JudikaturJustiz13Os148/94

13Os148/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Oktober 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Oktober 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kahofer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz H***** wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 14.Juni 1994, 24 Bs 40/94, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Zehetner und der Verteidigerin Mag.Lammermayr jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 14.Juni 1994, 24 Bs 40/94, verletzt § 6 Abs 5 StEG. Er wird gemäß § 292 letzter Satz StPO aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

Gründe:

Franz H***** befand sich in dem gegen ihn beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu 25 bVr 3829/93, wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB geführten Verfahrens seit 24.März 1993 (5,30 Uhr) in Untersuchungshaft. Am 6.April 1993 wurde dieses Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 109 Abs 1 StPO eingestellt (S 4 a). Der Beschuldigte wurde um 16,20 Uhr desselben Tages enthaftet (S 83), nachdem ihm vorher die Einstellung des Verfahrens mitgeteilt worden war. Bei dieser Vernehmung verzichtete er auf eine Haftentschädigung (S 67 c). Er war dazu (nach dem ergänzenden Bericht des die Enthaftung veranlassenden Richters, ON 19) vorher belehrt worden.

Am 29.April 1993 beantragte sein Verteidiger die beschlußmäßige Feststellung seines "Ersatzanspruches gemäß §§ 1 und 2 StEG" (ON 12). Nach Anhörung des Franz H***** entschied die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (am 27.Oktober 1993), daß ihm für die durch die Anhaltung vom 24.März 1993, 5,30 Uhr, bis 6.April 1993, 16,20 Uhr, entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile kein Ersatzanspruch zustehe, weil der Tatverdacht nicht entkräftet worden sei (ON 15).

Dieser Beschluß wurde am 30.Dezember 1993 dem Verteidiger zugestellt (RSa bei S 3 d), der dagegen am 12.Jänner 1994 Beschwerde erhob (ON 16). Nach deren Vorlage an das Oberlandesgericht Wien stellte dieses die Akten mit dem Auftrag an das Erstgericht zurück, den angefochtenen Beschluß gemäß § 6 Abs 4 StEG dem Anspruchswerber zu eigenen Handen zuzustellen und zu klären, ob dessen Verzichtserklärung eine ordnungsgemäße Belehrung und Anhörung zu diesem Punkt vorangegangen und die vom Verteidiger des Angehaltenen eingebrachte Beschwerde neuerlich erhoben werde. Nur in diesem Fall sei der Akt neuerlich vorzulegen (ON 18).

Das Erstgericht stellte deswegen Franz H***** den Ratskammerbeschluß samt einer diesem Auftrag entsprechenden Aufforderung am 8.März 1994 zu eigenen Handen zu (RSa bei AS 4 d). Nach einer Urgenz der Rechtsmittelerklärung wurde der Anspruchswerber zu Gericht geladen, wo er (am 18.Mai 1994) zu Protokoll gab, daß er die Beschwerde seines Anwaltes aufrecht erhalte (ON 20).

Mit dem im Spruch bezeichneten Beschluß wies das Oberlandesgericht Wien die Beschwerde als verspätet zurück. Einem am 4.Juli 1994 beim Erstgericht eingelangten Antrag auf Wiedereinsetzung (ON 23) gab das Oberlandesgericht nicht Folge und wies die gleichzeitig neuerlich erhobene Beschwerde als unzulässig zurück (Beschluß vom 29.Juli 1994, 24 Bs 272/94, ON 26).

Über das Vorliegen der (vom Antragsteller auch behaupteten) Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit a StEG wurde bisher noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Der verfahrensgegenständliche Beschluß des Oberlandesgerichtes verletzt, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, das Gesetz.

Gemäß § 6 Abs 5 StEG stehen Staatsanwalt und Angehaltenem gegen einen Beschluß, mit welchem das Gericht über die Anspruchsvoraussetzungen der Ersatzpflicht des Bundes für die durch die strafgerichtliche Anhaltung oder Verurteilung entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile entscheidet, die binnen vierzehn Tagen zu erhebende Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu. Die Zustellung des Beschlusses hat nach § 6 Abs 4 StEG an den Angehaltenen oder Verurteilten zu eigenen Handen zu erfolgen. Es ist aber weder in dieser Gesetzesstelle noch in den Bestimmungen der StPO ein Verbot enthalten, das Rechtsmittel auch schon vor Zustellung der Entscheidung zu erheben (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 ENr 69 zu § 427, ENr 13 zu § 285). Dazu ist lediglich die Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung vorausgesetzt. Ist deren Verkündung im Gesetz nicht vorgesehen, wird sie mit Feststellung des Ergebnisses der Abstimmung durch den Vorsitzenden existent und kann, wenn sie in schriftlicher Abfassung zur Ausfertigung übergeben worden ist, nicht mehr abgeändert werden (§ 116 Abs 5 und 119 Abs 3 Geo). Mit der Bindung des Gerichtes an seinen Beschluß muß aber auch dessen Anfechtung als möglich und zulässig angesehen werden, auch wenn er noch nicht (den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend) zugestellt worden ist, weil nur der Ablauf der Rechtsmittelfrist Verwirkungsfolgen nach sich zieht. Es kann deshalb auch der Rechtsmittelberechtigte, dem der Beschluß zu eigenen Handen zuzustellen ist, noch vor dessen Zustellung an ihn die Beschwerde erheben, wenn er schon auf irgendeine andere Weise, etwa durch Zustellung an den Anwalt oder Akteneinsicht, von der Existenz dieses Beschlusses Kenntnis erlangt hat. Für die Rechtswirksamkeit einer solchen Beschwerde kann es keinen Unterschied machen, ob sie vom Rechtsmittelberechtigten selbst oder in dessen Namen von seinem ausgewiesenen Verteidiger erhoben wird, weil nach § 44 StPO der einmal bestellte Verteidiger zur Vornahme einzelner Prozeßhandlungen keiner besonderen Vollmacht bedarf und deshalb auch ohne den Willen seines Mandanten für diesen Rechtsmittel anzumelden und auszuführen berechtigt ist, die für diesen auch wirksam sind, solange der Mandant nicht gegenüber dem Gericht eine widersprechende Erklärung abgibt (EvBl 1962/261; 9 Os 44/76).

Aber auch der Meinung des Beschwerdegerichtes, der von Franz H***** anläßlich seiner Enthaftung erklärte Verzicht auf Haftentschädigung (S 67 c) sei mangels Belehrung über die Anspruchsvoraussetzungen rechtsunwirksam, kann nach der Aktenlage derzeit nicht beigetreten werden. Aus der Stellungnahme des Untersuchungsrichters geht hervor, daß diese Erklärung nach vorausgegangener richterlicher Belehrung erfolgte. Aus dieser Stellungnahme läßt sich jedoch nicht entnehmen, daß diese Belehrung die Anspruchsvoraussetzungen (§ 2 Abs 1 lit a und b StEG) nicht berührt habe (siehe Mayerhofer-Rieder, Nebenstrafrecht3, § 6 StEG ENr 10).

Die gesetzesverletzende Entscheidung war deswegen zu kassieren und wie im Spruch zu erkennen.

Rechtssätze
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