JudikaturJustiz12Os104/14g

12Os104/14g – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. September 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. September 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Breuß als Schriftführerin in der Strafsache gegen Fidan N***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB, AZ 22 Hv 102/13k des Landesgerichts Linz, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des genannten Gerichts vom 25. November 2013, die Durchführung der Hauptverhandlung und das Urteil vom 26. November 2013 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 22 Hv 102/13k des Landesgerichts Linz verletzen

der Beschluss vom 25. November 2013 auf Einbeziehung des Verfahrens AZ 14 U 206/13g des Bezirksgerichts Linz Art 4 7. ZPEMRK und §§ 4 Abs 2, 17 Abs 1 und 37 Abs 3 StPO;

die Anberaumung, die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung vom 26. November 2013, soweit sie die im Strafantrag der Staatsanwaltschaft Linz vom 21. August 2013, AZ 51 BAZ 592/13f, enthaltenen (vom Anklagerücktritt betroffenen) Taten umfassten, Art 4 7. ZPEMRK und §§ 4 Abs 2 und 17 Abs 1 StPO.

Der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 25. November 2013 auf Einbeziehung des Verfahrens AZ 14 U 206/13g des Bezirksgerichts Linz wird ersatzlos aufgehoben.

Das Urteil des Landesgerichts Linz vom 26. November 2013, GZ 22 Hv 102/13k-12, wird in den Punkten 6./ und 7./ des Schuldspruchs ersatzlos, ferner in der Subsumtionseinheit nach §§ 127, 130 erster Fall und 15 Abs 1 StGB sowie im Strafausspruch aufgehoben und es wird die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Linz verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Strafantrag vom 21. August 2013 legte die Staatsanwaltschaft Linz zu AZ 51 BAZ 592/13f dem am 18. August 1995 geborenen Fidan N***** als Vergehen des Diebstahls nach §§ 127, 15 Abs 1 StGB qualifiziertes Verhalten zur Last, weil er in L***** Gewahrsamsträgern der S*****gesmbH fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen bzw wegzunehmen versucht habe, und zwar

1./ am 20. Juli 2013 ein Paar Kopfhörer im Wert von 54,99 Euro und

2./ am 23. Juli 2013 ein Paar Kopfhörer im Wert von 29,99 Euro, wobei es infolge Betretung beim Versuch blieb (ON 3 in ON 11).

Die Geschädigte hatte sich mit Erklärung vom 23. Juli 2013 dem Strafverfahren als Beteiligte angeschlossen (ON 2 S 41 in ON 11).

Nach Einsicht in ein Gutachten aus einem Beiakt erklärte die Staatsanwaltschaft Linz am 13. September 2013 vor Beginn der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Linz, AZ 14 U 206/13g, gemäß § 227 Abs 1 StPO von der Anklage aus dem Grund des § 11 StGB zurückzutreten (ON 1 S 2 in ON 11).

Aufgrund dieser Erklärung stellte das Bezirksgericht Linz mit Beschluss vom 16. September 2013 das Verfahren AZ 14 U 206/13g gegen Fidan N***** ein (ON 1 S 3 in ON 11).

Am 19. September 2013 erhob die Staatsanwaltschaft Linz zu AZ 8 St 123/13v einen weiteren Strafantrag gegen den Genannten, diesmal wegen des Verdachts des Verbrechens des gewerbsmäßigen, teilweise durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 3, 130 erster Fall, 15 Abs 1StGB (ON 5).

Gleichzeitig mit der Vorlage dieses Strafantrags an das Landesgericht Linz stellte die Anklagebehörde den Antrag auf Beischaffung des Aktes AZ 14 U 206/13g des Bezirksgerichts Linz zur Einbeziehung gemäß § 37 StPO (ON 1 S 1).

Mit Beschluss vom 25. November 2013 bezog das Landesgericht Linz das Verfahren AZ 14 U 206/13g des Bezirksgerichts Linz trotz des dort ergangenen Beschlusses vom 16. September 2013 in sein Verfahren AZ 22 Hv 102/13k ein (ON 1 S 7).

