JudikaturJustiz12Os130/88

12Os130/88 – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. November 1988

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.November 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bogensberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Dkfm. Roland L*** und einen anderen wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach §§ 159 Abs. 2 und Abs. 3 zweiter Fall, 161 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 31 E Vr 6/88 des Landesgerichtes Linz, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Einzelrichters des Landesgerichtes Linz vom 11.März 1988, GZ 31 E Vr 6/88-143, und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 20.April 1988, AZ 8 Bs 126/88, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

I. Aus den dem Obersten Gerichtshof übermittelten Akten des Landesgerichtes Linz ergibt sich:

1. Im Strafverfahren gegen Dr.Gernot P*** und andere, AZ 20 Vr 3119/85, beantragte die Staatsanwaltschaft Linz am 3. November 1987 (unter anderem) die Ausscheidung des Verfahrens gegen die Beschuldigten Dkfm.Roland L*** und Dkfm.Tankred H*** gemäß § 57 StPO, wobei sie unter einem Strafantrag gegen Dkfm.L*** wegen Vergehens der fahrlässigen Krida nach §§ 159 Abs. 2 "Z 1" und Abs. 3 zweiter Fall, 161 Abs. 1 StGB sowie gegen Dkfm.L*** und Dkfm.H*** wegen Vergehens nach § 123 (im Strafantrag irrig: § 124) GmbHG stellte. Nach erfolgter Ausscheidung wurden die Akten am 8.Jänner 1988 dem Einzelrichter vorgelegt. Das Verfahren ist nunmehr zu 31 E Vr 6/88 anhängig; eine Hauptverhandlung wurde noch nicht angeordnet.

Als fahrlässige Krida wird dem Beschuldigten Dkfm.L*** angelastet, er habe in Linz teilweise mit dem abgesondert verfolgten Dr.Gernot P*** in der Zeit von Anfang 1984 bis 22.November 1985 als finanziell-administrativer Geschäftsführer der V***-A*** I*** GmbH, sohin als leitender Angestellter einer

juristischen Person, die Schuldner mehrerer Gläubiger war, fahrlässig die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und in der Folge auch der V***-A*** AG derart beeinträchtigt, daß Zahlungsunfähigkeit eingetreten wäre, wenn nicht von der Republik Österreich, ohne hiezu verpflichtet zu sein, im Wege der Ö*** Zuwendungen erbracht worden wären, indem er

Rechtliche Beurteilung

II. Die Generalprokuratur vertritt die Auffassung, daß sowohl der Beschluß des Einzelrichters vom 11.März 1988 als auch der Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 20.April 1988 das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 114 Abs. 1 Z 1, 225 Abs. 1 und 488 StPO verletzen. In ihrer deshalb gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes hat sie hiezu ausgeführt:

"Zunächst ist davon auszugehen, daß die Ablehnung eines Antrags auf Einbeziehung gemäß § 56 StPO dem Beschluß auf Ausscheidung dieses Verfahrens gemäß § 57 StPO gleichkommt und daher nur unter den Voraussetzungen der letztgenannten Gesetzesstelle zulässig ist. In beiden Fällen wird nämlich die gesetzliche Zuständigkeitsordnung, die unter den in den §§ 55, 56 StPO beschriebenen Voraussetzungen der subjektiven, objektiven und gemischten Konnexität die Führung eines gemeinsamen Verfahrens vorsieht, in gleicher Weise durchbrochen. Dies ist nur zulässig, wenn die getrennte Verfahrensführung wegen einzelner strafbarer Handlungen oder gegen einzelne Beschuldigte zur Vermeidung von Verzögerungen oder Erschwerungen des Verfahrens oder zur Kürzung der Haft eines Beschuldigten dienlich scheint (§ 57 Abs. 1 StPO). Vorliegend wurde die gemeinsame Verfahrensführung nach dem nicht ganz deutlichen Beschluß des Landesgerichtes Linz nicht etwa mangels der Voraussetzungen des § 56 StPO, sondern aus Gründen der Zweckmäßigkeit, also gemäß § 57 StPO abgelehnt. Nach der ständigen Übung der Gerichte wird objektive Konnexität auch schon bei einem bloß faktischen Zusammenhang angenommen, sodaß sich im vorliegenden Fall das als Vergehen der fahrlässigen Krida inkriminierte Verhalten der Beschuldigten L***, C*** und K*** insofern als

