JudikaturJustiz12Os23/23h

12Os23/23h – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. März 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. März 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Gigl in der Strafsache gegen M* S* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 23. September 2022, GZ 5 Hv 50/22b-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch C./ wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB, demzufolge auch im Strafausspruch und im Zuspruch an die Privatbeteiligte * K* aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde M* S* mehrerer Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (A./1./ und C./), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A./2./) und des Vergehens der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (B./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

A./ seine am 2. Juli 1998 geborene Schwester N* S*

1./ vom 2. Juli 2010 bis zum Oktober 2016 in wiederholten Angriffen (außer den Fällen des § 201 StGB) mit Gewalt zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er sie an den Schultern erfasste, gegen eine Wand, ein Bett oder eine Couch drückte, seinen Körper gegen ihren presste, sein Knie an ihrem Genitalbereich rieb, ihre Vagina und ihre Brüste über der Kleidung betastete, den Versuch unternahm, mit einem Finger über der Bekleidung in die Vagina einzudringen, und ihre nackte Vagina streichelte,

2./ vom 2. Juli 2013 bis zum Juli 2015 mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sich auf sie kniete, ihr die Jogginghose herunterzog, ihre Arme mit einer Hand über dem Kopf fixierte, sich auf sie legte, ihre Beine mit seinen Knien auseinander drückte, sodann mit seinem erigierten Penis in ihre Vagina eindrang und den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss vollzog,

B./ durch die zu A./2./ dargestellte Handlung mit seiner Schwester den Beischlaf vollzogen

sowie – nach dem Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) –

C./ vom 4. August 2012 bis zum 4. August 2014 die am 4. August 1997 geborene * K* (außer den Fällen des § 201 StGB) mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie zu Boden brachte, sie festhielt und über der Bekleidung ihre Brüste betastete.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 (richtig) lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie ist – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – teilweise im Recht.

[4] Der Beschwerde entsprechend leidet die bekämpfte Entscheidung an einem Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a, nominell verfehlt auch Z 5), hat das Erstgericht doch keinerlei Konstatierungen getroffen, die den Schuldspruch C./ tragen könnten. Das Referat eines vom Angeklagten (auch) zum Nachteil von K* gesetzten, rechtlich als geschlechtliche Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB beurteilten Verhaltens im Urteilstenor vermag die Feststellung entscheidender Tatsachen zum in Rede stehenden Schuldspruch nicht zu ersetzen (RIS Justiz RS0114639).

[5] Diese vom Angeklagten geltend gemachte Nichtigkeit führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO).

[6] Die übrigen Beschwerdeeinwände verfehlen ihr Ziel:

[7] Tatsachenfeststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge (Z 5) oder Tatsachenrüge (Z 5a) anfechtbar, als sie die Frage nach der rechtlichen Kategorie einer oder mehrerer strafbarer Handlungen beantworten und solcherart im Sinn der angesprochenen Nichtigkeitsgründe entscheidend sind (RIS-Justiz RS0117499). A uf die Frage, w ie eine mit Gewalt erfolgte Nötigung zur Duldung des Beischlafs im Detail vonstatten gegangen ist, trifft dies nicht zu.

[8] Das auf § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO gestützte Vorbringen macht im Wesentlichen geltend, das Erstgericht hätte aus der Aufrechterhaltung familiärer Kontakte mit ihrem Bruder durch die Zeugin N* S* (auch nach Erreichen ihrer Volljährigkeit) auf die Unglaubwürdigkeit der Angaben dieser Zeugin zu schließen gehabt, sie sei von ihrem Bruder als Minderjährige sexuell missbraucht worden. Eine Überschreitung des bei der Beweiswürdigung Vertretbaren (vgl RIS-Justiz RS0118010) wird damit nicht substantiiert behauptet.

[9] Dass das Erstgericht aus dem Nachtatverhalten der Zeugin auch andere, für den Beschwerdeführer günstigere Schlüsse hätte ziehen können, sich aber dennoch für die dem Angeklagten ungünstigeren entschieden hat, ist Ausdruck der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 zweiter Satz StPO), die mit der Mängelrüge unbekämpfbar ist (RIS Justiz RS0114524 und RS0099419).

[10] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[11] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei hinzugefügt, dass die Subsumtion des zum Schuldspruch B./ festgestellten Sachverhalts nach § 211 Abs 1 StGB – wie vom Erstgericht in den Entscheidungsgründen erkannt (US 6) und auch von der Generalprokuratur zutreffend dargelegt – verfehlt erfolgte.

[12] Nach § 211 Abs 1 StGB (idF BGBl 1988/599, zum Günstigkeitsvergleich im Fall der Idealkonkurrenz vgl RIS-Justiz RS0089011 [T3]) ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen, wer mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist (vgl dazu Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 72 Rz 5), den Beischlaf vollzieht. Wer hingegen mit seinem Bruder oder – wie hier festgestellt – mit seiner Schwester den Beischlaf vollzieht, ist nach § 211 Abs 3 StGB (idF BGBl 1988/599) mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten zu bestrafen.

[13] Zur amtswegigen Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) dieses Subsumtionsfehlers (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) bestand mangels konkreten Nachteils für den Angeklagten kein Anlass.

[14] Zudem hat das Erstgericht – wie von der Generalprokuratur ebenfalls zutreffend aufgezeigt – die vom Schuldspruch A./2./ umfasste Tat verfehlt § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 unterstellt, obwohl die zur – angesichts des konstatierten Tatzeitraums im Zweifel anzunehmenden (vgl RIS-Justiz RS0131758 und RS0098693 [T6]) – Tatzeit geltende Bestimmung des § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 zufolge der Strafuntergrenze von (bloß) sechs Monaten günstiger war (§ 61 zweiter Satz StGB). Indem das Schöffengericht aber zudem verfehlt die zur Tatzeit noch nicht in Geltung stehende Bestimmung des § 19 Abs 1 JGG idF BGBl I 2015/154 (statt richtigerweise § 36 StGB idF BGBl I 2001/19) anwendete und somit zu Unrecht von einem Entfall der Strafuntergrenze ausging (US 6), wirkte sich dieser Subsumtionsfehler mit Blick auf die dem Angeklagten insgesamt (rechtsfehlerhaft) zum Vorteil gereichende Strafrahmenbildung für ihn nicht nachteilig aus.

[15] Aufgrund der hier getroffenen Klarstellungen ist das Erstgericht bei der Fällung seines Urteils im zweiten Rechtsgang insoweit an den im ersten Rechtsgang erfolgten Ausspruch über das (jeweils) anzuwendende Strafgesetz nicht gebunden (RIS-Justiz RS0129614 [T1]).

[16] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

[17] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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