JudikaturJustiz12Os186/08g

12Os186/08g – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Januar 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Jänner 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und Dr. T. Solé in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Trebuch als Schriftführer in der Strafsache gegen Ludwig L***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 40 Hv 19/08f des Landesgerichts Salzburg, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht vom 7. November 2008, AZ 8 Bs 399/08w (ON 424 der Hv-Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Ludwig L***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit auch Freisprüche enthaltendem Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 10. Juli 2008 (ON 371) wurde Ludwig L***** der Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB (A) und der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (C) sowie der Vergehen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (B), der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB (D) und des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (E) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren verurteilt. Inhaltlich des Schuldspruchs hat er

(A) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz sowie in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von „teils schweren Betrügereien" eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, mehrere Personen durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, die diese oder andere mit einem insgesamt 3.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, nämlich

1) am oder nach dem 7. Dezember 2004 sowie nach dem 23. Februar 2005 in zwei Angriffen Maria P***** durch die Vorgabe, ihr Kapital gewinnbringend anzulegen, zur Ausfolgung von insgesamt 36.700 Euro,

2) Maria P***** als Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin der I***** GmbH durch das Versprechen, er werde für die Benützung der Infrastruktur dieser Gesellschaft entsprechende monatliche Pauschalzahlungen leisten und die Kosten für einen Pkw tragen, (a) in der Zeit vom Jänner 2005 bis zum Mai 2005 zur Bereitstellung von Büroräumen samt Infrastruktur im Gegenwert von mindestens 2.250 Euro und

(b) am 27. Dezember 2004 zum Abschluss eines Leasingvertrags für einen BMW X3 um 3.139,12 Euro sowie

3) in der Zeit vom 27. April 2007 bis zum 12. Juli 2007 in sechs Angriffen Angestellte mehrerer Beherbergungsbetriebe durch die Vorgabe, ein zahlungsfähiger und zahlungswilliger Gast zu sein, zur Überlassung von Hotelzimmern im Gegenwert von insgesamt rund 5.800 Euro,

(B) in der Zeit vom 3. November 2004 bis zum 2. Dezember 2004 die ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über das Aktiendepot der Maria P***** zu verfügen, dadurch wissentlich missbraucht und dieser einen 3.000 Euro übersteigenden Vermögensnachteil zugefügt, dass er in vier Angriffen insgesamt 40.000 Euro von dem Depot behob und für sich verwendete,

(C) in der Zeit vom 26. Mai 2005 bis zum 2. Juni 2005 Maria P***** durch die wiederholt geäußerten Drohungen, er werde ihre Existenz zerstören und Nacktfotos von ihr veröffentlichen, zur Rücknahme der gegen ihn erstatteten Anzeige zu nötigen versucht,

(D) in der Zeit vom April 2007 bis zum Herbst 2007 Maria P***** durch zahlreiche SMS, Fax-Nachrichten, Briefe, Postkarten und E-Mails in einer Weise verfolgt, die geeignet gewesen ist, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, sowie

(E) am 23. Mai 2005 drei Tintenpatronen im Gesamtwert von 47,70 Euro Gewahrsamsträgern des Unternehmens S***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht. Dieses Urteil bekämpfen der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit Berufung (ON 370 S 129). Über diese Rechtsmittel wurde noch nicht entschieden. Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Linz der Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 22. Oktober 2008 (ON 416) nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus den Gründen der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und lit c StPO fort.

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Rechtliche Beurteilung

Auf die Einwendungen gegen die Dringlichkeit des Tatverdachts ist angesichts der Verurteilung in erster Instanz nicht einzugehen (RIS-Justiz RS0061112; Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 180 aF Rz 4). Der Einwand der Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Grundsatzes der Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 MRK) geht - wie der Oberste Gerichtshof auch in der gegenständlichen Strafsache bereits mehrfach betont hat (zuletzt 12 Os 89/08t = ON 374) - ebenso wie jener eines Verstoßes gegen Art 6 Abs 1 MRK schon im Ansatz fehl, weil im Strafverfahren nur Entscheidungen über eine strafrechtliche Anklage selbst in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK fallen, nicht also Verfahren, innerhalb derer - wie hier - Maßnahmen im Rahmen eines Strafprozesses überprüft werden (RIS-Justiz RS0121606; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ § 24 Rz 26). Der Oberste Gerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 2. Juli 2008, AZ 12 Os 89/08t (ON 374), festgehalten, dass zum Zeitpunkt der zum AZ 8 Bs 167/08b (ON 311) getroffenen Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Linz (13. Mai 2008) eine Verletzung des Beschleunigungsgebots (§ 177 Abs 1 StPO) nicht erfolgt ist. Soweit sich auch das nunmehrige Vorbringen hiezu auf den genannten Zeitraum bezieht, steht seiner meritorischen Erledigung das Prozesshindernis der res iudicata entgegen.

Aus welchem Grund der Umstand, dass das Erstgericht die Hauptverhandlung am 29. Mai 2008 zwecks Ladung einer nach der Aktenlage zum damaligen Zeitpunkt voraussichtlich noch drei bis vier Wochen in stationärer Behandlung in der Schweiz befindlichen Tatzeugin vertagte (ON 326 S 208 f) und sodann am 10. Juli 2008 fortsetzte (ON 370), oder die gemäß § 270 Abs 3 StPO vorgenommene Urteilsberichtigung eine die Bestimmung des § 177 Abs 1 StPO verletzende Verfahrensverzögerung begründen soll, vermag die Beschwerde nicht darzulegen.

Durch die erst rund zwei Monate nach Verkündung erfolgte Urteilszustellung (ON 370, ON 1 S 1yyyy) wurde zwar die Anordnung des § 270 Abs 1 StPO, aber mit Blick auf den Aktenumfang (damals acht Aktenbände), die siebzehn Tatvorwürfe enthaltende Anklageschrift (ON 240), die Komplexität der Sache, die vier Verhandlungstage in Anspruch nehmende Hauptverhandlung (ON 326, 370) und die 90 Seiten umfassende Urteilsschrift (ON 371) nicht das Beschleunigungsgebot verletzt.

Die Beschwerdeansicht, bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft sei nur ein Teil der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Tatvorwürfe zu berücksichtigen, argumentiert nicht aus dem Gesetz. § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO stellt nämlich allein auf die Relation der Haftdauer zur Bedeutung der Sache sowie zu der zu erwartenden Strafe ab. Beurteilungsbasis dieser beiden Kriterien ist nach der Systematik der Bestimmungen über die Untersuchungshaft die - entsprechend qualifizierte - Verdachtslage (§§ 173 Abs 1 erster Satz, 174 Abs 1 erster und zweiter Satz, Abs 3 Z 2 und Z 4, 177 Abs 2 StPO). In concreto wird diese - wie bereits dargelegt - durch den (noch nicht rechtskräftigen) Schuldspruch determiniert. Hievon ausgehend steht aber die im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung rund dreizehn Monate dauernde Untersuchungshaft weder zur Bedeutung der Sache noch zu der zu erwartenden Strafe (vgl auch die vom Schöffengericht ausgesprochene Sanktion) außer Verhältnis. Da die behauptete Grundrechtsverletzung somit nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Rechtssätze
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