JudikaturJustiz13Os141/06v

13Os141/06v – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. April 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. April 2007 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag. Lendl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Reinhard S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 23. August 2006, GZ 20 Hv 16/06g-191, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. Reinhard S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./), der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II./ 1.), des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242 (II./ 2.), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (III./), der Vergehen der teils versuchten, teils vollendeten pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach §§ 207a Abs 1 Z 1, 15 StGB (IV./), der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (V./), der Vergehen des teils versuchten, teils vollendeten Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 2 Z 1, 15 StGB (VI./ und VII./), des Vergehens der Kuppelei nach § 213 Abs 1 StGB (VIII./), der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IX./), der Vergehen der teils versuchten, teils vollendeten Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 15 StGB (X./) sowie des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (XI./) schuldig erkannt.

Danach hat er - soweit für das Rechtsmittelverfahren von Relevanz - in Knittelfeld und an anderen Orten

I./ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach August 2004 Margarethe A***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes genötigt, indem er gegen ihren ausdrücklich deklarierten Willen und trotz ihres Widerstandes - der sich insbesondere darin manifestierte, dass sie ihn mit Körperkraft abzuwehren und von ihm Abstand zu gewinnen versuchte, wobei sie ihm unter anderem in die Hand biss - ihr Kleid hochschob und ihre Unterhose hinunterzog, sie wiederholt festhielt und an sich zog, Schläge gegen ihren Bauch versetzte, in ihre Brüste biss und zwickte und letztlich von hinten seinen Penis in ihre Scheide einführte und den Geschlechtsverkehr vollzog;

...

III./ mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 14. April 2005 einen Finger in die Scheide der am 3. Jänner 1992 geborenen Jasmin T***** einführen wollte, zu diesem Zweck den Finger in Richtung ihres Scheideneinganges führte und mit dem Scheideneingang in Berührung brachte, wobei es jedoch bei diesem Ansetzen zur Penetration blieb, weil Jasmin T***** von ihm abrückte;

...

XI./ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2005 die an hochgradigem Schwachsinn und schwerster Intelligenzminderung leidende Silvia Fo*****, somit eine Person, die wegen Schwachsinns unfähig war, die Bedeutung des Vorganges einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustandes dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornahm, indem er ihr am Beifahrersitz seines Pkw den Sicherheitsgurt über ihre nackte Brust dergestalt anlegte, dass der Gurt massiv in die Brust einschnitt.

Rechtliche Beurteilung

Der sich gegen die Schuldsprüche I./, III./ und XI./ richtenden, auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Zum Schuldspruch I./:

Entgegen der Unvollständigkeit behauptenden Mängelrüge (Z 5) berücksichtigten die Tatrichter sowohl die zu diesem Punkt leugnende Verantwortung des Angeklagten als auch die zu diesem inkriminierten Geschehen vorhandene Videoaufzeichnung (US 63 f). Soweit der Beschwerdeführer aus dieser Aufnahme zwei kurze Wortpassagen herausnimmt und im Hinblick darauf eine gesonderte Erörterung dieser Sequenz moniert, übergeht er die das gesamte Aufzeichnungsmaterial umfassende Analyse des Geschehensablaufes durch das Schöffengericht, wobei sich die erkennenden Richter auch mit den aus ihrer Sicht lediglich als Folge der Aussichtslosigkeit weiterer Gegenwehr zustande gekommenen Kussszenen auseinander setzten (US 26 f iVm US 64).

Das Schöffengericht stützte den Schuldspruch I./ im Wesentlichen auf die vorliegende Videoaufzeichnung (US 63). Die im Urteil auch erwogenen Angaben der Zeugin A***** in ON 73 stehen dazu nicht im Widerspruch, zumal das unter Depressionen und Gedächtnisstörungen leidende Tatopfer (US 23) zum konkret inkriminierten Sachverhalt keine Erinnerungen mehr hatte (vgl S 209/III und S 279/IV) und die in den Rechtsmittelausführungen hervorgehobenen freiwilligen Kontakte das sonstige Verhältnis zu Dr. S***** betrafen (vgl S 277 und 297/IV).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich in einer eigenständigen Bewertung der Beweisergebnisse, ohne damit erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Feststellungen aufzuzeigen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Zeugin A***** nach der im Schuldspruch I./ inkriminierten Vergewaltigung noch mehrfach die Ordination des Rechtsmittelwerbers aufsuchte, zumal das psychisch schwer beeinträchtigte Tatopfer keine Erinnerung an diesen sexuellen Missbrauch hatte. Inwieweit die Beweismittel vom Erstgericht lediglich unvollständig ausgeschöpft wurden, wird im Rechtsmittel nicht näher ausgeführt, sodass - ungeachtet fehlender Behauptungen, an einer entsprechenden Antragstellung gehindert gewesen zu sein (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480) - eine sachbezogene Erwiderung auf diesen Einwand nicht möglich ist.

