JudikaturJustiz13Os117/23i

13Os117/23i – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Januar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. De Rijk in der Strafsache gegen * M* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster Fall und Abs 2, 148 zweiter Fall StGB, AZ 15 Hv 53/17k des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 5. Dezember 2022 (ON 72) und den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 27. Juni 2023, AZ 8 Bs 8/23x, (ON 76) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Ramusch LL.M., LL.M., zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 15 Hv 53/17k des Landesgerichts für Strafsachen Graz verletzen die Beschlüsse dieses Gerichts vom 5. Dezember 2022 (ON 72) und des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 27. Juni 2023, AZ 8 Bs 8/23x, (ON 76) § 410 Abs 1 StPO iVm § 31a Abs 3 StGB.

Diese Beschlüsse werden aufgehoben und es wird dem Landesgericht für Strafsachen Graz die Erneuerung des Verfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

[1] Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14. September 2017 (ON 35) wurde * M* eines Verbrechens nach dem StGB schuldig erkannt und – soweit hier von Bedeutung – nach § 20 Abs 3 StGB ein Geldbetrag von 77.149,43 Euro für verfallen erklärt (ON 35 S 3).

[2] Am 3. Oktober 2017 ordnete der Vorsitzende des Schöffengerichts den Vollzug des Verfalls an, woraufhin ein Zahlungsauftrag in Bezug auf den für verfallen erklärten Geldbetrag von 77.149,43 Euro erlassen wurde (ON 37).

[3] Mit ebenfalls unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Erstgerichts vom 14. Mai 2018 wurde dieser Geldbetrag aufgrund einer Abschlagszahlung an die Geschädigten gemäß § 410 Abs 1 StPO iVm § 31a Abs 3 StGB (teils auf Antrag der Verurteilten, teils von Amts wegen) auf 25.149,43 Euro gemindert (ON 56).

[4] Am 13. April 2022 beantragte die Verurteilte ohne Angabe von Gründen die Stundung, den Nachlass oder den Teilnachlass der offenen Forderung (ON 68).

[5] Am 20. Juni 2022 teilte die Einbringungsstelle mit, dass zum Verfallsbetrag noch eine Restforderung von 25.117,25 Euro aushaftet (ON 69).

[6] Am 18. Juli 2022 zog die Verurteilte den auf Stundung gerichteten Antrag zurück, jenen auf Nachlass oder Teilnachlass der offenen Forderung hielt sie aufrecht (ON 70).

[7] Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 5. Dezember 2022 (ON 72) wies die nunmehr zuständige Richterin den Antrag auf Nachlass des für verfallen erklärten Betrags mit der Begründung ab, dass „[e]ine Stundung oder ein Zahlungsaufschub im Einbringungsverfahren […] nach § 9 Abs 5 GEG ausgeschlossen“ ist.

[8] Am 15. Dezember 2022 erhob die Verurteilte der Sache nach (vgl auch ON 74) Beschwerde gegen diesen Beschluss (ON 73).

[9] Mit Beschluss vom 27. Juni 2023, AZ 8 Bs 8/23x, (ON 76) hob das Oberlandesgericht Graz als Beschwerdegericht den angefochtenen Beschluss in „teilweiser Stattgebung“ der Beschwerde ersatzlos auf.

[10] Dabei stützte es sich auf die Rechtsansicht, dass über den gegenständlichen Antrag nach den Bestimmungen des GEG in Justizverwaltungssachen zu entscheiden und solcherart „Unzulässigkeit des Rechtswegs“ gegeben sei.

[11] In ihrer gegen die Beschlüsse ON 72 und ON 76 gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) führt die Generalprokuratur aus:

