JudikaturJustiz12Os89/82

12Os89/82 – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. September 1982

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2.September 1982

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Stortecky als Schriftführerin in der Strafsache gegen Magister Edgar A wegen des Verbrechens des Verrates von Staatsgeheimnissen nach § 252 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 29.Jänner 1982, GZ. 20 a Vr 2846/81-55, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, der Ausführungen des Verteidigers, Dr. Achim Maurer, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Presslauer, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und gemäß § 351 StPO das angefochtene Urteil im Schuldspruch wegen des Verbrechens des Verrates von Staatsgeheimnissen nach § 252 Abs. 1 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben. Mag. Edgar A wird für den unberührt bleibenden Teil des Schuldspruches wegen des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 und Abs. 2 StGB (Punkt 2 des Urteilssatzes) und des Vergehens des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256

StGB (Punkt 3 des Urteilssatzes) nach § 302 Abs. 2, 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt. Der Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft und die Kostenersatzpflicht wird aus dem Ersturteil übernommen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 20.April 1925 geborene Polizeibeamte i.R. Mag. Edgar A der Verbrechen des Verrates von Staatsgeheimnissen nach § 252 Abs. 1 StGB (Punkt 1. des Urteilssspruches) und des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 und Abs. 2

StGB (Punkt 2. des Urteilsspruches) sowie des Vergehens des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 StGB (Punkt 3. des Urteilsspruches) schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, in Wien als Beamter, und zwar vom Frühjahr 1970 bis 31.Dezember 1971 als Leiter des Asylwerberreferates der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich, vom 1.Jänner 1972 bis 30.November 1972 als Leiter der staatspolizeilichen Abteilung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich und vom 1. Dezember 1972 bis 15.Feber 1977 als stellvertretender Leiter sowie vom 16.Feber 1977 bis Ende April 1980 als Leiter des fremdenpolizeilichen Büros der Bundespolizeidirektion Wien durch die unbefugte Weitergabe ihm kraft seines Amts bekannt gewordener geheimer Tatsachen, insbesondere des Aufenthaltsortes und sonstiger Daten bezüglich zahlreicher rumänischer politischer Flüchtlinge bzw. Asylwerber, an Angehörige des rumänischen Nachrichtendienstes gegen Erhalt von Geldbeträgen und Geschenken sowie Bezahlung von Speisen und Getränken:

Rechtliche Beurteilung

Dem Einwand, daß die der Entscheidung zugrunde liegende Tat durch die Beurteilung der vom Angeklagten an den rumänischen Nachrichtendienst mitgeteilten Tatsachen als Staatsgeheimnisse einem Strafgesetz unterzogen worden sei, das darauf nicht anzuwenden ist, kommt Berechtigung zu.

Verrat von Staatsgeheimnissen nach § 252 Abs. 1 StGB begeht, wer einer fremden Macht oder einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung ein Staatsgeheimnis bekannt oder zugänglich macht. Gemäß § 255 StGB sind Staatsgeheimnisse Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, insbesondere Schriften, Zeichnungen, Modelle und Formeln, und Nachrichten darüber, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht oder einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die Landesverteidigung der Republik Österreich oder für die Beziehungen der Republik Österreich zu einer fremden Macht oder einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung hintanzuhalten.

Somit ist wesentliches Merkmal eines Staatsgeheimnisses eine Geheimhaltungsnotwendigkeit, die aus der abstrakten Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Republik Österreich erwächst und die unbeschadet anderer staatlicher Geheimhaltungsbedürfnisse nur zugunsten dieses Bereiches besteht (siehe Dokumentation zum Strafgesetzbuch, 212, Leukauf-Steininger2, RN. 7 zu § 255). Die Gefahr eines solchen schweren Nachteils muß sich aus dem Bekanntwerden des Geheimnisses bei einer fremden Macht oder einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung und der dadurch für diese Macht oder Einrichtung geschaffenen Möglichkeit ergeben, das Geheimnis selbst zu benützen oder in irgendeiner Form auszuwerten.

