JudikaturJustiz13Nds91/94

13Nds91/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Oktober 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Oktober 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kahofer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ing.Hermann T***** wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB, AZ 21 Vr 143/94 des Landesgerichtes St.Pölten über den (verneinenden) Zuständigkeitsstreit zwischen diesem Gerichtshof und dem Landesgericht Steyr nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Landesgericht St.Pölten zuständig.

Text

Gründe:

Ing.Hermann T***** wurde am 6.Juli 1993 (eingelangt am 5.August 1993) bei der Staatsanwaltschaft St.Pölten wegen Verdachtes des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 angezeigt. Nach der diesbezüglichen Sachverhaltsdarstellung (S 105 f/I) bestellte er bei der anzeigenden Holzhandelsgesellschaft für ein anderes Holzhandelsunternehmen Schnittholz und begehrte die Übersendung der Rechnung direkt an ihn, um sie nach Kontrolle an den Besteller weiterzuleiten. Das Holz ließ er an ein Spediteurlager liefern, habe es aber von dort nicht an den von ihm angegebenen Besteller sondern an ein drittes Unternehmen weitergeleitet, dem er es direkt verrechnete, sodaß der Kaufpreis beim Lieferanten unbezahlt blieb. Die Sachverhaltsdarstellung nennt als Sitz des angezeigten, von Ing.T***** geleiteten Unternehmens, ***** E***** oder ***** S***** (beide im Zuständigkeitsbereich des Landesgerichtes St.Pölten).

Die Staatsanwaltschaft St.Pölten ließ daraufhin durch die Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich Sacherhebungen durchführen (S 101/I). Aus dem dazu erstatteten Zwischenbericht (ON 3) ergibt sich der Verdacht, daß der Angezeigte ohne Eintragung in das Firmenbuch und ohne Gewerbeberechtigung betrügerische Geschäfte von den bereits in der Anzeige angeführten Orten aus angebahnt habe (Gesamtschaden über 2,5 Mio S). Er selbst bezeichnete in einer Vernehmung vor der Kriminalpolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Steyr ***** E***** als Sitz des Unternehmens, von dem aus er Holzhandelsgeschäfte führe (S 81/I). Aus dem Zwischenbericht geht ferner hervor, daß mehrere Anzeigen gegen Ing.Hermann T***** vorlägen, die zusammengefaßt würden (S 17/I), (zumindest) eine davon war an die Staatsanwaltschaft Steyr zu ***** erstattet worden (S 67/I). Es ergab sich der Verdacht der Verwendung der in der Anzeige an die Staatsanwaltschaft St.Pölten angeführten beiden Anschriften als Deck(Schein-)adressen, zumindest eine davon (***** Postfach 19) war nach den Erhebungen noch aufrecht (S 17, 25/I).

Die Staatsanwaltschaft St.Pölten trat daraufhin am 15.Dezember 1993 die gegenständliche Anzeige an die Staatsanwaltschaft Steyr zu dem dort zu ***** anhängigen Verfahren ab. Sie wurde jedoch am 23. Dezember 1993 mit dem Hinweis retourniert, dieser Akt wäre bereits am 26.August 1993 gemäß § 51 StPO der Staatsanwaltschaft St.Pölten abgetreten worden (S 13/I).

Am 28.Dezember 1993 wurde das Verfahren der Staatsanwaltschaft Steyr mit dem Hinweis, Scheinadressen könnten eine Zuständigkeit nicht begründen, zurückabgetreten (S 11/I), welche es am 29.Dezember 1993 neuerlich der Staatsanwaltschaft St.Pölten abtrat, weil sich der Verdacht auf Durchführung der Tathandlungen an den Anschriften im Sprengel des Landesgerichtes St.Pölten ergeben habe (S 9/I).

Über Antrag der Staatsanwaltschaft beschloß in weiterer Folge der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes St.Pölten am 20.Jänner 1994 die Abtretung des Verfahrens gemäß § 51 StPO an das Landesgericht Steyr (***** S 3). Der Untersuchungsrichter dieses Gerichtes wiederum stellte am 3.Februar 1994 beschlußmäßig die örtliche Unzuständigkeit des Landesgerichtes Steyr fest und trat die Sache neuerlich gemäß § 51 StPO dem Landesgericht St.Pölten ab (*****ON 5). Die Ratskammer dieses Gerichtshofes stellte nunmehr ihrerseits die örtliche Unzuständigkeit des Landesgerichtes St.Pölten fest (ON 6), jene des Landesgerichtes Steyr wiederum dessen örtliche Inkompetenz (ON 10). Die Oberlandesgerichte Linz (ON 12) und Wien ***** schlossen sich jeweils den Standpunkten der in ihrem Kompetenzbereich gelegenen Landesgerichte an, wobei das Oberlandesgericht Wien davon ausging, beim derzeitigen Erhebungsstand sei eine Tatortzuständigkeit im Sinne des § 51 (ergänze: Abs 1) StPO nicht eindeutig klärbar, weshalb auf den (im Zuständigkeitsbereich des Landesgerichtes Steyr gelegenen) Wohnsitz oder Aufenthaltsort (§ 52 Abs 1 StPO) abzustellen wäre, während das Oberlandesgericht Linz die Meinung vertrat, mangels Verfolgungsantrages sei kein Strafverfahren anhängig, weswegen es sich nicht veranlaßt sehe, in die Prüfung der Zuständigkeitsfrage einzutreten. Damit ist die Voraussetzung für die Kompetenzentscheidung nach § 64 Abs 1 StPO, nämlich daß sich die zuständigen Gerichtshöfe zweiter Instanz über die Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht einigen können, aktenkundig.

