JudikaturJustiz12Os13/04

12Os13/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. März 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Günther S***** wegen des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 2, Abs 3 erster Fall StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2002, AZ 9 Bs 217/02, ON 101 in den Akten 40 Hv 1088/01a des Landesgerichtes Salzburg, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Plöchl und des Verteidigers Dr. Orgler, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 40 Hv 1088/01a des Landesgerichtes Salzburg verletzt das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2002, AZ 9 Bs 217/02, ON 101 der Hv-Akten, durch Zurückweisung der Berufung des Angeklagten Dr. Günther S***** gegen das Adhäsionserkenntnis des Landesgerichtes Salzburg vom 17. Jänner 2002, ON 93 der Hv-Akten, §§ 466 Abs 1, 467 Abs 1, Abs 2 (§ 489 Abs 1) StPO.

Dieses Urteil des Gerichtshofes zweiter Instanz, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im von der Gesetzesverletzung betroffenen Entscheidungsteil aufgehoben und dem Oberlandesgericht Linz aufgetragen, über die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche meritorisch zu entscheiden.

Text

Gründe:

Der Einzelrichter des Landesgerichtes Salzburg verhängte mit Urteil vom 17. Jänner 2002, GZ 40 Hv 1088/01a-93, über Dr. Günther S***** wegen des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 2, Abs 3 erster Fall StGB eine Freiheitsstrafe und verpflichtete ihn gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Bezahlung von insgesamt 20 Mio ATS (= 1,453.456,68 Euro) an die Konkursmasse der B***** OHG. Sogleich nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung meldete der Angeklagte Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (S 148/VII), die er mit am 18. Jänner 2002 zur Post gegebenem Schriftsatz auf die Berufung wegen des Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche erweiterte (ON 94).

Nach Zustellung einer Urteilsausfertigung führte er fristgerecht Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld, Strafe und des Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche aus (ON 96).

Mit Urteil vom 12. Dezember 2002, AZ 9 Bs 217/02 (ON 101 der Hv-Akten), gab das Oberlandesgericht Linz der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe nicht Folge. Die Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis wies es mit der Begründung zurück, dass der Angeklagte durch die nach Urteilsverkündung erfolgte Anmeldung der Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe konkludent auf jene wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche verzichtet hatte und demzufolge das erstmalig in der Rechtsmittelausführung angesprochene Begehren einer Verweisung des Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg verspätet war (S 521 f/VII).

Rechtliche Beurteilung

Letzterer Entscheidungsteil steht - wie der Generalprokurator in seiner deshalb gemäß §§ 33 Abs 2, 292 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach dem gemäß § 489 Abs 1 StPO im Verfahren über Berufungen gegen Urteile des Einzelrichters anzuwendenden § 467 Abs 2 erster Satz StPO hat der Berufungswerber entweder bei der Anmeldung der Berufung oder in der Berufungsschrift (ua) ausdrücklich zu erklären, durch welche Punkte des Erkenntnisses (§ 464 StPO) er sich beschwert finde, widrigens auf die Berufung vom Rechtsmittelgericht keine Rücksicht zu nehmen ist.

Das Gesetz lässt dem Angeklagten also die Wahl, ob er die Beschwerdepunkte schon in der Anmeldung oder erst in der Ausführung der Berufung nennen will. Demnach steht es ihm frei, sowohl die Anmeldung der Berufung fristgerecht (§ 466 Abs 1 StPO) zu ergänzen als auch das Rechtsmittel in Richtung eines bei der Anmeldung nicht genannten Berufungsgrundes auszuführen. Aus der Bezeichnung (bloß) eines (zulässigen) Berufungspunktes allein darf daher ein stillschweigender Verzicht auf andere nicht abgeleitet werden (vgl die allgemeinen Auslegungsregeln, hier auch §§ 6 - 8; 863 Abs 1 ABGB). Eine Erweiterung der Beschwerdepunkte wäre nur unzulässig, wenn der Rechtsmittelwerber auf die Geltendmachung weiterer Berufungsgründe - ohne dass bei Überlegung aller Umstände ein vernünftiger Grund für Zweifel daran übrig bliebe - tatsächlich verzichtet hat (EvBl 1966/510; SSt 37/62, 43/9 = JBl 1972, 481 [vS];

Ratz, WK-StPO Rz 2; Fabrizy StPO9 Rz 2 jeweils zu § 294 StPO;

Mayerhofer StPO4 § 466 E 8, § 467 E 23; RZ 2002/21; 14 Os 159/02). Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichtes war vorliegend der Angeklagte trotz seiner Berufungsanmeldung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe in der Hauptverhandlung am 17. Jänner 2002 berechtigt, diese Erklärung innerhalb der dreitägigen Anmeldefrist des § 466 Abs 1 StPO auf die Berufung wegen des Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche (§ 464 Z 3 StPO) auszudehnen (ON 94) und (auch ohne vorherige Anmeldung) diesen Beschwerdepunkt bei der Ausführung der Berufung geltend zu machen. Gerade die (zulässige - § 466 Abs 1 StPO) fristgerechte Erweiterung bereits der Rechtsmittelanmeldung verhindert jedenfalls die vom Gerichtshof II. Instanz vorgenommene Anknüpfung an die in Mayerhofer aaO § 283 E 9 und § 294 E 3 referierte, vereinzelt gebliebene höchstgerichtliche Judikatur 9 Os 138/79, 15 Os 8/88 und 11 Os 31/89.

Das Rechtsmittelgericht hätte daher die Berufung Dris. S***** wegen des Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche nicht als verspätet zurückweisen dürfen, sondern meritorisch erledigen müssen. Die aufgezeigte Gesetzesverletzung gereicht dem Angeklagten zum Nachteil, weshalb die Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Linz partiell zu kassieren und in dem davon betroffenen Umfang Verfahrenserneuerung anzuordnen war (§ 292 letzter Fall StPO).

Rechtssätze
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