JudikaturJustiz13Os129/98

13Os129/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. November 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. November 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Rouschal, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Cihlar als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Wilhelm Sch***** wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§§ 142 Abs 1, 83 Abs 1) StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Jugendschöffengericht vom 2. Juli 1998, GZ 6 Vr 564/97-153, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs und der Verteidigerin Dr. Wolf, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Punkt II.B. des Schuldspruchs, jedoch nur hinsichtlich des Ausspruchs, der Angeklagte habe Claudia Ka***** (auch) ein Sparbuch mit einem Einlagestand von 50.000 S gewerbsmäßig mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und in der rechtlichen Beurteilung (auch) dieser Tat (als Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls), demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch einen unbekämpft gebliebenen Teilfreispruch enthaltenden - Urteil wurde Wilhelm Sch***** des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§§ 142 Abs 1, 83 Abs 1) StGB (I.A.), des Verbrechens des (zu ergänzen: schweren) gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB (II.B.) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II.C.) verurteilt.

Danach hat er in Wien

zu I. am 2. September 1997

A. sich fahrlässig durch den Genuß von berauschenden Mitteln, nämlich von ca 10 mg Rohypnol, die er auf einmal schluckte, in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt und in diesem Zustand

1. im einverständlichen Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Franz W***** als Mittäter (§ 12 StGB) Daniel Ku***** gestoßen, geschlagen und ihm 500 S aus der Hand gerissen und dadurch dem Genannten mit Gewalt fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern,

2. mit dem abgesondert verfolgten Franz W***** als Beteiligter den Michael Ki***** dadurch, daß sie ihn zusammenschlugen und traten, wodurch der Genannte Prellungen im Brustbereich, Abschürfungen am Daumen der rechten Hand und am rechten Knie sowie eine leichte Gehirnerschütterung erlitt, (zu ergänzen: am Körper verletzt)

3. alleine den Johannes S***** durch einen Faustschlag ins Gesicht, wodurch der Genannte eine Schwellung im Bereich des linken Kiefers erlitt, (zu ergänzen: am Körper verletzt)

zu II. am 2. April 1998

B. der Claudia Ka***** fremde bewegliche Sachen, nämlich ein Sparbuch mit einem Einlagestand von 50.000 S und zahlreiche Schmuckstücke im Wert von 60.000 S bis 80.000 S mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er überdies in der Absicht handelte, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen (§ 127 StGB) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen;

C. den Taxilenker Mohammed I***** gefährlich bedroht, indem er mit einer Gaspistole in die Luft feuerte, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Die Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien bekämpft die Schuldsprüche mit einer auf die Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der - in Übereinstimmung mit der Ansicht der Generalprokuratur - teilweise Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet, die Feststellung der vollen Berauschung sei unvollständig und unzureichend begründet, dies jedoch zu Unrecht. Entgegen den Beschwerdeausführungen hat sich nämlich der Sachverständige Prof. Dr. F***** keineswegs nur auf die Angaben des Angeklagten gestützt, sondern auch eingehend - allerdings kritisch - mit dem polizeiamtsärztlichen Gutachten (S 115/I) auseinandergesetzt (S 25 ff und 41 ff/II).

Davon abgesehen stehen weder das letztgenannte Gutachten bzw die Zeugenaussage des Amtsarztes Dr. O***** (S 141/II) noch der wesentliche Inhalt der Angaben des Zeugen Ki***** (ON 34, S 145/II) mit dem - in der Hauptverhandlung aufrechterhaltenen und ergänzten (S 191 ff/II) - Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F***** im Widerspruch. Dem Sachverständigen zufolge war zum Tatzeitpunkt die Wirkung des Rohypnols am stärksten (S 45 oben/II) und die Beeinträchtigung der Bewußtseinslage "ganz sicher" in den Hemm-, Brems-, Kontroll- und Steuermechanismen auffällig. Letzteres war bei der (ca vier Stunden nach der Tat durchgeführten) Untersuchung durch den Polizeiamtsarzt ersichtlich (noch immer) der Fall (S 141/II).

