JudikaturJustiz13Os134/96

13Os134/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. September 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. September 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner und Dr. Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klotzberg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz Z***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Herbeiführung einer Feuersbrunst nach § 170 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha vom 20. Juli 1995, GZ 2 U 98/94-38, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache 2 U 98/94 des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha verletzt

1. die Vornahme der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung am 20. Juli 1995 gegen den abwesenden Beschuldigten §§ 79 Abs 1, 454 und 459 StPO;

2. die Erteilung der nicht gehörigen Rechtsmittelbelehrung an den Beschuldigten anläßlich der Zustellung des Urteiles § 3 StPO.

Dieses Urteil wird aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Bruck der Leitha verwiesen.

Mit seiner (unzulässigen) Berufung wird der Machthaber der Beschuldigten auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Im Strafverfahren AZ 2 U 98/94 des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha wurde auf Grund des Antrages auf Bestrafung (vom 21. April 1994; ON 4) wegen des Vergehens der fahrlässigen Herbeiführung einer Feuersbrunst nach § 170 Abs 1 StGB am 22. Mai 1995 gegen den in Ungarn wohnhaften ungarischen Staatsangehörigen Ferenc Z***** die Hauptverhandlung durchgeführt, zu der dieser nicht erschien. Für ihn schritt ein ungarischer Rechtsanwalt ein, der nach Vorlage einer in ungarischer Sprache abgefaßten Vollmacht des Beschuldigten vom Gericht als dessen Machthaber zugelassen wurde (S 114).

Diese Hauptverhandlung wurde zur Durchführung der vom Bezirksanwalt beantragten Beweise auf den 20. Juli 1995 vertagt. Danach wurde protokolliert: "Machthaber Dr. H***** nimmt den Termin unter Ladungsverzicht zur Kenntnis und er wird dem Beschuldigten zur Kenntnis bringen, daß er zur Hauptverhandlung persönlich erscheinen soll" (S 118).

Auch zur neuerlichen Hauptverhandlung, für die er nicht mehr vorgeladen wurde, erschien der Beschuldigte nicht. Er wurde abermals vom Machthaber vertreten. Nach Schluß dieser Verhandlung fällte das Bezirksgericht ein schuldigsprechendes Urteil, gegen das der Machthaber Berufung anmeldete (S 138).

Dem Beschuldigten wurde eine Urteilsausfertigung ohne Rechtsmittelbelehrung über ein Anwesenheitsurteil zugestellt (ON 38, Beilagen zu ON 43).

Schon vor dieser Zustellung an den Beschuldigten (am 28. November 1995; S 185) langte beim Erstgericht am 26. Juli 1995 eine - unzulässigerweise (s Mayerhofer/Rieder StPO3 § 455 Nr 8) - vom Machthaber als Vertreter des Beschuldigten verfaßte Berufungsausführung ein (ON 34, 35). Das in der Folge mit dem Verfahren befaßte Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dem Angeklagten sei neuerlich eine Urteilsausfertigung mit richtiger und vollständiger Rechtsmittelbelehrung zuzustellen (ON 48). Eine solche Zustellung (die allerdings keine Rechtswirkungen nach sich gezogen hätte, EvBl 1965/356), erfolgte bisher nicht. Es unterblieb daher auch eine Rechtsmittelentscheidung des Berufungsgerichtes.

Das Vorgehen des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha verletzt, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, in mehrfacher Hinsicht das Gesetz.

Ein Abwesenheitsurteil in der Bedeutung der §§ 459 und 478 StPO, welches mit Berufung aber auch mit Einspruch angefochten werden kann, liegt immer dann vor, wenn das Urteil in Abwesenheit des Beschuldigten gefällt und verkündet wird, soweit dies nicht auf einer sitzungspolizeilichen Maßnahme (§ 234 StPO) beruht (vgl Lohsing-Serini, Strafprozeßrecht4, S 392 ff). Die §§ 79 Abs 1 und 3 sowie 454 StPO sehen die persönliche Vorladung des Beschuldigten zur Hauptverhandlung vor. Eine diesbezügliche mündliche Mitteilung an einen Machthaber erfüllt diese Voraussetzung nicht (s Mayerhofer/Rieder StPO3 § 79 Nr 26 = § 455 Nr 10; § 427 Nr 14). Gemäß § 459 StPO ist die gehörige Vorladung des Beschuldigten unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung der Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit. Ohne Erfüllung dieser Bedingung darf auch bei Einschreiten eines Verteidigers oder Machthabers die Hauptverhandlung gegen den ausgebliebenen Beschuldigten nicht vorgenommen werden (SSt 19/157, 22/45 und 42/44). Sowohl die Durchführung der (vertagten) Hauptverhandlung als auch die Urteilsfällung stehen somit mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Für die anschließende Zustellung der Urteilsausfertigung an den Beschuldigten gilt das im § 3 StPO statuierte und insbesondere für Abwesenheitsurteile durch § 152 Abs 3 Geo konkretisierte Belehrungsgebot, dem nur dann entsprochen wird, wenn die Belehrung richtig und vollständig ist. Wegen unterbliebener Belehrung des Beschuldigten über die Einspruchsregelung des § 478 StPO wurde die Belehrungspflicht nicht erfüllt.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich die Gesetzesverstöße zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt haben, war ihre Feststellung im Sinn des § 292 letzter Satz StPO mit der Aufhebung des betroffenen Urteils sowie der Anordnung einer Verfahrenserneuerung zu verbinden.

Da die Aktenlage darauf hinweist, daß der eingeschrittene Machthaber sich dem Gericht gegenüber der ungarischen Sprache bediente (Gebührenverrechnung des Dolmetsch; ON 34), sei im Interesse des fortzusetzenden Verfahrens der Vollständigkeit wegen angemerkt, daß die Strafprozeßordnung bei gewillkürter Vertretung des Beschuldigten (Angeklagten) durch einen (in die Verteidigerliste eingetragenen: § 39 StPO) Verteidiger oder Machthaber als selbstverständlich (und daher im Gesetz nicht ausdrücklich angeführte Zulassungsbedingung) die (besondere) Verhandlungsfähigkeit des Vertreters, damit also auch seine Fähigkeit, gegenüber dem Gericht verständliche Erklärungen in der Gerichtssprache (vgl auch § 14, 2. Satz EWR-Rechtsanwaltsgesetz 1993) abzugeben, voraussetzt (siehe Mayer, Commentar, § 39 Nr 32; vgl dazu auch Lohsing-Serini, Strafprozeßrecht4, S 124). Die gerichtliche Übersetzungshilfe nach § 38 a StPO steht in Ausführung der (verfassungsgesetzlichen) Regelung des Art 6 Abs 3 lit a und e MRK dem Angeklagten selbst zu, nicht aber Bevollmächtigten, die der Gerichtssprache nicht hinreichend kundig sind. Solche Personen können somit in der Hauptverhandlung als Vertreter des Beschuldigten (Angeklagten) nicht zugelassen werden.

Rechtssätze
5