JudikaturJustiz13Os12/20v

13Os12/20v – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Juli 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juli 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Part in der Strafsache gegen Josef P***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 9. Dezember 2019, GZ 15 Hv 40/18k 291, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider, des Angeklagten und des Verteidigers Mag. Haas zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Josef P***** wird gemäß § 259 Z 3 StPO vom Vorwurf freigesprochen, er habe vom Frühjahr 2018 bis zum 28. Juni 2018 Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich insgesamt 860 Gramm Kokain (245 Gramm Cocain Reinsubstanz), unbekannten Abnehmern überlassen.

Zur Entscheidung über den verbleibenden Anklagevorwurf des versuchten Erwerbs und Besitzes von Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge durch Josef P*****, indem dieser über Vermittlung des Werner Pr***** Kontakt mit dem Suchtgiftlieferanten Shpendi X***** aufnahm und diesem anbot, ein Kilogramm Kokain um 40.000 Euro zu kaufen (ON 213 S 26 f), wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Eisenstadt verwiesen.

Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef P***** – im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten 13 Os 58/19g) – des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG schuldig erkannt.

Danach hat er vom Frühjahr 2018 bis zum 28. Juni 2018 Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich insgesamt 860 Gramm Kokain (245 Gramm Cocain Reinsubstanz), unbekannten Abnehmern überlassen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus den Gründen der Z 4, 5 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Aus ihrem Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit zum Nachteil des Angeklagten (Z 9 lit b) aufweist, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

P***** war nämlich im ersten Rechtsgang mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 8. Mai 2019 (ON 221) rechtskräftig des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG schuldig erkannt worden, weil er unter anderem von Anfang 2018 bis zum 28. Juni 2018 in T***** und an anderen Orten eine „nicht mehr feststellbare Menge an Kokain“ (neben drei namentlich genannten auch) unbekannten Abnehmern gewinnbringend überlassen hatte (A/I/1/b des Schuldspruchs).

Der nunmehr angefochtene Schuldspruch betrifft dieselbe (in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene) Tat wie die bereits zuvor abgeurteilte. Er verstößt daher – wie übrigens bereits die Anklageausdehnung (ON 283 S 3) – gegen das Verbot wiederholter Strafverfolgung (§ 17 Abs 1 StPO, Art 4 des 7. ZPMRK). Ein derartiges, aus Z 9 lit b beachtliches Verfolgungshindernis ist dann gegeben, wenn im vorangegangenen Verfahren, wäre die nunmehr in Rede stehende Verurteilung schon damals erfolgt, eine aus Z 8 ergriffene Rüge erfolglos hätte bleiben müssen ( Ratz , WK StPO § 281 Z 638). Dies ist gegenständlich der Fall. Im Übrigen wirkt sich eine – wie hier auch durch die Urteilsgründe nicht beseitigbare – Ungenauigkeit der Konkretisierung einer Tat im Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) regelmäßig insoweit zugunsten des Angeklagten aus, als im Zweifel eine spätere Verfolgung wegen im Urteil undeutlich bezeichneter Taten nach dem Grundsatz „ne bis in idem“ ausgeschlossen wird (RIS Justiz RS0120226; Lendl , WK StPO § 260 Rz 24; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 268).

Dieser Rechtsfehler erforderte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Schuldspruchs, demzufolge auch des Strafausspruchs. Insoweit war auf Basis der erstinstanzlichen Feststellungen in der Sache selbst durch Freispruch zu entscheiden (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Fall StPO).

Mit seinen Rechtsmitteln war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Über den verbleibenden Anklagevorwurf des versuchten Erwerbs und Besitzes einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Suchtgiftmenge, nämlich eines Kilogramms Kokain von Shpendi X***** (ON 213 S 26 f), wird das Landesgericht Eisenstadt im dritten Rechtsgang zu entscheiden haben.

§ 28 Abs 1 (und 2) SMG stellt nämlich eine selbständig vertypte Vorbereitungshandlung zum Überlassen derselben Suchtgiftmenge nach § 28a Abs 1 fünfter Fall (Abs 2 Z 3) SMG dar und ist in diesem Verhältnis daher stillschweigend subsidiär (RIS Justiz RS0113820 [T7]). Die Nichtaufnahme eines Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 und 2 SMG – trotz (in objektiver Hinsicht) in diese Richtung weisender Feststellungen (vgl US 3) – in den Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) ist rechtslogische Folge desselben ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 282 und 535) und bringt gerade keinen Freispruch vom diesbezüglichen Anklagevorwurf zum Ausdruck (vgl RIS Justiz RS0099646 [insbesondere T9]). Dieser wird im weiteren Verfahren noch zu erledigen sein, denn der – auch das Überlassen von Kokain im angeklagten Tatzeitraum umfassende – rechtskräftige Schuldspruch erfolgte (bloß) wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (ON 221 S 3) und erschöpft somit nicht den gesamten Unrechtsgehalt des angelasteten Erwerbs und Besitzes einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge Kokains mit Inverkehrsetzungsvorsatz (§ 28 Abs 1 und 2 SMG), weshalb insoweit stillschweigende Subsidiarität dieses (qualifizierten) Vorbereitungsdelikts ausscheidet (vgl [erneut] RIS-Justiz RS0113820, RS0127080 [T1]). Schon deshalb kann die von der Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme aufgeworfene Frage, ob die Sperrwirkung des ne bis in idem auch scheinbar realkonkurrierende strafbare Handlungen umfasst (vgl Lewisch , WK-StPO § 262 Rz 48), dahinstehen. Eine gesetzliche Wertung dahin, dass mit diesem Verfolgungshindernis in Bezug auf die ursprünglich verdrängende strafbare Handlung auch die Verfolgung und Bestrafung der ursprünglich verdrängten ausgeschlossen sein solle, ist nicht auszumachen (zum Ganzen vgl Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 44 und 70 ff; zum deutschen Recht Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/Schröder 30 Vorbem §§ 52 ff Rz 113, 136 und 142/143).

