JudikaturJustiz12Os6/15x

12Os6/15x – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. März 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. März 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaltenbrunner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johannes B***** wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 51 Hv 32/13i des Landesgerichts Feldkirch, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des genannten Gerichts vom 4. Mai 2014, GZ 51 Hv 32/13i 35, und weitere Vorgänge erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, und der Verteidigerin Mag. Reisinger zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 51 Hv 32/13i des Landesgerichts Feldkirch, verletzt die Unterlassung der nachstehend angeführten Zustellungen an den gesetzlichen Vertreter des jugendlichen Beschuldigten Johannes B***** das Gesetz, und zwar

1./ des Antrags der Staatsanwaltschaft vom 12. März 2014 auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens (ON 29) zur Gegenäußerung binnen 14 Tagen in § 38 Abs 1 JGG iVm § 357 Abs 2 erster Satz StPO;

2./ des Beschlusses vom 4. Mai 2014 auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens (ON 35) in § 38 Abs 3 erster Satz JGG iVm § 86 Abs 2 StPO iVm § 87 Abs 1 StPO.

Der zuletzt bezeichnete Beschluss wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 12. März 2014 auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens (ON 29) an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.

Text

Gründe:

In der Jugendstrafsache AZ 51 Hv 32/13i des Landesgerichts Feldkirch legte die Staatsanwaltschaft Feldkirch mit Strafantrag vom 18. April 2013, AZ 9 St 82/13f, dem am 23. August 1996 geborenen Angeklagten Johannes B***** als Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und Abs 2 StGB (I./) sowie der Nötigung nach den §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (II./, III./1./), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (III./2./) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (III./3./) qualifiziertes Verhalten zum Nachteil der Sabrina H***** zur Last (ON 3).

Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil der Einzelrichterin in Jugendstrafsachen des Landesgerichts Feldkirch vom 5. Juni 2013 wurde der jugendliche Angeklagte mehrerer Vergehen schuldig erkannt, jedoch von der Anklage (I./), er habe in W***** im Zeitraum von März 2012 bis Ende Februar 2013 gegen Sabrina H***** eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie mehr als zehnmal mit Fäusten gegen den Bauch und gegen das Gesicht geschlagen habe, wodurch diese teilweise Prellungen und Schürfwunden erlitten habe, mangels Schuldbeweises gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen (ON 14).

Aus Anlass des ihre polizeilichen Angaben abschwächenden und zum oben angeführten Freispruch führenden Aussageverhaltens der Zeugin Sabrina H***** in der Hauptverhandlung vom 5. Juni 2013 (ON 13 S 5 ff) erhob die Staatsanwaltschaft Feldkirch am 20. Juni 2013 zu AZ 9 St 131/13m in der Jugendstrafsache AZ 20 Hv 68/13f des Landesgerichts Feldkirch Strafantrag (ON 4 des zuletzt bezeichneten Aktes) gegen die Genannte wegen des Verdachts der am 8. März 2013 und am 15. März 2013 in W***** im Ermittlungsverfahren gegen Johannes B***** begangenen Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB (I./) sowie der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (II./).

Nachdem die Angeklagte Sabrina H***** in der Hauptverhandlung am 24. Juli 2013 angegeben hatte, als Zeugin nicht vor der Polizei, sondern in der Hauptverhandlung am 5. Juni 2013 gegen Johannes B***** falsch ausgesagt zu haben, gab die Staatsanwaltschaft noch in dieser Hauptverhandlung eine Alternativanklage zu Protokoll, der zufolge sie als Zeugin in der Hauptverhandlung am 5. Juni 2013 gegen Johannes B***** vor dem Landesgericht Feldkirch die Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (III./) und der Begünstigung nach § 299 Abs 1 StGB (IV./) begangen habe (ON 10 S 3 f des Aktes AZ 51 Hv 46/13y des Landesgerichts Feldkirch).

Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 2. September 2013, GZ 20 Hv 68/13f 13, wurde Sabrina H***** im Sinne dieser Alternativanklage schuldig erkannt.

Hierauf beantragte die Staatsanwaltschaft Feldkirch in dem Johannes B***** betreffenden Verfahren AZ 51 Hv 32/13i des Landesgerichts Feldkirch am 12. März 2014 gemäß § 355 StPO iVm § 352 Abs 1 Z 1 StPO die Wiederaufnahme des Strafverfahrens im Umfang des am 5. Juni 2013 ergangenen Freispruchs des Angeklagten Johannes B*****, weil dieser durch die falsche Beweisaussage der Zeugin Sabrina H***** herbeigeführt worden sei (ON 29).

Dieser Antrag wurde zur Gegenäußerung binnen 14 Tagen lediglich dem jugendlichen Antragsgegner und dem seinerzeit anlässlich der Ausschreibung der Hauptverhandlung vom 5. Juli 2013 bestellten (ON 5) Verfahrenshilfeverteidiger, nicht jedoch einem gesetzlichen Vertreter des Jugendlichen zugestellt (ON 33).

Mit Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichts Feldkirch vom 4. Mai 2014, GZ 51 Hv 32/13i 35, wurde in Stattgebung des Antrags der Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen Johannes B***** wegen § 107b Abs 1 und Abs 2 StGB gemäß § 355 StPO im Umfang des rechtskräftigen Freispruchs wiederaufgenommen und das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 5. Juni 2013 (ON 14) umfänglich des Freispruchs aufgehoben. Dieser Beschluss wurde lediglich der Staatsanwaltschaft und durch Hinterlegung am 19. Mai 2014 dem jugendlichen Beschuldigten, nicht jedoch seinem gesetzlichen Vertreter zugestellt (ON 35 S 5 f).

