JudikaturJustiz12Os91/17z

12Os91/17z – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. November 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Rechtshörers Biley als Schriftführer in der Strafsache gegen Hossein M***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 11. Mai 2017, GZ 173 Hv 7/17g 59, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Dr. Hubmer, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Vacarescu zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und es werden der die Hauptfrage nach Mord (§§ 15 Abs 1, 75 StGB) sowie die dazu gestellte Eventualfrage nach Totschlag (§§ 15 Abs 1, 76 StGB) betreffende Wahrspruch und das darauf beruhende Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I./1./, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Adhäsionserkenntnis aufgehoben. In diesem Umfang wird die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht des Landesgerichts für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit dem darauf bezogenen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wird der Angeklagte, mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Übrigen wird verworfen.

Diesem fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden und auch einen Freispruch (II./) enthaltenden Urteil wurde Hossein M***** des Verbrechens des Totschlags nach §§ 15 Abs 1, 76 StGB (I./1./) und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB (I./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 4. Dezember 2016 in S*****

I./1./ sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung, die darauf beruhte, dass Ali I***** seine Ehegattin Fatemeh B***** zu Boden stieß, zum Versuch hinreißen lassen, den Genannten durch Versetzen mehrerer Messerstiche mit einem Küchenmesser in den Rücken bzw in den linken hinteren Schulterbereich zu töten, wobei das Opfer eine vier bis fünf Zentimeter tiefe Stichverletzung an der oberen Brustkorbseite links sowie eine ca drei Zentimeter tiefe Stichverletzung an der mittleren Brustkorbseite links erlitt;

I./2./ Fakir Mo*****, der sich in die Auseinandersetzung mit Ali I***** einmischte, fahrlässig am Körper verletzt, indem er dem Genannten im Zuge des Gerangels eine Schnittverletzung an der rechten Hand zufügte.

Die Geschworenen hatten – soweit hier wesentlich – die nach dem Verbrechen des Mordes (§§ 15 Abs 1, 75 StGB) gestellte Hauptfrage 1./ mehrheitlich (1:7 Stimmen) verneint und die Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§§ 15 Abs 1, 76 StGB) mehrheitlich (6:2) bejaht.

Dagegen richten sich Nichtigkeitsbeschwerden, die der Angeklagte auf Z 8 und die Staatsanwaltschaft auf Z 6, jeweils des § 345 Abs 1 StPO, stützen.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Die Beschwerdeführerin weist zutreffend darauf hin, dass die Stellung einer Eventualfrage gemäß § 314 Abs 1 StPO das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung voraussetzt, welche einen von der Anklage abweichenden Sachverhalt indizieren und bejahendenfalls die Grundlage für einen mit der Anklage nicht übereinstimmenden Schuldspruch bilden können (RIS-Justiz RS0100634; Lässig , WK StPO § 314 Rz 2).

Dies war in Bezug auf die in Richtung versuchten Totschlags (§§ 15 Abs 1, 76 StGB) gestellte Eventualfrage nicht der Fall. Die hierfür in Betracht kommende Einlassung des Angeklagten, wonach er wegen des Vorfalls mit seiner Frau „außer sich“ bzw „in Rage“ gewesen sei (ON 58 AS 7, 12) und er das Messer zielgerichtet gegen Ali I***** verwendete, um diesen aus dem Zimmer zu bewegen (ON 58 AS 8, 10 f, 13 f), stellen keine Verfahrensergebnisse dar, die eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung im Sinn eines tiefgreifenden, mächtigen Erregungszustands nach Art eines „Affektsturms“, der alle normalen verstandesmäßigen Erwägungen ausschaltet und die Tötungshemmung hinwegzufegen geeignet ist (RIS-Justiz RS0092338; Kienapfel/Schroll , StudB BT I 4 § 76 Rz 17), möglich erscheinen lassen.

Der Beschwerdeführerin ist zudem darin beizupflichten, dass auch dem vom Angeklagten selbst dargelegten Geschehensablauf (wonach er aufgrund des Angebots seiner Gattin, die im Zuge einer Handgreiflichkeit zwischen ihm und Ali I***** in Unordnung gebrachte Wohnung des Letztgenannten aufzuräumen, in Rage geriet, seine Gattin weiters im Lauf des fortgesetzten Streits durch einen von Ali I***** versetzten Schlag gegen ihren Brustkorb zunächst zu Boden stürzte, das Haus aber dennoch verlassen konnte und der Angeklagte erst im Anschluss daran bei einem weiteren Handgemenge ein Messer gegen das Opfer einsetzte, weil ihm dieses den Weg aus seiner Wohnung versperrte [ON 58 S 4 ff, 7 f]), keine Indizwirkung in Richtung des vom Angeklagten behaupteten völligen „Durchdrehens“ bzw eines „Kontrollverlusts“ (ON 58 AS 11 f) zukommt.

