JudikaturJustiz13Os55/21v

13Os55/21v – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. September 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen ***** S***** und andere Beschuldigte wegen Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 317 HR 30/16p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der G***** Aktiengesellschaft auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption führt zu (nunmehr) AZ 6 St 2/17d (AZ 317 HR 30/16p des Landesgerichts für Strafsachen Wien) ein Ermittlungsverfahren (unter anderem) gegen ***** S***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen. Diesem Verfahren schloss sich die G***** Aktiengesellschaft am 11. August 2017 als Privatbeteiligte an.

[2] Mit Beschluss vom 27. Oktober 2020, AZ 19 Bs 26/20t, gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Jänner 2020, AZ 317 HR 30/16p, mit dem einem Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 Abs 1 StPO) der G***** Aktiengesellschaft Folge gegeben worden war, statt, hob den angefochtenen Beschluss auf und wies den Einspruch wegen Rechtsverletzung ab.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich der Antrag der G***** Aktiengesellschaft auf Erneuerung des Strafverfahrens.

[4] Dieser Antrag ist unzulässig.

[5] Bei einem – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 sowie 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge (RIS Justiz RS0122737).

[6] Es sind daher (unter anderem) die zeitlichen Schranken des Art 35 Abs 1 MRK zu beachten, der die Einhaltung einer sechsmonatigen Frist nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung verlangt (RIS Justiz RS0122736).

[7] Der Beginn des Fristlaufs richtet sich dabei nach nationalem Recht (hier nach dem Zeitpunkt der Zustellung [§ 86 Abs 2 StPO, § 89d Abs 2 GOG]), während der Ablauf der Frist des Art 35 Abs 1 MRK, der sich demgegenüber im Einklang mit den Kriterien der Konvention bestimmt, nicht durch § 84 Abs 1 Z 5 StPO erstreckt wird (RIS Justiz RS0129655 [insb T2]; zu den Bedingungen der Fristberechnung vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 13 Rz 40, 44; Meyer-Ladewig/Peters in Meyer Ladewig et al , EMRK 4 Art 35 Rz 30 f mwN).

[8] Vorliegend war die endgültige innerstaatliche Entscheidung der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 27. Oktober 2020, AZ 19 Bs 26/20t. Die nach der Aktenlage am 2. November 2020 erfolgte Zustellung (§ 89d Abs 2 GOG) einer Ausfertigung dieses Beschlusses an den Rechtsvertreter der G***** Aktiengesellschaft löste somit die Frist des Art 35 Abs 1 MRK aus, die solcherart mit Ablauf des 2. Mai 2021 (der auf einen Sonntag fiel) endete.

[9] Der am 3. Mai 2021 eingebrachte Antrag ist daher verspätet.

[10] Im Übrigen wäre der Antrag auch deshalb zurückzuweisen gewesen, weil die G***** Aktiengesellschaft als Privatbeteiligte zu diesem Rechtsbehelf nicht legitimiert ist (RIS Justiz RS0126446 [T3] und RS0126176 [T1]).

[11] Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen (§ 363b Abs 1 und 2 StPO).

Rechtssätze
4
  • RS0126446OGH Rechtssatz

    29. September 2021·3 Entscheidungen

    Die von § 363b Abs 2 Z 1 StPO genannte, in der Unterschrift eines Verteidigers bestehende Zulässigkeitsvoraussetzung hat den Obersten Gerichtshof - mit Blick auf das bloß zwischen Anklägern und Beschuldigten (§ 38 Abs 3 StPO idF vor BGBl I 2004/19) differenzierende Verständnis des (von der Anpassungsgesetzgebung an das StPRefG unberührt gebliebenen) Erneuerungsverfahrens - dazu veranlasst, Grundrechtsschutz nach § 363a StPO unter dem Aspekt als verletzt reklamierter Anklägerinteressen zu verneinen. Ankläger (zu denen neben Privatanklägern, Subsidiaranklägern und Privatbeteiligten etwa auch Antragsteller nach §§ 6 bis 7c und 9 f MedienG zählen) sind nicht antragslegitimiert, weil diese sich selbst nach dem Verständnis des historischen Gesetzgebers (BGBl 1996/762) keines Verteidigers bedienen konnten (§ 39 StPO idF vor BGBl I 2004/19). Personen, die als Ankläger von einer Grundrechtsverletzung betroffen sind, sollte unter dem Aspekt innerstaatlicher Umsetzung von Urteilen des EGMR (Art 46 MRK; zur nachträglich erkannten Lücke aufgrund veränderter Normsituation vgl 13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832) kein Recht auf Neudurchführung von strafgerichtlichen Verfahren eingeräumt werden (vgl RIS-Justiz RS0123644). Angesichts der vom historischen Gesetzgeber intendierten, weiterhin systemkonformen Schutzrichtung gilt nichts anderes für Opfer (§ 65 StPO) in dieser Eigenschaft. Deren Interesse wird durch die Zulässigkeit von Fortführungsanträgen (§ 195 StPO) ausreichend geschützt. Für andere von strafgerichtlicher Grundrechtsverletzung im vorstehend definierten Sinn Betroffene gelten diese Überlegungen jedoch nicht. Sie gelten auch nicht in Betreff des hier reklamierten Grundrechtsschutzes Dritter (vgl bereits 13 Os 162/07h, EvBl-LS 2008/31, 189; 14 Os 160/07x), für welche das Erfordernis der Verteidigerunterschrift demnach mit der Maßgabe gilt, dass von ihnen gestellte Anträge der Unterschrift einer im Sinn des § 48 Abs 1 Z 4 StPO zur Verteidigung befähigten Person bedürfen.