In der Rechtsrüge (Z 9 lit a) geht der Nichtigkeitswerber nicht von den ein Einverständnis des Tatopfers ausschließenden Urteilsannahmen (US 24 ff) aus. Mit auf seine Verantwortung gestützten anderen Schlussfolgerungen bekämpft er inhaltlich lediglich die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichtes, ohne damit einen Mangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufzeigen zu können.

Zum Schuldspruch III./:

Die differenzierte Beurteilung der Überzeugungskraft der Zeugin T*****, ihre Aussagen, einen sexuellen Missbrauch an ihrer Person einerseits und einen solchen an der Zeugin G***** andererseits betreffend, wurde von den Tatrichtern - bezogen auf die jeweilige unterschiedliche Sachverhaltskonstellation - eingehend dargelegt (US 70 f). Daraus kann keine Widersprüchlichkeit abgeleitet werden. Entgegen dem weiteren Vorbringen erwog das Schöffengericht sowohl die zu diesem Punkt leugnende Einlassung des Dr. S***** (US 68 und 72) wie auch die Angaben der Zeuginnen G***** und T***** (US 71 f). Mit der Beweiswürdigung des erkennenden Gerichtes zuwiderlaufenden eigenen Schlussfolgerungen stellt der Beschwerdeführer hingegen keinen Begründungsfehler iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO dar. Das Vorbringen in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu einem Mangel an Feststellungen zur subjektiven Tatseite übergeht die expliziten Urteilskonstatierungen dazu (US 38).

Entgegen der Beschwerde wurde die (lediglich im § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB, nicht aber im Fall des Abs 1 leg. cit. vorausgesetzte und daher gar nicht schulderhebliche; vgl RIS-Justiz RS0094905) Absicht des Angeklagten, sich sexuell zu erregen, ausdrücklich angenommen (vgl wiederum US 38).

Der Standpunkt, dass die im Schuldspruch III./ inkriminierte Handlung nicht dem Tatbestand des § 206 Abs 1 StGB zu unterstellen sei, weil sie während eines Piercings vorgenommen wurde, wird bloß bezogen, aber nicht aus dem Gesetz abgeleitet (vgl 13 Os 151/03, SSt 2003/98 = JBl 2004, 531 m Anm von Burgstaller).

Im Übrigen setzt die Deliktsvollendung lediglich einen vom Vorsatz des Täters umfassten objektiven Sexualbezug, also eine Berührung unmittelbarer geschlechtsbezogener Körperpartien voraus. Unter geschlechtlichen Handlungen, die dem Beischlaf gleichzusetzen sind, ist dabei jede auf Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichtete Form einer oralen, vaginalen oder analen Penetration zu verstehen. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass die Tathandlung der geschlechtlichen Befriedigung beider Partner dient; durch die Gleichstellung von Beischlaf und beischlafähnlichen Sexualakten sollte vielmehr der vergleichbaren Intensität und sexuellen Inanspruchnahme des Opfers und der Schwere des Eingriffes in die sexuelle Selbstbestimmung sowie dem Ausmaß der Demütigung und Erniedrigung Rechnung getragen werden (vgl Schick in WK2 [2006] § 201 Rz 21 ff iVm § 202 Rz 10; Kienapfel/Schmoller StudB BT III Vorbem §§ 201 ff Rz 30; RIS-Justiz RS0094905 und RS0113816). Eine digitale Vaginalpenetration ist eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung, wenn sie nach der konkreten Fallgestaltung in der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen nach allgemeinem Verständnis eine solche Gleichsetzung zulässt (vgl RIS-Justiz RS0095004). Das Vorliegen weiterer Tatmodalitäten, welche eine Sexualbezogenheit ausdrücken, ist nicht erforderlich. Auf die subjektive Vorstellung des Täters kommt es nicht an: eine digitale Vaginalpenetration bleibt eine geschlechtliche Handlung, selbst wenn der Täter ausschließlich aus sexualfremden Gründen gehandelt hat. Medizinisch indizierte und lege artis durchgeführte Heileingriffe iwS sowie diagnostische und prophylaktische Eingriffe - so etwa das Einführen eines Fieberthermometers - verwirklichen kein tatbestandsmäßiges Unrecht iS der in Betracht kommenden Delikte des 10. Abschnittes des Besonderen Teiles des Strafgesetzbuches, weil sie sozialadäquate, daher rechtlich nicht missbilligte Verhaltensweisen darstellen (vgl 11 Os 4/05f). Ausschließlich kosmetische Eingriffe an sexualbezogenen Körperpartien einer Unmündigen - wie etwa im vorliegenden Fall ein Piercing - sind hingegen per se geschlechtliche Handlungen iSd §§ 206 f StGB.