„Die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 5. Dezember 2022 (ON 72) und des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 27. Juni 2023 (ON 76) stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Wenn der zur Zahlung eines Geldbetrags nach § 20 Abs 3 StGB Verurteilte diesen nicht unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft erlegt, ist er schriftlich aufzufordern, den Geldbetrag binnen 14 Tagen zu zahlen, widrigens er zwangsweise eingetrieben wird (§ 409 Abs 1 [erster und zweiter Satz] StPO). Die zwangsweise Eintreibung (auch) von (Verfalls )Geldbeträgen nach § 20 Abs 3 StGB richtet sich gemäß § 409 Abs 2 StPO nach den Bestimmungen des GEG in der jeweils geltenden Fassung ( Lässig , WK StPO § 409 Rz 2 f; Dokalik/Schuster , Gerichtsgebühren 14 § 1 GEG Anm 5; vgl § 1 Abs 1 Z 3 GEG). Daraus erhellt, dass die Kompetenz für das Verfahren zur Hereinbringung (auch) eines Geldbetrags nach § 20 Abs 3 StGB zwischen der (unabhängigen) Rechtsprechung und der (weisungsgebundenen) Justizverwaltung aufgeteilt ist (vgl Lässig , WK StPO § 409 Rz 4 sowie Dokalik/Seeber-Grimm , Die Bestimmung und Einbringung von Gebühren, Kosten und Geldstrafen durch Gericht und/oder Justizverwaltung, ÖJZ 2019, 644 f).

Da – vorliegend von Bedeutung – die §§ 1, 6 Abs 1 und 9 Abs 5 GEG idF BGBl I 2022/61 gemäß § 19a Abs 20 GEG nur auf Beträge anzuwenden sind, die – was gegenständlich nicht zutrifft – nach dem 30. April 2022 von einem Gericht bestimmt werden, sind die genannten Bestimmungen im vorliegenden Fall idF vor BGBl I 2022/61 anzuwenden.

Zuständige Behörde für die Vorschreibung des (hier) einzubringenden Geldbetrags nach § 20 Abs 3 StGB ist gemäß § 6 Abs 1 Z 1 GEG (iVm § 1 Z 3 GEG; jeweils idF vor BGBl I 2022/61) der Präsident des Gerichtshofs erster Instanz. Die Einbringung erfolgt somit im Justizverwaltungsweg.

Die Entscheidung über einen Zahlungsaufschub oder einen Nachlass in Ansehung des Geldbetrags nach § 20 Abs 3 StGB obliegt aber – dessen ungeachtet – auch im Stadium des Einbringungsverfahrens (weiterhin) der ordentlichen Gerichtsbarkeit:

Nach dem ersten Satz des § 9 Abs 5 GEG in der hier anzuwendenden Fassung vor BGBl I 2022/61 (§ 19a Abs 20 GEG) gelten die 'Stundung und Nachlass' regelnden Bestimmungen der Abs 1 bis Abs 4 leg cit ua nicht für die in § 1 Z 3 GEG angeführten Beträge, somit insbesondere auch nicht für einen nach § 20 Abs 3 StGB für verfallen erklärten Geldbetrag. Denn die Entscheidung über Stundung und Nachlass der Beträge nach § 1 Z 3 GEG soll nicht im Justizverwaltungsweg, sondern durch das zuständige Gericht erfolgen. § 9 Abs 5 GEG verfolgt (nur) den Zweck der konsequenten Trennung von Rechtsprechung und Justizverwaltung: eine vom Gericht verhängte Strafe (hier: ein vom Gericht ausgesprochener Verfall) soll nicht von der Verwaltung gestundet oder nachgelassen werden können. Die analoge Anwendung der bezughabenden Bestimmungen, etwa der §§ 409a und 410 StPO, zur Schließung der durch BGBl I 2015/19 entstandenen Gesetzeslücke soll auch durch den zweiten Satz des § 9 Abs 5 GEG, der lediglich klarstellende Funktion hat, nicht verhindert werden (s zum Ganzen EBRV 366 BlgNR 25. GP 10; Dokalik/Schuster , Gerichtsgebühren 14 § 9 GEG Anm 7, E 103, E 106; OLG Linz 8 Bs 43/16d, OLG Graz 1 Bs 67/22w und OLG Wien 19 Bs 31/23g). Dementsprechend sieht § 11 Abs 3 Z 2 GEG auch vor, dass das Exekutionsgericht die Exekution aufzuschieben hat, wenn bei dem Gericht (oder der Behörde) des Grundverfahrens (§ 6 Abs 1 GEG) ein Verfahren anhängig gemacht wurde, dessen Ergebnis zum Wegfall einer bereits rechtskräftig festgestellten Zahlungspflicht führen kann (vgl EBRV 1294 BlgNR 25. GP 18; Dokalik/Schuster , Gerichtsgebühren 14 § 11 GEG Anm 10).