Beteiligung mehrerer Personen an derselben strafbaren Handlung (iSd § 56 Abs. 1 StPO) darstellt, als es auf dasselbe Ziel, nämlich die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit der Firma I*** gerichtet war. Daß die Beschuldigten jeweils verschiedene 'Taten' setzten und nicht einverständlich handelten, ist für die Frage der Konnexität nicht anders zu beurteilen als etwa die verschiedenen Fahrfehler zweier zusammenstoßender PKW-Lenker, bei denen das Vorliegen objektiver Konnexität nicht bezweifelt wird. Es stellt sich somit die Frage, wie im Zwischenverfahren bei gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgender Ausscheidung gemäß § 57 StPO, mag sie auch in Form einer Ablehnung der Vereinigung geschehen, vorzugehen ist. In der Literatur ist im wesentlichen unbestritten, daß im Zwischenverfahren die funktionelle Zuständigkeit zwischen dem Vorsitzenden (Einzelrichter) und der Ratskammer geteilt ist (vgl Kodek ÖJZ 1977, 374 ff mwH). Dabei gilt die schon von S.Mayer (Komm II, 59) herausgearbeitete Maxime, daß 'die Ratskammer im vorbereitenden Verfahren zu einer ... überwachenden und vermittelnden Tätigkeit berufen' sei. Dem entspricht es, der Ratskammer ganz allgemein die Entscheidung zu überlassen, wenn der Einzelrichter Bedenken gegen die Anträge des Anklägers hat, also die für das Vorverfahren aufgestellte Regel des § 97 Abs. 1 StPO auf das Zwischenverfahren auszudehnen, in dem ihre Geltung für einzelne Entscheidungen auch ausdrücklich angeordnet ist (vgl §§ 225, 485 StPO). Richtigerweise hätte daher der Einzelrichter in analoger Anwendung des § 225 StPO den Antrag der Staatsanwaltschaft Linz der Ratskammer zur Entscheidung vorlegen müssen (vgl Altmann, Die Ausscheidung von Strafsachen !§ 57 StPO , GZ 1915, 347). Es mag hier dahingestellt bleiben, ob die Zuständigkeit der Ratskammer - wie Altmann meint - auch bei Übereinstimmung mit dem Ankläger gegeben ist, wofür immerhin spräche, daß bei Ausscheidungen im schöffen- oder geschwornengerichtlichen Zwischenverfahren Anordnungen geändert werden, die unter Umständen vom Oberlandesgericht getroffen wurden (vgl § 214 Abs. 2 StPO). Vorliegend aber fehlt es an der Übereinstimmung zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft, die Notwendigkeit, die Entscheidung der Ratskammer vorzubehalten, scheint daher unabweislich.

