JudikaturJustiz13Os30/82

13Os30/82 – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. März 1982

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.März 1982 unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Horak, Dr. Schneider, Dr. Hörburger und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Payrhuber als Schriftführers in der Strafsache gegen Lisbeth A wegen des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs. 2 StGB über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 6.Mai 1981, AZ. 9 Bs 365/80, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Horak, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Knob, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgerichts vom 6.Mai 1981, AZ. 9 Bs 365/80, verletzt durch die Verneinung des Merkmals der Öffentlichkeit nach dem Tatbestand des § 283 Abs. 2 StGB im konkreten Fall die Bestimmungen der §§ 283 Abs. 2 und 69 StGB

Text

Gründe:

Das Landesgericht für Strafsachen Graz sprach mit dem Urteil vom 23. Oktober 1980, GZ. 6 E Vr 2789/79-22, die Schriftstellerin Lisbeth A von der wider sie (wegen des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs. 2

StGB) erhobenen Anklage, sie habe in der Zeit zwischen April und Oktober 1979 in Graz vorsätzlich durch die Verbreitung von 90 Exemplaren des von Jean B verfaßten Buchs mit dem Titel 'Die schlimmsten Feinde unserer Völker' öffentlich in einer die Menschenwürde verletzenden Weise gegen eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer im Inland bestehenden Religionsgesellschaft und zu einem Volk bestimmte Gruppe gehetzt, sie beschimpft und verächtlich zu machen gesucht, gemäß § 259 Z. 3 StPO frei.

Das erkennende Gericht ließ in diesem Urteil die Frage offen, ob das erwähnte Buch als geschichtliches Werk oder als 'pseudowissenschaftliches, einem naiven Horrorroman gleichendes Machwerk' zu beurteilen sei, gelangte aber jedenfalls zu der überzeugung, daß dessen Inhalt (objektiv) nicht die zur Herstellung des Tatbestands nach dem § 283 Abs. 2 StGB nötige Eignung besitze, und daß Lisbeth A mit der Versendung von rund 90 Exemplaren an verschiedene Personen aus ihrem Bekannten- und Freundeskreis auch (subjektiv) gar nicht im Sinn dieser Gesetzesstelle hetzen, beschimpfen oder verächtlich machen wollte.

Das vom öffentlichen Ankläger im Strafantrag und in der Hauptverhandlung (S. 207) gestellte Begehren, das Druckwerk gemäß dem § 41 Abs. 1 PresseG. für verfallen zu erklären, wird weder im Spruch noch in der Begründung des Ersturteils erwähnt oder meritorisch behandelt.

Der von der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil ergriffenen Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, bei welcher das Beweisverfahren (der Sache nach) durch den Vortrag des wesentlichen Inhalts des Druckwerks und durch Befragung der Lisbeth A wiederholt worden war, mit dem Urteil vom 6.Mai 1981, AZ. 9 Bs 365/80 (ON. 29 im Akt 6 E Vr 2789/79 des Landesgerichts für Strafsachen Graz) keine Folge. Mit ihrem Antrag auf Verfall des inkriminierten Druckwerks gemäß § 41 Abs. 1 PresseG. wurde die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen. Das Berufungsgericht beurteilte den Inhalt des in Rede stehenden Buchs (anders als das Erstgericht) vor allem mit Rücksicht auf die in dessen Nachwort zum Ausdruck kommende antijüdische Tendenz zwar als objektiv geeignet, den Tatbestand des § 283 Abs. 2 StGB zu erfüllen, meinte aber, daß es am Tatbestandsmerkmal der 'Öffentlichkeit' im Sinn des § 69 StGB mangle. Die Tatsache, daß das Buch an ca. 90 zu Lisbeth A als deren Freunde und Bekannte in einer gewissen Beziehung stehende Personen und damit an einen größeren Personenkreis versendet wurde, reiche angesichts des Umstands, daß die Unmittelbarkeit der Wahrnehmbarkeit von einem größeren Personenkreis nicht gegeben gewesen sei, nicht aus. Denn trotz konkreter Wahrnehmbarkeit für einen größeren Personenkreis fehle es an der Öffentlichkeit der Handlung, wenn diese den Charakter der Vertraulichkeit besitze; zudem sei eine Handlung auch dann nicht öffentlich begangen, wenn nur die Möglichkeit bestehe, daß sie nachträglich einem größeren Kreis zur Kenntnis gelange. Da es sich bei Lisbeth A nicht um den Verleger des Druckwerks handle, komme auch die subsidiäre Strafbestimmung des § 30 Abs. 2 PresseG. nicht in Betracht, mangels Vorliegens einer periodischen Druckschrift ebensowenig die Bestimmung des § 30 Abs. 1 PresseG. Mit ihrem Verfallsantrag sei die Staatsanwaltschaft auf die getroffene Entscheidung zu verweisen gewesen, weil der Verfall nach § 41 Abs. 1 PresseG. eine Verurteilung des Angeklagten voraussetze.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgerichts vom 6. Mai 1981, AZ. 9 Bs 365/80, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Die darin vertretene Ansicht, nach der Art der Versendung hätte die Handlung (Verhetzung) nicht unmittelbar von einem größeren Personenkreis wahrgenommen werden können, beruht ersichtlich auf einer Verwechslung des Begriffs der Unmittelbarkeit mit jenem der Gleichzeitigkeit. Öffentliche Begehung im Sinn der §§ 283 und 69 StGB erfordert zwar unmittelbare, aber durchaus nicht gleichzeitige Wahrnehmbarkeit der betreffenden Handlung für einen größeren Personenkreis. Daß ein solcher Personenkreis im vorliegenden Fall mit ca. 90 Buchempfängern gegeben war, ist unbestritten. Nicht zweifelhaft kann aber auch sein, daß alle Personen, die das Druckwerk - wenn auch nicht gleichzeitig -

