JudikaturJustiz12Os133/12v

12Os133/12v – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. März 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. März 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Viktorin als Schriftführer in der Strafsache gegen Marco P***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 15 Abs 1 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen der Angeklagten Ibrahim D***** und Benjamin Dj***** sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 9. Februar 2012, GZ 34 Hv 142/11m 92, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, und der Verteidiger Dr. Vinkuvits, Dr. Weinzirl und Dr. Aigner, zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das in den Schuldsprüchen F./ und G./ unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen A./ bis E./ sowie H./ bis I./, demzufolge auch in den Strafaussprüchen sowie auch der hinsichtlich Memeht T***** gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefasste Beschluss aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft werden mit ihren übrigen Rechtsmitteln auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Marco P***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach „§ 15 StGB“ (RIS Justiz RS0088390; RS0088335), § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (A./ zu ergänzen: 1./), der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (F./) und der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (G./), Juan Pe***** C***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, § 15 Abs 1 StGB (A./), der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (F./) und der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 (zu ergänzen: Abs 1) StGB (G./) sowie des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (H./), Mehmet T***** der Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (C./1./), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (C./2./), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (C./3./) und der Vorbereitung des Suchtgifthandels nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (E./), Ibrahim D***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 sechster Fall SMG (B./), der Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (C./1./), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (C./2./), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (C./3./), des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (I./) und Benjamin Dj***** der Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 2 StGB (D./1./) sowie der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (D./2./) schuldig erkannt.

Danach haben (zusammengefasst) in I***** und andernorts

A./ vorschriftswidrig eine die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Menge Suchtgift, nämlich Kokain anderen überlassen bzw zu überlassen versucht, und zwar

1./ Marco P***** und Juan Pe***** C***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) am 28. Dezember 2010, indem sie Mehmet T***** 100 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 20 Gramm „zu verkaufen versuchten“;

2./ Juan Pe***** C*****, im ersten Halbjahr 2011 an Ralph Z***** eine unbestimmte Menge durch Verkauf;

3./ Juan Pe***** C***** zwischen Ende 2010 und März 2011 an Miralem De***** in drei Angriffen insgesamt etwa 0,2 Gramm;

B./ Ibrahim D***** vorschriftswidrig einem anderen Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge verschafft, und zwar

1./ zwischen Anfang Dezember und 28. Dezember 2010, indem er den zu Punkt A./1./ angeführten Verkauf vermittelte;

2./ zwischen 2010 und der ersten Jahreshälfte 2011, durch Vermittlung von zehn Ankäufen des Fetih A*****, und zwar von jeweils zumindest fünf Gramm Cannabiskraut mit einer Reinsubstanz von gesamt 2,5 Gramm THC, bei unbekannten Suchtgiftverkäufern;

C./ Mehmet T***** und Ibrahim D***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) am 28. Dezember 2010

1./ mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Marco P***** und Juan Pe***** C***** durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch Vorgabe ihrer Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit, zur Übergabe von 100 Gramm Kokain im Wert von zumindest 7.500 Euro verleitet, wodurch die Genannten am Vermögen in einem 3.000 Euro übersteigenden Betrag geschädigt wurden;

2./ Marco P***** und Juan Pe***** C***** mit Gewalt, zu einer Unterlassung, nämlich zu ihrer Verfolgung und der Abnahme des zuvor übergebenen Kokains genötigt, indem Ibrahim D***** im Sinne der Absprache einen Pfefferspray einsetzte;

3./ Marco P***** durch den Einsatz von Pfefferspray, der ein Brennen der Augen zufolge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt;

D./ Benjamin Dj***** am 28. Dezember 2010

1./ zu C./1./ durch Aufpasserdienste beigetragen;

2./ Juan Pe***** C***** durch einen Stoß mit den Fingern ins Auge, der ein Hämatom zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt;

E./ Mehmet T***** am 28. Dezember 2010 durch die zu Punkt C./1./ geschilderte Handlung vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 100 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 20 Gramm, mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde;

F./ ...

G./ ...

H./ Juan Pe***** C***** zwischen 2010 und der ersten Jahreshälfte 2011 über die bereits angeführten Suchtgiftmengen hinaus vorschriftswidrig geringe Mengen Suchtgift, nämlich Kokain zum Zweck des Eigenkonsums erworben und besessen;

I./ Ibrahim D***** im Jahr 2010 und in der ersten Jahreshälfte 2011 über die bereits angeführten Suchtgiftmengen hinaus vorschriftswidrig eine geringe Menge Suchtgift, nämlich Cannabiskraut zum Zweck des Eigenkonsums erworben und besessen.

Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft sowie der Angeklagten Ibrahim D***** und Benjamin Dj*****.