Auch den Aussagen des Zeugen Ki***** vor dem Untersuchungsrichter (ON 34) und in der Hauptverhandlung vom 29. Jänner 1998 (S 145/II) ist zu entnehmen, daß beim Angeklagten immerhin eine Beeinträchtigung der Bewußtseinslage - wenn auch keine Auffälligkeiten beim Sprechen und kein "Wanken" - wahrnehmbar war. Bei zusätzlicher Berücksichtigung des Umstandes, daß Ki***** sich zum Tatzeitpunkt ersichtlich gleichfalls unter dem Einfluß von Psychopharmaka befand (S 119, 219 verso Mitte/I, insb 195 verso oben/II), bestand somit für die Tatrichter keinerlei Veranlassung, sich mit der von diesem Zeugen stammenden laienhaften Beurteilung des Ausmaßes der Beeinträchtigung des Angeklagten näher zu befassen; zumal die Verhaltensschilderung des Zeugen zu den maßgeblichen Erwägungen des psychiatrischen Sachverständigen nicht in unlösbarem Widerspruch steht.

Entgegen der Subsumtionsrüge (Z 10) leidet das Urteil zu den dem Punkt I.A. des Schuldspruchs zugrundeliegenden Taten unter keinem Feststellungsmangel. Aktengetreu weist die Staatsanwaltschaft zwar auf die vom psychiatrischen Sachverständigen wiedergegebene Äußerung des Angeklagten hin, derzufolge Rohypnol in Kenntnis seiner dadurch erhöhten Aggressionsbereitschaft zu sich genommen hat (S 33/II; vgl S 39, 191, 193/II). Sie übersieht aber, daß eine Straftat dem Täter nur dann als (vorsätzliche) actio libera in causa zugerechnet werden kann, wenn dieser seine Berauschung mit dem (wenigstens bedingten) Vorstz oder gar in der Absicht herbeigeführt hat, eine bestimmte Straftat zu begehen (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 11 RN 31).

Für ein solches Vorhaben hat das Beweisverfahren jedoch keine Anhaltspunkte ergeben, sodaß für die von der Beschwerdeführerin vermißten Feststellungen kein Anlaß bestand.

Dem weiteren Beschwerdevorbringen (zu Punkt II.B. des Schuldspruchs) ist allerdings darin zuzustimmen, daß - entgegen der (vom Gericht übernommenen) Subsumierung des Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft anläßlich der Anklageausdehnung (S 45 f/III) - durch Wegnahme eines vinkulierten Sparbuches (mangels Diebstahlsfähigkeit desselben) Diebstahl in keinem Fall verwirklicht werden kann (und zwar selbst dann nicht, wenn - wie hier - der Täter das Losungswort kennt; vgl Mayerhofer/Rieder StGB4 § 127 E 12). Für die nach der Aktenlage nicht auszuschließende Beurteilung des Sachverhaltes als - allenfalls mit dem Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB konkurrierendes - Betrugsdelikt (§§ 146, 147 Abs 2, allenfalls § 148 erster Fall StGB) fehlt es allerdings an den notwendigen Konstatierungen zur objektiven und subjektiven Tatseite; denn das Erstgericht beschränkte sich aufgrund seiner unrichtigen Rechtsauffassung auf die Feststellungen, der Angeklagte habe das Sparbuch zur Gänze aufgelöst und sich den Betrag von 50.000 S angeeignet (US 8), es habe ihm dank seiner Kenntnis des Losungswortes keine Mühe gemacht, das Sparbuch zur Gänze aufzulösen (US 11), und er habe mit der Absicht gehandelt, "durch weitere Diebstähle seine Sucht zu finanzieren" (US 9, 12). Die zur zuverlässigen rechtlichen Beurteilung erforderlichen weiteren Feststellungen lassen sich allerdings nur in einem erneuerten Verfahren nachholen.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war sohin teilweise Folge zu geben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt zu bleiben hatte (wobei die Annahme der gewerbsmäßigen Begehung der aufrecht gebliebenen Diebstähle durch den Wegfall eines Faktums nicht berührt wird), im aufgezeigten Umfang aufzuheben und insoweit die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Im übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde teils aus bereits oben dargelegten Gründen, teils (zum Schuldspruch zu II.C.) deshalb zu verwerfen, weil ihr Anfechtungsantrag zwar auch dessen Aufhebung begehrt, insoweit aber jegliche Ausführung unterläßt.