erreichte, dessen Inhalt unmittelbar wahrnehmen konnten. Die darüber hinaus gegebene Möglichkeit, daß die (bereits selbst einen größeren Personenkreis darstellenden) Buchempfänger das Druckwerk weiteren Personen zugänglich machen und damit den kenntnisnehmenden Personenkreis noch erweitern könnten (sog. 'Sukzessivöffentlichkeit') ist daher hier gar nicht aktuell (vgl. hiezu Leukauf-Steininger2, RN. 5 - 7 zu § 69).

Im übrigen wird ein Medieninhaltsdelikt gemäß § 1 Abs. 1 Z. 12 MedienG. (früher: 'Preßinhaltsdelikt' nach § 29 PresseG.) regelmäßig schon durch die Verbreitung des bezüglichen Druckwerks öffentlich begangen, wobei unter 'Verbreitung' (nach dem Mediengesetz, BGBl. Nr. 314/1981, ebenso wie früher nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 3 PresseG.) jede Tätigkeit zu verstehen ist, durch die das Druckwerk einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht, d.h. durch welche die Möglichkeit der Kenntnisnahme des Inhalts durch einen größeren Personenkreis geschaffen wird; wirkliche Kenntnisnahme ist nicht erforderlich (vgl. SSt. 15/81, 14/92 u.a. sowie Hartmann-Rieder, Mediengesetz, Anm. 1 und 2 zu § 1 Z. 1 und die Regelung der 'Veröffentlichungspflicht' in § 46 MedienG.). Demgemäß wird die Begehung in einem Druckwerk auch im Strafgesetzbuch selbst wiederholt der öffentlichen, zum Teil sogar der qualifiziert öffentlichen Begehung (Begehung auf eine Weise, daß sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird) gleichgestellt (vgl. §§ 111 Abs. 2, 117 Abs. 2; 220; 281, 282; 301 Abs. 1 StGB und Foregger im Wiener Kommentar, RN. 31 zu § 111 StGB).

Im vorliegenden Fall mangelte es aber auch nicht etwa deshalb an dem zur Herstellung des Tatbestands nach § 283 Abs. 2 StGB erforderlichen Merkmal der Öffentlichkeit, weil die Verbreitungshandlungen der Lisbeth A den Charakter der Vertraulichkeit gehabt hätten. Denn den bezüglichen Feststellungen sowohl des Erstgerichts als auch des Berufungsgerichts kann nur entnommen werden, daß jene - willkürlich dem Adreßbuch entnommenen (vgl. S. 124, 175) - Personen, denen das Druckwerk zugesandt wurde, zu Lisbeth A als deren Freunde und Bekannte zwar in einer gewissen (losen) Beziehung standen, nicht aber, daß ihnen - wie etwa Angehörigen bei Äußerungen im Familienkreis - nach den Intentionen der Absenderin eine vertrauliche Mitteilung gemacht worden wäre. Bei richtiger Anwendung des Gesetzes hätte das Oberlandesgericht Graz das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit daher bejahen müssen, weshalb es sich erübrigt, auch noch auf die Frage einzugehen, inwieweit andernfalls unter Umständen eine Haftung nach der subsidiären Strafbestimmung des (bis 31.Dezember 1981 in Kraft gestandenen) § 30 Abs. 2 PresseG. (bzw. ein Verfall des Druckwerks gemäß § 42 Abs. 3 PresseG.) in Frage gekommen wäre. Nur der Vollständigkeit halber sei jedoch erwähnt, daß die Bestimmung des § 30 Abs. 2 PresseG. unter gewissen Voraussetzungen auch eine Haftung des Verbreiters vorsah, sodaß das Oberlandesgericht Graz eine Haftung der Lisbeth A nach dieser Gesetzesstelle lediglich mit der Begründung, daß es sich bei ihr nicht um den Verleger des Druckwerks handle, nicht verneinen durfte.

Im übrigen muß es mit der Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzung sein Bewenden haben, weil sich diese nicht zum Nachteil der (freigesprochenen) Angeklagten auswirkte und daher auch nicht zu einer konkreten Maßnahme (§ 292, letzter Satz StPO) Anlaß geben kann.

In Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Beschwerde war daher spruchgemäß zu erkennen.