Rechtliche Beurteilung

Im vorliegenden Fall steht das Strafverfahren dem Landesgericht St.Pölten zu.

Kompetenzkonflikte im gerichtlichen Strafverfahren setzen einen Verfolgungsantrag des berechtigten Anklägers nicht voraus (Mayerhofer-Rieder, StPO3, § 64 E 1). Eine vorherige Einigung staatsanwaltschaftlicher Behörden (allenfalls nach Erteilung von Weisungen) würde in der weiteren Folge auch einen unter den befaßten Strafgerichten entstehenden Zuständigkeitsstreit nicht verhindern. Der erste Antrag der Staatsanwaltschaft an das Gericht (vom 30. Dezember 1993, S 1), die Unzuständigkeit des Landesgerichtes St.Pölten festzustellen, läßt bereits das gerichtliche Strafverfahren in jenes Stadium treten, in dem eine Entscheidung gemäß § 64 Abs 1 StPO möglich ist, weil im gegenteiligen Fall mangels Entscheidung des negativen Kompetenzkonfliktes die gerichtliche Strafverfolgung frustriert werden könnte, unterließe die Staatsanwaltschaft die Durchführung von polizeilichen Vorerhebungen zur Klärung der Frage, ob gemäß § 90 Abs 1 StPO, mit einem Antrag auf Einleitung gerichtlicher Vorerhebungen, der Vorerhebung oder auf Bestrafung bzw mit Anklageschrift vorgegangen werden soll.

Gemäß § 51 Abs 1 StPO steht das Strafverfahren in der Regel dem Gericht zu, in dessen Sprengel die strafbare Handlung begangen wurde, und zwar auch dann, wenn der zum Tatbild gehörige Erfolg an einem anderen Ort eingetreten ist. Dies steht zur Regelung des § 67 Abs 2 StGB nicht in Widerspruch, weil für das Prozeßrecht verfahrenstechnische Erwägungen, insbesondere die Unmittelbarkeit der Beweiserhebungen, eine Rolle spielen. Für das materielle Strafrecht handelt es sich dagegen um eine sinnvolle Abgrenzung der Geltungsbereiche der Strafdrohungen auf Grund des Territorialprinzips, weshalb hier eine andere Lösung gerechtfertigt ist (Leukauf-Steininger, Komm3, § 67 RN 7).

Zu der der Staatsanwaltschaft zuerst angezeigten strafbaren Handlung, die in weiterer Folge auch Gegenstand der ersten gerichtlichen Entscheidung im vorliegenden Verfahren, nämlich jener des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes St.Pölten gewesen ist (siehe S 3/I), ergab sich in diesem Stadium des Verfahrens der Verdacht, daß die dem Angezeigten vorgeworfenen betrügerischen Handlungen durch Bestellungen von Holzlieferungen von ***** E***** (allenfalls von ***** S*****, beide im Sprengel des Landesgerichtes St.Pölten) aus erfolgten, von wo der Angezeigte auch in anderen Fällen agierte (siehe nochmals S 81/I). Daß dies ohne Eintragung einer Firma im Firmenbuch oder verwaltungsrechtliche Gewerbeberechtigung für diese Standorte aus erfolgte, kann die Annahme eines dort gelegenen Tatortes nicht hindern, sondern ist allenfalls als weiteres Verdachtsmoment für betrügerisches Vorgehen aufzufassen. Auch in bezug auf den Tatort ist in einem solch frühen Stadium des Verfahrens auf die Verdachtslage abzustellen.

Da bei mehreren Straftaten derselben Art, wie die Verdachtslage dies derzeit angesichts verschiedener Betrugshandlungen indiziert, das Strafverfahren bei demselben Gericht zu führen ist, ist das Landesgericht St.Pölten deswegen gemäß §§ 51 Abs 1, 56 Abs 1 StPO zur Führung des vorliegenden Strafverfahrens zuständig, das Oberlandesgericht Wien hat somit dessen Zuständigkeit zu Unrecht verneint.