Dem Strafgericht (fallaktuell der Vorsitzenden des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht [§ 397 letzter Satz, § 409 Abs 2 iVm § 210 Abs 4 und § 32 Abs 3 StPO]) kommt somit auch während des Einbringungsverfahrens sehr wohl eine (inhaltliche) Prüfpflicht hinsichtlich des Antrags der Verurteilten auf Nachlass des für verfallen erklärten Geldbetrags – dies in analoger Anwendung der Bestimmungen über die nachträgliche Strafmilderung des Verfallsgeldbetrags gemäß § 410 Abs 1 StPO (iVm § 31a Abs 3 StGB) – zu, wobei diese gerichtliche Entscheidung in weiterer Folge die Grundlage für die Einbringung ist (s zum Ganzen auch Dokalik/Seeber Grimm , Die Bestimmung und Einbringung von Gebühren, Kosten und Geldstrafen durch Gericht und/oder Justizverwaltung, ÖJZ 2019, 645).

Der – der Sache nach die Sachbehandlung ablehnende – Beschluss der Vorsitzenden vom 5. Dezember 2022 (ON 72), demzufolge gemäß § 9 Abs 5 GEG eine Stundung oder ein Nachlass eines nach § 20 Abs 3 StGB für verfallen erklärten Geldbetrags im Stadium des Einbringungsverfahrens (generell) ausgeschlossen sei, steht sohin mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gleiches gilt für den Beschluss des Beschwerdegerichts vom 27. Juni 2023 (ON 76). Die darin vertretene Rechtsansicht, wonach aufgrund der gerichtlichen Bestimmung des Verfallsbetrags vor dem 1. Mai 2022 § 6 Abs 1 Z 1 GEG idF BGBl I 2015/156 zur Anwendung zu gelangen habe und demzufolge die Zuständigkeit der Präsidentin des Landesgerichts für Strafsachen Graz für die Entscheidung über den vorliegenden Antrag der Verurteilten [auf Nachlass des Verfallsbetrags] vorliege, verletzt in der solcherart (gleichfalls) zum Ausdruck gebrachten Verneinung der Entscheidungskompetenz des (hier: Straf )Gerichts, das das Grundverfahren geführt hat, § 410 Abs 1 StPO per analogiam (iVm § 6 Abs 1 Z 1 GEG idF BGBl I 2015/156 und § 9 Abs 5 GEG idF vor BGBl I 2022/61).“

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[12] Gesetzwidrigkeit drückt eine Relation aus und bedeutet verfehlte Rechtsanwendung auf einen Lebenssachverhalt (RIS Justiz RS0117731; Ratz , WK StPO § 292 Rz 7).

[13] Entscheidungsgegenstand war der Antrag der Verurteilten, ihr in Ansehung des für verfallen erklärten Restbetrags einen (teilweisen oder gänzlichen) Nachlass zu gewähren (ON 68 iVm ON 70).

[14] Gemäß § 31a Abs 3 StGB hat das Gericht die Verfallsentscheidung entsprechend zu ändern, wenn nachträglich Umstände eintreten oder bekannt werden, bei deren Vorliegen im Zeitpunkt des Urteils nicht auf Verfall oder nur auf Verfall geringerer Vermögenswerte zu erkennen gewesen wäre.

[15] Nach § 410 Abs 1 StPO ist zur Entscheidung über die nachträgliche Änderung des Ausspruchs über den Verfall das Gericht zuständig, das in erster Instanz erkannt hat, im schöffengerichtlichen Verfahren gemäß § 32 Abs 3 StPO der Vorsitzende allein.

[16] Da § 410 Abs 1 StPO keine zeitliche Einschränkung enthält, ist die nachträgliche Milderung des Verfalls im Sinn des § 31a Abs 3 StGB auch nach der Erlassung des Zahlungsauftrags möglich (13 Os 132/05v EvBl 2006/63; RIS Justiz RS0119620 [T1]; Lässig , WK StPO § 410 Rz 3/1), womit die Gerichte auch hier zur inhaltlichen Prüfung des Antrags der Verurteilten (ON 68 iVm ON 70; das Beschwerdegericht auch unter Beachtung des Vorbringens in ON 73) verpflichtet waren.

[17] Die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 5. Dezember 2022 (ON 72) und des Oberlandesgerichts Graz vom 27. Juni 2023 (ON 76) verletzen daher § 410 Abs 1 StPO iVm § 31a Abs 3 StGB.

[18] Da die Gesetzesverletzung geeignet ist, sich zum Nachteil der Verurteilten auszuwirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).