Daraus folgt aber dann auch die Anfechtbarkeit der Entscheidung der Ratskammer gemäß § 114 Abs. 1 Z 1 StPO im Falle der Bewilligung der Ausscheidung (oder Ablehnung der Einbeziehung). Es ist nämlich insofern kein Unterschied zwischen der prozessualen Lage im Vorverfahren und im Zwischenverfahren ersichtlich. In beiden Verfahrensabschnitten wird durch eine Ausscheidung die gesetzliche Zuständigkeitsordnung durchbrochen, was nach der StPO idR (vgl auch § 63 Abs. 2 StPO bei Bewilligung einer Delegierung) anfechtbar ist; nach rechtskräftiger Versetzung in den Anklagestand oder Einbringung des Strafantrages wiegt eine Ausscheidung eher schwerer als im Vorverfahren (vgl abermals § 214 Abs. 2 StPO). Es ist auch nicht zu übersehen, daß die Trennung eines durch subjektive oder objektive Konnexität verbundenen Strafverfahrens massiv in die Rechte des Beschuldigten eingreift, sei es, weil er wiederholt vor Gericht gezogen wird, sei es, daß ihm als Mittäter die Zeugenrolle in dem ausgeschiedenen Verfahren zugewiesen wird. Die Bedeutung der Ausscheidung verlangt sohin die Anfechtbarkeit des Beschlusses beim Oberlandesgericht. Die Bestimmung des § 490 StPO, auf den sich die gegenteilige Auffassung des Oberlandesgerichtes Linz stützt, bezieht sich nur auf Entscheidungen, zu denen sonst der Gerichtshof berufen ist, nämlich der Drei-Richter-Senat gemäß § 13 Abs. 3 StPO, dem aber im Zwischenverfahren keine Zuständigkeit zukommt.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz wirkte sich möglicherweise auch zum Nachteil der Beschuldigten aus, weil eine meritorische Prüfung der prozessualen Zweckmäßigkeit getrennter Verfahrensführung, also der Voraussetzung des § 57 StPO, durch das Rechtsmittelgericht unterblieben ist. Es wird daher der Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz aufzuheben sein, ebenso auch der des Einzelrichters des Landesgerichtes Linz, der eine ihm nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen hat."

III. Der Oberste Gerichtshof vermag der eben wiedergegebenen Rechtsmeinung der Generalprokuratur nicht beizutreten.

Zunächst: Soweit die Generalprokuratur eingangs ihrer Beschwerdebegründung ausführt, es sei davon auszugehen, "daß die Ablehnung eines Antrags auf Einbeziehung gemäß § 56 StPO dem Beschluß auf Ausscheidung dieses Verfahrens gemäß § 57 StPO gleichkommt", so kann dem, sollte damit ein allgemein geltender Grundsatz zum Ausdruck gebracht werden, nicht beigepflichtet werden. Denn sofern es an den im § 56 StPO normierten Voraussetzungen für eine gemeinsame Verfahrensführung gebricht, weil weder subjektive noch objektive oder subjektiv-objektive Konnexität gegegeben ist, kann der Beschluß auf Abweisung des Antrags auf Vereinigung der Verfahren nicht dahin gedeutet werden, das Gericht habe der Sache nach (zunächst) die Einbeziehung beschlossen und sodann (uno actu) das betreffende Verfahren gemäß § 57 StPO wieder ausgeschieden. Setzt doch eine solche Ausscheidung nach dem Wortlaut des § 57 StPO voraus, daß das Gericht im Sinn des § 56 StPO für die zusammentreffenden strafbaren Handlungen (zufolge Konnexität) zuständig ist, was bei Fehlen der Voraussetzungen des § 56 StPO nicht zutrifft. Vorliegend hat allerdings der Einzelrichter, worauf die Generalprokuratur an anderer Stelle zutreffend hinweist, in Ansehung des Vorwurfs der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs. 2 StGB implicite die Voraussetzungen des § 56 StPO bejaht (vgl in diesem Zusammenhang zur extensiven Interpretation der objektiven Konnexität Harbich ÖJZ 1967, 453 f). Nur unter dieser ausschließlich fallbezogenen Prämisse kann der Beschluß des Einzelrichters vom 11. März 1988 der Sache nach als Beschluß auf Ausscheidung gemäß § 57 StPO verstanden werden.