Rechtliche Beurteilung

Der entgegen der Stellungnahme des Angeklagten Dj***** nach der Aktenlage rechtzeitig erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu.

Gegen die Schuldsprüche C./ und D./ gerichtet, strebt die Subsumtionsrüge (Z 10) eine anklagekonforme Verurteilung der Angeklagten Mehmet T*****, Ibrahim D***** und Benjamin Dj***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142, 143 zweiter Fall an, wobei sie einen Feststellungsmangel zur subjektiven Tatseite geltend macht.

Die zu C./1./ bis 3./ und D./1./ und 2./ festgestellten Verhaltensweisen stellen ein einheitliches Tatgeschehen dar. Den Entscheidungsgründen zufolge war der Tatplan der Angeklagten jedenfalls von Beginn an auch darauf gerichtet, im Fall des Widerstands des Opfers eine Waffe, nämlich einen Pfefferspray, einzusetzen (vgl US 11 ff; RIS Justiz RS0093704). Bei von vornherein auch auf die Anwendung räuberischer Mittel zum Zweck der Sachwegnahme gerichtetem Tätervorsatz ist die Tat auch dann als Raub zu beurteilen, wenn der Täter dem Opfer die Beute unter einem Vorwand hier das Suchtgift zum vereinbarten Preis anzukaufen herauslockte und die unmittelbar nachfolgende Gewaltanwendung gegen den zu erwartenden Widerstand des Opfers beim Wegnahmevorgang bereits einkalkulierte (RIS Justiz RS0093704 [T3]). Die Übergabe einer Sache zur (bloß kurzfristigen) Prüfung unter der unmittelbaren Kontrolle durch den Übergeber bewirkt nämlich, wie die Staatsanwaltschaft zutreffend aufzeigt, noch nicht den endgültigen und damit entscheidenden Gewahrsamsbruch (RIS Justiz RS0093769, RS0093767).

Mit der Bezugnahme auf das festgestellte äußere Tatgeschehen vermisst die Subsumtionsrüge (Z 10) gleichfalls zu Recht dadurch indizierte, vom Erstgericht aber unterlassene Feststellungen, die einen Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB allenfalls auch in subjektiver Hinsicht tragen könnten.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft waren die angefochtenen Schuldsprüche zu kassieren.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aber auch davon, dass die Schuldsprüche A./1./, B./1./ und E./1./ mit einer nicht geltend gemachten materiell rechtlichen Nichtigkeit behaftet sind, die sich zum Nachteil der Angeklagten Marco P*****, Juan Pe***** C*****, Ibrahim D***** und Mehmet T***** auswirkt.

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite, wonach es die Angeklagten zumindest billigend in Kauf nahmen und sie sich damit abfanden, dass die Suchtgiftmenge „groß und geeignet ist, in einem großen Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen“ (vgl US 15 und 16), bringen mangels Bezugnahme auf die konkrete Reinsubstanz der Suchtgifte den vom Gesetz geforderten Vorsatz nicht zum Ausdruck, der sich mit Blick auf die wegen § 28 SMG bzw § 28a SMG ergangenen Schuldsprüche auf eine die Grenzmenge übersteigende Suchtgiftmenge beziehen muss.

Da nach Aufhebung eines Schuldspruchs nach § 28 SMG oder § 28a SMG wegen fehlender Feststellungen zu jeweils subsumtionsrelevanten Suchtgiftmengen auch jene Annahmen, die einen insoweit nicht erfolgten Schuldspruch nach § 27 Abs 1 SMG allenfalls zu tragen vermögen, nicht bestehen bleiben können, waren (im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur) auch die Schuldsprüche A./ und B./ jeweils zur Gänze (RIS Justiz RS0115884; Ratz , WK StPO § 289 Rz 18) und mit Blick auf die Bestimmungen der §§ 35 und 37 SMG zudem auch die Schuldsprüche H./ und I./ von Amts wegen aufzuheben.

Mit Blick auf die Kassation erübrigt sich ein Eingehen auf die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Ibrahim D***** und Benjamin Dj*****, die insoweit auf das aufhebende Erkenntnis zu verweisen waren.

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass der Reinheitsgehalt der seit Jahrzehnten bekannten Droge Kokain von 20 % gerichtsnotorisch und demnach (entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist. Mit Blick auf den entsprechenden Verweis im Anklagevortrag (ON 91 S 5 iVm ON 61) kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Angeklagten von einer ihren unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich überrascht wurden (vgl RIS Justiz RS0098570 [T16 und T21], RS0119257 [T4, T6, T8]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 463).

Mit ihren Berufungen waren sowohl die Angeklagten als auch die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung der Strafaussprüche zu verweisen.

Rechtssätze
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