Es kann zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, daß die Bekanntgabe personenbezogener Daten von politischen Flüchtlingen oder Asylwerbern an deren Heimstaat, die eine gravierende Verletzung staatlicher und privater Interessen darstellt (siehe dazu EvBl. 1968/151), auch die Eignung aufweist, die außenpolitischen Beziehungen der Republik Österreich schwer zu beeinträchtigen. In diesem Fall wurde jedoch, ausgehend von den Tatsachenfeststellungen der Geschwornen, noch nicht die Gefahr eines schweren Nachteiles für die außenpolitischen Beziehungen Österreichs herbeigeführt. Eine Gefahr für die Landesverteidigung kam nicht in Betracht. Die in diesem Zusammenhang von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift (II, S. 285 d.A.) vertretene Auffassung, daß die Tatsachen über Flüchtlinge und Asylwerber deswegen Staatsgeheimnisse seien, weil bei ihrer Mitteilung gegenüber dem Heimatland der Flüchtlinge die Gefahr eines schweren Nachteils für die Beziehungen der Republik Österreich zu einer überstaatlichen Einrichtung ('insbesondere der Weltflüchtlingsorganisation bzw. dem Hochkommissariat der UNO für Flüchtlingsfragen') bestehe, hält einer rechtlichen überprüfung nicht stand. Die im Rahmen der UNO von vornherein nicht auf Dauer eingerichtet gewesene 'Internationale Flüchtlingsorganisation' (IRO) war nur bis 28.Feber 1952 tätig. Ein wesentlicher Teil ihrer Funktionen wurde vom Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge übernommen (Schätzel-Veiter, Handbuch des Internationalen Flüchtlingsrechtes, S. 245 ff.). Dieser hat im Rahmen seines Aufgabenbereiches, Flüchtlingen durch internationale Rechtsinstitutionen einen erhöhten Rechtsschutz zu verschaffen und Dauerlösungen für Flüchtlingsprobleme zu suchen, gegenüber der Republik Österreich zwar einen Anspruch auf Unterstützung und Auskunftserteilung (Art. II des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1974/78), doch haben weder er noch die von ihm vertretene UNO ein Recht darauf, daß Österreich Angelegenheiten des Flüchtlingswesens der Geheimhaltung unterwirft. Schon aus diesem Grunde, aber auch im Hinblick auf Organisation und Funktionsweise der Vereinten Nationen kann nicht angenommen werden, daß von staatlicher Stelle ausgegangene Mitteilungen über Einzelangelegenheiten von Flüchtlingen an deren Heimatstaat, der zudem ebenfalls Mitglied der UNO ist, die außenpolitischen Beziehungen zwischen Österreich und der UNO belasten könnten. Somit erweist sich der Einwand des Beschwerdeführers, daß die von ihm an Angehörige des rumänischen Nachrichtendienstes mitgeteilten Tatsachen nicht die Qualität eines Staatsgeheimnisses aufgewiesen haben und ihm demgemäß nicht das Verbrechen nach § 252 Abs. 1 StGB zur Last falle, als berechtigt. Es erübrigt sich somit die Prüfung der Frage, ob § 252 Abs. 1 StGB durch § 302 Abs. 1 und 2 StGB verdrängt wird.

Aber auch die in der Nichtigkeitsbeschwerde angestrebte rechtliche Beurteilung dieser Tathandlung des Angeklagten als das Vergehen des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 StGB ist nicht gerechtfertigt.

Bei der Prüfung des Verhältnisses zwischen einem echten Sonderdelikt und einem allgemeinen Delikt ist nämlich grundsätzlich davon auszugehen, daß das Sonderdelikt das allgemeine, dessen Merkmale bei der Begehung des Sonderdeliktes in concreto verwirklicht wurden - mithin § 302 Abs. 1 und 2 StGB insoweit die Unterstützung eines geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs durch Weitergabe geheimer Tatsachen betreffend Flüchtlinge und Asylwerber nach § 256 StGB - dann verdrängt, wenn alle Merkmale des allgemeinen Deliktes im konkreten Fall im Rahmen des Sonderdeliktes zumindest in einer seiner Phasen gesetzt worden sind und das allgemeine Delikt in seiner Gesamtauswirkung nicht mit strengerer Strafe bedroht ist (vgl. ÖJZ-LSK. 1979/230, Leukauf-Steininger2, RN. 71 zu § 28, 40 zu § 302). Durch das Verbrechen des Mißbrauches der Amtsgewalt bei Führung eines Amtsgeschäftes mit einer fremden Macht (§ 302 Abs. 1 und 2 StGB), wird somit im vorliegenden Fall das Vergehen der Unterstützung eines geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 StGB verdrängt.

Durch die Beurteilung der Tat auch als das Vergehen des Verrates von Staatsgeheimnissen nach § 252 StGB wurde das Gesetz verletzt. Es war daher der Nichtigkeitsbeschwerde - aus dem Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z. 11 lit. a StPO, der dem der Z. 12 dieser Gesetzesstelle vorgeht - Folge zu geben und gemäß § 351 StPO das angefochtene Urteil, welches im Schuldspruch wegen Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 und Abs. 2 StGB (Punkt 2 des Urteilssatzes) und wegen Vergehens des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 StGB (Punkt 3 des Urteilssatzes) unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen Verbrechens des Verrates von Staatsgeheimnissen nach § 252 Abs. 1 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und demgemäß auch im Strafausspruch aufzuheben.

In Ansehung des aufrecht bleibenden Teiles des Schuldspruches war

die Strafe nach § 302 Abs. 2, 28

StGB neu zu bemessen.

Erschwerend war das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen und die Begehung der Taten durch längere Zeit sowie der Umstand, daß der Angeklagte das Verbrechen des Mißbrauchs der Amtsgewalt gegen Entgelt verübte (vgl. Leukauf-Steininger2, RN. 38 zu § 302 am Ende) und ausländische Flüchtlinge in schwere Gefahr gebracht hat, ferner daß der Angeklagte beim Vergehen des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 StGB seine Amtsstellung ausgenützt hat, mildernd das Geständnis und der untadelhafte Wandel des Angeklagten.

Unter Berücksichtigung des großen Schuld- und Unrechtsgehaltes der Tat (der Angeklagte hat sein hohes, verantwortungsvolles Amt jahrelang gegen Entgelt mißbraucht) war ungeachtet des Wegfalles eines der idealkonkurrierenden Delikte, eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren angemessen.

Der Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft und die Kostenersatzpflicht wird aus dem Ersturteil übernommen. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.