Weiters: Richtig ist, daß im sog Zwischenverfahren die funktionelle Zuständigkeit zwischen dem Vorsitzenden bzw (zufolge § 488 Z 4 StPO) dem Einzelrichter und der Ratskammer geteilt ist. Dabei geht die Strafprozeßordnung aber, wie sich aus den Bestimmungen der §§ 220 bis 227 StPO ergibt und letztlich auch durch die Novellierung des § 226 StPO durch das StPAG 1974 bestätigt wird, von dem Grundsatz aus, daß primär der Vorsitzende bzw Einzelrichter zur Entscheidung berufen ist, während die Ratskammer nur in jenen Fällen zu entscheiden hat, in welchen es das Gesetz ausdrücklich vorsieht (so schon SSt 36/22; Foregger-Serini StPO3 Anm I aE zu § 220; Roeder, Lehrbuch 192). Eine solche im Gesetz ausdrücklich angeordnete Kompetenz der Ratskammer zur Entscheidung im Zwischenverfahren normiert § 225 Abs. 1 StPO für den Fall, daß der Vorsitzende (Einzelrichter) glaubt, einem auf Grund der §§ 222 und 224 gestellten Antrag (auf Vorladung weiterer Zeugen oder Sachverständiger bzw Vervollständigung der Erhebungen) nicht stattgeben zu können, oder Bedenken hat, alle in der Anklageschrift (bzw im Strafantrag) namhaft gemachten Zeugen und Sachverständigen vorzuladen. Aus dieser Vorschrift läßt sich ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts, der Vorsitzende bzw Einzelrichter müsse stets, wenn er sonstigen Anträgen des Anklägers nicht beitreten zu können glaubt, die Entscheidung der Ratskammer einholen, sodaß im vorliegenden Fall nur die Ratskammer zur Anordnung der gesonderten Verfahrensführung kompetent gewesen wäre, nicht ableiten. Hätte der Gesetzgeber gewollt, daß die Regelung des § 97 Abs. 1 zweiter Halbsatz StPO, auf welche die Nichtigkeitsbeschwerde Bezug nimmt, auch für das Zwischenverfahren zu gelten habe, so hätte er dies in den §§ 220 ff StPO ausdrücklich angeordnet. Daß er dies nicht getan, sondern im § 225 Abs. 1 StPO die Zuständigkeit der Ratskammer auf die dort angeführten Fälle beschränkt hat, zeigt, daß es sich im gegebenen Zusammenhang keineswegs um eine planwidrige Lücke des Gesetzes handelt, die im Wege der Analogie geschlossen werden könnte. Im übrigen wäre, folgt man dem Standpunkt der Nichtigkeitsbeschwerde, nicht einzusehen, warum die Ratskammer nur bei Bedenken des Vorsitzenden bzw Einzelrichters gegen Anträge des Anklägers, nicht aber bei Bedenken gegen Anträge des Angeklagten (Beschuldigten) zur Entscheidung berufen sein soll. Daß aber in Fällen der zuletzt bezeichneten Art der Vorsitzende bzw Einzelrichter zur Entscheidung zuständig ist, auch wenn er dem Antrag nicht Folge gibt, wurde bisher nicht in Zweifel gezogen (vgl SSt 51/37).

Dazu kommt: Wollte man, wie dies die Generalprokuratur anstrebt, die Bestimmung des § 225 Abs. 1 StPO analog auf den Fall der - gegen den Antrag des Anklägers - verfügten getrennten Verfahrensführung anwenden, wäre nicht einsichtig, warum dann nicht auch die Bestimmung des § 225 Abs. 2 StPO, wonach gegen die Entscheidung der Ratskammer kein Rechtsmittel zulässig ist, analog anzuwenden sei, sondern diesfalls § 114 Abs. 1 Z 1 StPO auch für das Zwischenverfahren gelten solle. Gerade diese Inkonsequenz macht deutlich, daß eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 225 StPO, die als Ganzes und nicht isoliert nach ihren einzelnen Absätzen zu sehen ist, nicht zu dem von der Generalprokuratur angestrebten Ergebnis führen kann.

Aus all dem folgt, daß der Einzelrichter des Landesgerichtes Linz, zumal § 488 StPO keine abweichende Regelung normiert, nicht eine Zuständigkeit in Anspruch genommen hat, die ihm nach dem Gesetz nicht zukommt, und daß, da im Zwischenverfahren ein Rechtsmittel gegen seinen Beschluß vom 11.März 1988 nicht vorgesehen ist, auch der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 20.April 1988 die behauptete Gesetzesverletzung nicht anhaftet.

Über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war demnach spruchgemäß zu erkennen.

Rechtssätze
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