Ein Schuldspruch im Sinn des angesprochenen Anklagevorwurfs kommt jedoch nur in Betracht, wenn der mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 8. Mai 2019 (ON 221) § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG subsumierte Erwerb und Besitz von 80,6 Gramm Kokain (A/I/2/a des Schuldspruchs) nicht (zumindest teilweise) dieselbe Suchtgiftmenge betrifft (vgl aber US 7), weil sonst auch insoweit das Verfolgungshindernis des ne bis in idem gegeben wäre.

Rechtssätze
4
  • RS0113820OGH Rechtssatz

    14. März 2023·3 Entscheidungen

    1. Ein Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 28 Abs 1 SMG hat zur Voraussetzung, dass der Täter ein Suchtgift in einer großen Menge (Abs 6) mit dem Vorsatz erwirbt, dass es in Verkehr gesetzt werde. Dies stellt eine zum Inverkehrsetzen des § 28 Abs 2 vierter Fall SMG selbständig vertypte Vorbereitungshandlung dar. Versucht der Täter das Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG, indem er beginnt, diesen Suchtgiftvorrat tatsächlich in Verkehr zu setzen, ist das Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG hinsichtlich derselben Suchtgiftmenge nicht selbständig strafbar, weil es gegenüber dem Verbrechen nach Abs 2 subsidiär ist. 2. Überlässt (verkauft) der Täter, der eine große Suchtgiftmenge mit dem Vorsatz erworben hat oder besitzt, dass diese in Verkehr gesetzt werde, davon kleine Mengen einem anderen, stellt dies keine straflose "typische Begleittat" dar. 3. Beschließt der Täter, nachdem er eine große Menge Suchtgift mit dem Vorsatz erworben hat und besitzt, dass es in Verkehr gesetzt werde, nur einen die große Menge nach § 28 Abs 6 SMG nicht erreichenden Teil hievon anderen zu überlassen (zu veräußern), den Rest aber selbst zu konsumieren oder zu vernichten, hat er ab diesem Zeitpunkt für den Besitz (auch einer großen Menge) nur das Vergehen nach § 27 Abs 1 SMG zu vertreten. Da nämlich durch den fortgesetzten Besitz kein weiteres Rechtsgut verletzt wird und die dadurch bewirkte Rechtsgutverletzung über jene des Vergehens nach § 28 Abs 1 SMG nicht hinausgeht, stellt diesfalls das Vergehen nach § 27 Abs 1 zweiter Fall SMG eine straflose Nachtat zum Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG dar. 4. Überlässt der Täter ab dem Zeitpunkt des geänderten Vorsatzes kleine Mengen von Suchtgiftstoffen anderen Personen, wird die zunächst auf den Erwerb oder Besitz beschränkte Rechtsgutverletzung erweitert. Die Grenzen von straflosen (besser "mitbestraften") Nachtaten sind eng zu ziehen. Durch das Privileg der Nachtat werden nur durch die Vortaten bereits persönlich und sachlich individualisierte Rechtsgüter gedeckt. Nur dann, wenn das Angriffsobjekt der Nachtat mit dem der Vortat entweder übereinstimmt oder diesem gegenüber ein quantitatives Minus darstellt, und wenn durch die Nachtat nicht neue Träger des individualisierten Rechtsgutes, also neue Inhaber des konkreten Angriffsobjektes, in Mitleidenschaft gezogen werden, liegt eine mitbestrafte Nachtat vor. Wird somit zunächst eine große Suchtgiftmenge mit auf deren Inverkehrsetzen gerichtetem Vorsatz erworben oder besessen, werden danach aber unter Änderung des Vorsatzes kleine Mengen davon anderen Personen überlassen, ändert sich auch das Angriffsobjekt der konkreten Nachtat. Der Täter hat daher unter diesen Prämissen das Vergehen nach § 27 SMG (in allen seinen Formen) zusätzlich zu vertreten.