen Voraussetzung unverzüglich zu beenden (vgl dazu auch Nimmervoll , Zum Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren, JSt 2016, 105; Riffel , RZ 2016, 159 [161]).

Indem die Erneuerungswerber eine Verletzung von Art 8 MRK geltend machen und erneut relevieren, dass nach Erlassung der Zwangsmaßnahme hervorgekommene Beweisergebnisse vom Oberlandesgericht nicht berücksichtigt worden seien (der Sache nach ebenfalls Art 6 MRK), ist auf das bereits Dargelegte zu verweisen.

Die Behauptung der Verkennung der Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs durch das Rechtsmittelgericht orientiert sich nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (BS 73 ff), übergeht die gegen die Antragsteller selbst bestehende Verdachtslage und die zur Wahrung des Berufsgeheimnisses erfolgte Beiziehung eines Vertreters der gesetzlichen Interessenvertretung (§ 121 Abs 2 letzter Satz StPO). Damit entzieht auch sie sich einer meritorischen Erwiderung.

Weshalb es unzulässig sein sollte, den dringenden Tatverdacht (auch) auf eine im Insolvenzverfahren mit Genehmigung des Insolvenzgerichts (§ 81 Abs 4 IO) veranlasste Analyse zu stützen, die zum Strafakt genommen wurde, erklären die Antragsteller mit ihrer in diesem Zusammenhang unverständlichen Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Privatgutachten im Übrigen nicht.

Die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens waren daher gemäß § 363b Abs 1 und 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

Rechtssätze
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