Da sich die Staatsanwaltschaft der solcherart gegen § 314 Abs 1 StPO verstoßenden Fragestellung widersetzt hat und sich nach einer diesbezüglichen Beschlussfassung des Schwurgerichtshofs die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehalten hat (§ 345 Abs 4 StPO; vgl ON 58 AS 50), war die Aufhebung des diesbezüglichen Wahrspruchs samt dem darauf beruhenden Schuldspruch I./1./ unvermeidlich (§ 349 Abs 1 StPO).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Im Hinblick auf die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erübrigt sich ein Eingehen auf die ebenfalls gegen den Schuldspruch I./1./ gerichtete Instruktionsrüge (Z 8) des Angeklagten.

Der inhaltlich auch den Schuldspruch I./2./ betreffende Einwand, wonach sich aus dem im Protokoll ersichtlichen zeitlichen Ablauf im Zusammenhang mit dem Umfang der Rechtsbelehrung ergebe, dass diese nicht zur Gänze erteilt worden sei, bringt nur eine allfällige – allerdings nicht unter Nichtigkeitssanktion stehende – Verletzung des § 323 Abs 1 zweiter Satz StPO zum Ausdruck, aber keine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung an sich (vgl RIS-Justiz RS0117997; Ratz , WK-StPO § 345 Rz 61).

Insoweit geht die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten daher fehl.

In Übereinstimmung mit den Ausführungen des Beschwerdeführers und der Generalprokuratur ist im Übrigen – zur Vermeidung diesbezüglicher Fehler im zweiten Rechtsgang – zur vorliegenden (205 Seiten umfassenden) Rechtsbelehrung Folgendes anzumerken:

Die Rechtsbelehrung hat eindeutig zu sein und den Geschworenen eine richtige Vorstellung von der auf Grund der Fragestellung in Betracht kommenden Rechtslage zu vermitteln. Sie darf keine Aussage enthalten, welche bei Berücksichtigung ihrer den Laienrichtern zugänglichen sprachlichen Bedeutung und unter der Voraussetzung ihrer denkgesetzmäßigen Handhabung eine falsche Rechtsansicht nahezulegen vermag. Es ist auch grundsätzlich unzulässig, die Geschworenen mit Ausführungen über strittige oder unterschiedliche Lehrmeinungen oder eine im Laufe der Zeit schwankend gewesene Rechtsprechung zu bestimmten Problemen zu belasten, weil dies die Geschworenen allenfalls verwirren und unter Umständen geeignet sein kann, nicht den mit der Rechtsbelehrung angestrebten Zweck, sondern einen gegenteiligen Effekt zu erzielen. Den Geschworenen darf nur eine einzige Rechtsansicht mitgeteilt werden, wobei es in den Verantwortungsbereich des Vorsitzenden fällt, nach Beratung mit den übrigen Mitgliedern des Schwurgerichtshofs die rechtsrichtige Auffassung zu finden. Zitierungshinweise auf Literatur, Judikatur und Gesetzesstellen sind für die Erreichung des Belehrungszwecks nicht geboten. Den Geschworenen soll nämlich die Rechtslage verständlich gemacht werden, ohne dass es dabei zusätzlich darum geht, ihnen einen rechtlichen Text zu unterbreiten, welchen sie durch eigenständige Gesetzesauslegung zu überprüfen haben (RIS-Justiz RS0100859; vgl auch Philipp , WK-StPO § 321 Rz 5; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 10.26).

An diesen Erfordernissen geht die vorliegende Rechtsbelehrung augenfällig vorbei, indem sie unangebrachte rechtspolitische (S 77 und 90 der Rechtsbelehrung) und rechtshistorische (vgl die Bezugnahme auf die Constitutio Criminalis Carolina 1532 bzw Theresiana 1768 S 81, 90 der Rechtsbelehrung) Ausführungen sowie Bezugnahmen auf der Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz (vgl Rechtsbelehrung S 98) enthält und verfehlt (vgl RIS Justiz RS0100805, RS0100948) auf Fragen der Strafzumessung eingeht (vgl S 77 f, 204 der Rechtsbelehrung). Darüber hinaus legt sie unzulässig (RIS Justiz RS0101123) unterschiedliche Lehrmeinungen und Rechtsprechungstendenzen dar (vgl S 98 f, 123 f, 139 der Rechtsbelehrung) und behandelt weitwendig für den vorliegenden Fall irrelevante Rechtsfragen, wie beispielsweise solche zur Euthanasie, zum nachträglichen Fehlverhalten eines Dritten oder des Opfers, dem Abirren der Tötungshandlung, zur Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen, zum lebensgefährdenden Waffengebrauch durch Staatsorgane, zum Komplott, zur Bandenbildung und zur Beteiligung, zur gleichzeitigen Tötung mehrerer Menschen, zur ungleichartigen Idealkonkurrenz am Beispiel der Tötung der Leibesfrucht durch Tötung der Schwangeren oder bei Mord und Völkermord oder zum Beamtenbegriff (vgl S 21, 23, 26 f, 32, 34, 65 der Rechtsbelehrung). Solcherart unterschreitet die Rechtsbelehrung das von § 321 Abs 2 StPO geforderte Mindestmaß an Deutlichkeit bei weitem (vgl RIS Justiz RS0100949).

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in dem im Spruch ersichtlichen Umfang Folge zu geben. Auf diese Entscheidung waren der Angeklagte mit dem darauf bezogenen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung zu verweisen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Übrigen war zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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