Soweit die inhaltlich als Subsumtionsrüge (Z 10) zu wertende Beschwerde nicht weiter substantiiert einen bloßen Versuch des Verbrechens nach § 206 Abs 1 StGB vorbringt, legt sie nicht dar, weshalb trotz der Konstatierung, wonach Dr. S***** in der Absicht, in die Scheide einzudringen, einen Finger in Richtung des Scheideneingangs der unmündigen Zeugin T***** führte und mit dem Scheideneingang in Berührung brachte (US 38), bei diesem Unternehmensdelikt das in der Nichtigkeitsbeschwerde hervorgehobene Ansetzen zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung (vgl Schick in WK² § 206 Rz 12) noch nicht vorgelegen habe. Warum angesichts dieser Urteilsannahmen das Penetrationselement für eine dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung gemäß § 206 Abs 1 StGB fehlen sollte, bleibt gleichermaßen offen.

Zum Schuldspruch XI./:

Die Behauptung unzureichender Begründung (Z 5) zur Sexualbezogenheit der im Schuldspruch XI./ inkriminierten Tathandlung übergeht, dass sich das Erstgericht insoweit nicht nur auf eine Interpretation der vom Nichtigkeitswerber angefertigten Lichtbilder stützte, sondern auch entsprechende Rückschlüsse aus ähnlichen - wiederum durch Fotos dokumentierten - Sexualpraktiken des Angeklagten bei anderen Tatopfern zog (US 81).

Der Beschwerde zuwider erwogen die Tatrichter sowohl die zu diesem Vorwurf leugnende Verantwortung des Rechtsmittelwerbers als auch die ein positives Bild des Beschwerdeführers zeichnenden Angaben der Verwandten des Tatopfers (US 80 f).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum angeblichen Mangel an Feststellungen betreffend den sexuellen Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person lässt abermals die darauf abstellenden Urteilskonstatierungen (US 57 f, 81 und 107) außer Acht. Soweit der Nichtigkeitswerber aus den Beweisergebnissen wiederum andere Konsequenzen als die Erstrichter zieht, vermag er weder einen rechtlichen Fehler noch einen Mangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufzuzeigen.

Der Beschwerde zuwider ging das erkennende Gericht ausdrücklich davon aus, dass Dr. S***** sein Opfer im Brustbereich erheblich und auch über längere Zeit einschnürte, wobei er mit „sexuellen Hintergedanken" vorging (US 57 f). Mit der bloßen Behauptung, dies stelle keine geschlechtliche Handlung dar, wird der materiellrechtliche Nichtigkeitsgrund nicht deutlich und bestimmt ausgeführt.

Wenn schließlich beantragt wird, „nach § 288a StPO die Hauptverhandlung zu vernichten" und damit der Sache nach der Nichtigkeitsgrund des § 281a StPO geltend gemacht wird, fehlt es schon an den formellen Voraussetzungen, weil nach der Aktenlage ein Gerichtshof zweiter Instanz die Versetzung in den Anklagestand nicht ausgesprochen hat.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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