Die Staatsanwaltschaft Feldkirch erhob am 14. August 2014 zu AZ 9 St 82/13f hinsichtlich des dem seinerzeitigen Freispruch zu Grunde liegenden Vorwurfs Strafantrag gegen Johannes B***** (ON 36 in dem das wiederaufgenommene Verfahren betreffenden Akt AZ 39 Hv 64/14h des Landesgerichts Feldkirch).

Anlässlich der Ausschreibung der Hauptverhandlung im wiederaufgenommenen Verfahren für den 24. September 2014 wurde dem Angeklagten ein Verfahrenshilfeverteidiger beigegeben (ON 38 im Akt AZ 39 Hv 64/14h des Landesgerichts Feldkirch).

Die Hauptverhandlung wurde am 24. September 2014 auf unbestimmte Zeit vertagt (ON 42 S 2 des zuletzt bezeichneten Aktes).

Am 1. Oktober 2014 verfügte das Landesgericht Feldkirch die Zustellung der „ON 35“ (gemeint sichtlich: des Beschlusses auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens ON 35 im Akt AZ 51 Hv 32/13i und ON 47 im Akt AZ 39 Hv 64/14h jeweils des Landesgerichts Feldkirch) an „die Erziehungsberechtigte des Johannes B*****“, worauf der seinerzeitigen gesetzlichen Vertreterin (der Mutter) des nunmehr volljährigen Angeklagten der Beschluss am 3. Oktober 2014 eigenhändig zugestellt wurde (ON 42 S 3).

Am 17. Oktober 2014 langte beim Landesgericht Feldkirch zu AZ 51 Hv 32/13i eine vom Verfahrenshilfeverteidiger im Verfahren AZ 39 Hv 64/14h dieses Landesgerichts verfasste Beschwerde des Angeklagten Johannes B***** (ON 42 im Akt AZ 51 Hv 32/13i des Landesgerichts Feldkirch) gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 4. Mai 2014 auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens ein.

Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 25. November 2014, AZ 11 Bs 326/14z, 349/14g (ON 47 im Akt AZ 51 Hv 32/13i des Landesgerichts Feldkirch bzw ON 52 im Akt AZ 39 Hv 64/14h dieses Landesgerichts), wurde die Beschwerde als unzulässig (verspätet) zurückgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Das Verfahren betreffend die Wiederaufnahme des Strafverfahrens steht wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ausführt mit dem Gesetz nicht im Einklang.

1./ Gemäß § 357 Abs 2 erster Satz StPO hat das Landesgericht den Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens dem Gegner des Antragstellers mit der Belehrung zuzustellen, dass er seine Gegenäußerung binnen 14 Tagen überreichen könne. Bei der Wiederaufnahme zu Lasten des Beschuldigten gemäß den §§ 352, 355 und 356 StPO bedarf es dessen Anhörung ( Lewisch , WK StPO § 357 Rz 14).

Soweit der Beschuldigte das Recht hat, gehört zu werden, steht dieses Recht gemäß § 38 Abs 1 JGG auch dem gesetzlichen Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten zu.

Da der am 23. August 1996 geborene Beschuldigte Johannes B***** zum Zeitpunkt des Antrags der Staatsanwaltschaft vom 12. März 2014 auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens noch jugendlich war, hätte dieser Antrag auch dessen gesetzlichem Vertreter zugestellt werden müssen (vgl Schroll in WK² JGG § 38 Rz 24).

2./ Gemäß § 86 Abs 2 StPO ist jeder Beschluss schriftlich auszufertigen und den zur Beschwerde Berechtigten zuzustellen. Jeder Wiederaufnahmebeschluss ist durch Beschwerde anfechtbar. Es gilt die allgemeine Regelung der §§ 87 ff StPO ( Lewisch , WK-StPO § 357 Rz 29). Gemäß § 87 Abs 1 erster Satz StPO steht gegen gerichtliche Beschlüsse ua dem Beschuldigten Beschwerde an das Rechtsmittelgericht zu.

Der gesetzliche Vertreter ist gemäß § 38 Abs 3 erster Satz JGG berechtigt, alle Rechtsmittel zu ergreifen, die das Gesetz dem Jugendlichen gewährt.

Der Beschuldigte Johannes B***** war anlässlich der Beschlussfassung vom 4. Mai 2014 auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens noch jugendlich, sodass dieser Beschluss dem rechtsmittelbefugten gesetzlichen Vertreter hätte zugestellt werden müssen.

Die erst am 3. Oktober 2014 erfolgte Beschlusszustellung an die seinerzeitige gesetzliche Vertreterin Karin B***** bewirkte keine Sanierung des Versäumnisses, weil infolge mittlerweile eingetretener Volljährigkeit des Beschuldigten Johannes B***** zu diesem Zeitpunkt die Mitwirkungsrechte des gesetzlichen Vertreters bereits erloschen waren (vgl Schroll in WK 2 JGG § 38 Rz 22; RIS Justiz RS0120788 [T3]).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die bezeichneten Gesetzesverletzungen für den Beschuldigten nachteilig ausgewirkt haben. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Durch die Aufhebung des Beschlusses auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens wird die von diesem rechtslogisch abhängige Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck hinfällig (RIS Justiz RS0100444).