In der am 26. November 2013 durchgeführten Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Linz wurde Fidan N***** schließlich sowohl wegen der vom (ausgedehnten) Strafantrag vom 19. September 2013, AZ 8 St 123/13v der Staatsanwaltschaft Linz (1./ bis 5./), als auch wegen der vom bereits zurückgezogenen Strafantrag vom 21. August 2013, AZ 51 BAZ 592/13f der Staatsanwaltschaft Linz, umfassten Taten (6./ und 7./) des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall, 15 Abs 1 StGB schuldig erkannt und unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG nach dem ersten Strafsatz des § 130 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt, deren Vollzug unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren nach § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehen wurde (ON 12 S 5). Dieses Urteil erwuchs am 30. November 2013 in Rechtskraft (ON 14).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen im Verfahren AZ 22 Hv 102/13k des Landesgerichtes Linz sowohl die Einbeziehung des Verfahrens AZ 14 U 206/13g des Bezirksgerichts Linz als auch die Anberaumung und die Durchführung der Hauptverhandlung sowie die Urteilsfällung am 26. November 2013, soweit sie die im einbezogenen Strafantrag vom 21. August 2013, AZ 51 BAZ 592/13f der Staatsanwaltschaft Linz, enthaltenen (vom Anklagerücktritt betroffenen) Taten umfassten, mit dem Gesetz nicht in Einklang:

Nach dem Anklagegrundsatz setzen die Einleitung und Durchführung eines Hauptverfahrens eine rechtswirksame Anklage voraus (§ 4 Abs 2 StPO).

Tritt die Staatsanwaltschaft von der Anklage vor der Hauptverhandlung gemäß § 227 Abs 1 StPO zurück, so bewirkt dies in den Fällen, in denen bis dahin kein Privatbeteiligtenanschluss vorliegt eo ipso die Beendigung des Verfahrens und entfaltet daher unabhängig von der bloß deklarativen Einstellung des Verfahrens durch das Gericht schon als solches Sperrwirkung (RIS-Justiz RS0124396; Danek , WK-StPO § 227 Rz 1).

Dies gilt in Jugendstrafsachen auch im (hier vorliegenden) Fall eines Privatbeteiligtenanschlusses, weil gemäß § 44 Abs 2 JGG Privatbeteiligten die Rechte gemäß § 72 StPO nicht zustehen (RIS-Justiz RS0123607; Schroll in WK² JGG § 44 Rz 4).

Im Sinn des Prinzips „ne bis in idem“ hat eine solcherart rechtswirksame Beendigung eines Strafverfahrens zur Folge, dass eine neue bzw weitere Verfolgung desselben Beschuldigten ohne vorherige formelle Wiederaufnahme nach § 352 StPO wegen derselben Tat nicht mehr zulässig ist (Verbot wiederholter Strafverfolgung; Art 4 7. ZPMRK; § 17 Abs 1 StPO; vgl RIS-Justiz RS0124396; RS0129011; Birklbauer , WK StPO § 17 Rz 1).

Gemäß § 37 Abs 3 StPO sind, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anklage rechtswirksam wird, ein Hauptverfahren gegen den Angeklagten schon anhängig ist, diese Verfahren zu verbinden. Dies scheidet hingegen aus, wenn die Anklage bzw der Strafantrag in einem dieser Verfahren nicht mehr aufrecht ist ( Oshidari , WK-StPO § 37 Rz 7).

Aufgrund der erwähnten Erklärung der Staatsanwaltschaft Linz vom 13. September 2013, gemäß § 227 Abs 1 StPO vom Strafantrag vom 21. August 2013 aus dem Grund des § 11 StGB zurückzutreten (ON 1 S 2 in ON 11), stand somit der Einbeziehung des Verfahrens AZ 14 U 206/13g des Bezirksgerichts Linz in das Verfahren AZ 22 Hv 102/13k des Landesgerichts Linz wie auch der auf diesen Strafantrag bezogenen Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung im genannten Verfahren des Landesgerichts Linz sowohl der Anklagegrundsatz als auch das Verbot der wiederholten Strafverfolgung entgegen.

Insoweit verletzten die Anberaumung sowie die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung durch das Landesgericht Linz am 26. November 2013 Art 4 7. ZPEMRK und die §§ 4 Abs 2 sowie 17 Abs 1 StPO und der Beschluss vom 25. November 2013 auf Einbeziehung Art 4 7. ZPEMRK und die §§ 4 Abs 2, 17 Abs 1 sowie 37 Abs 3 StPO.

Somit waren der angefochtene Beschluss und das angefochtene Urteil in den Punkten 6./ und 7./ des Schuldspruchs ersatzlos aufzuheben.

Demzufolge waren auch die nach § 29 StGB gebildete Subsumtionseinheit nach §§ 127, 130 erster Fall, 15 Abs 1 StGB sowie der Strafausspruch zu kassieren.

Im zweiten Rechtsgang wird die aufgelöste Subsumtionseinheit neu zu bilden sein (§ 29 StGB; RIS Justiz RS0116734).