JudikaturJustiz12Ns1/08f

12Ns1/08f – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Februar 2008 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Lässig, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieltschnig als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dejan B***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 148 StGB im Zuständigkeitsstreit der Landesgerichte Wiener Neustadt und Salzburg betreffend das Verfahren AZ 29 Ur 178/06p des Landesgerichts Wiener Neustadt gemäß § 38 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Strafverfahren ist vom Landesgericht Wiener Neustadt zu führen.

Text

Gründe:

Beim Landesgericht Salzburg wurde zum AZ 27 Ur 73/07x ein Strafverfahren zunächst gegen unbekannte Täter geführt. In diesem Verfahren wurden nach dem Einlangen weiterer Erhebungsergebnisse (ON 3) seitens der Staatsanwaltschaft Salzburg gerichtliche Vorerhebungen gegen die Beschuldigten Dejan B*****, Pedro R*****, Hugo Be***** und Thorsten W***** beantragt. Dieses Verfahren wurde mit Beschluss vom 22. Juni 2007 an das Landesgericht St. Pölten zur Einbeziehung in das dort gegen Thorsten W***** geführte und schon seit 2006 anhängige Verfahren abgetreten (S 1b). Das Landesgericht St. Pölten schied das Verfahren gegen die Beschuldigten Dejan B*****, Pedro R***** und Hugo Be***** aus und verfügte die Rückabtretung an das Landesgericht Salzburg gemäß §§ 51, 58 StPO aF (ON 4).

In dem beim Landesgericht Wiener Neustadt gegen Bernd Ke***** und Martin W***** anhängigen Verfahren AZ 29 Ur 178/06p wurde mit Beschluss vom 21. November 2006 eine Anzeige des Stadtpolizeikommandos Klagenfurt gegen Richard K***** wegen §§ 146 f StGB gemäß § 56 StPO aF einbezogen und hinsichtlich dieses Beschuldigten eine Voruntersuchung eingeleitet (S 3f in ON 11). Am 20. August 2007 bezog die Untersuchungsrichterin eine weitere Anzeige der Polizeiinspektion Baden gegen Richard K***** und gegen den bislang in diesem Verfahren noch nicht involvierten Dejan B***** gemäß § 56 StPO aF ein, schied aber in einem und noch vor Durchführung der von Staatsanwaltschaft beantragten gerichtlichen Vorerhebungen gegen Dejan B***** und vor der ebenfalls begehrten Ausdehnung der Voruntersuchung gegen Richard K***** das Verfahren gegen diese beiden Beschuldigten „mangels Konnexität" wieder aus und ordnete dessen Rückabtretung an das „gemäß § 51 StPO zuständige" Landesgericht Salzburg zur Einbeziehung in das dortige Verfahren AZ 26 Ur 148/07a an (S 3h verso und S 3i in ON 11).

Das vom Landesgericht Wiener Neustadt ausgeschiedene Verfahren bezog der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Salzburg mit Beschluss vom 20. September 2007 nach § 56 StPO aF in das dort gegen die Beschuldigten Dejan B*****, Pedro R***** und Hugo Be***** geführte Verfahren AZ 26 Ur 148/07a ein (S 1c verso).

Mit Beschluss vom 25. September 2007 verfügte das Landesgericht Salzburg die Rückabtretung des gesamten Strafverfahrens an das Landesgericht Wiener Neustadt „wegen Zuvorkommens" (S 1d). Das Landesgericht Wiener Neustadt steht auf dem Standpunkt, dass ein Zuvorkommen nur dann zuständigkeitsbegründend wäre, wenn das bereits tätig gewordene Gericht auch nach § 51 Abs 1 StPO örtlich zuständig wäre. Auf der Basis dieser Rechtsansicht legte die Untersuchungsrichterin den Akt zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt dem Obersten Gerichtshof vor (ON 16).

Rechtliche Beurteilung

Dieser hat hiezu erwogen:

Sowohl im ursprünglichen Verfahren AZ 27 Ur 73/07x des Landesgerichtes Salzburg als auch im einbezogenen (zuvor vom Landesgericht Wiener Neustadt aus dem Akt AZ 29 Ur 178/06p ausgeschiedenen) Strafverfahren beantragten die beteiligten Staatsanwaltschaften hinsichtlich der Beschuldigten Dejan B*****, Pedro R***** und Hugo Be***** jeweils Vorerhebungen (vgl S 1a und S 3g in ON 11), sodass gemäß § 516 Abs 2 erster Satz StPO auch nach In-Kraft-Treten des StPO-RefG eine Gerichtszuständigkeit bis zur Beendigung der begehrten Ermittlungen fortbesteht und damit die Frage der Zuständigkeit der von den Staatsanwaltschaften Salzburg und Wiener Neustadt angerufenen Gerichte nach den Kriterien der §§ 51 ff StPO aF zu lösen ist. Bei dem gegen Richard K***** geführten Verfahren wurde die bereits eingeleitete Voruntersuchung mit 1. Jänner 2008 per Gesetz beendet (§ 516 Abs 2 vierter Satz StPO); diesbezüglich bedarf es nur mehr der Übermittlung der (gemeinsam mit erst zu erledigenden Vorerhebungen geführten) Akten an die Staatsanwaltschaft (§ 516 Abs 2 fünfter Satz StPO). Davon getrennt zu betrachten ist die Anwendung der Bestimmungen über einen dazu entstandenen Kompetenzkonflikt. Da im vorliegenden Fall der Oberste Gerichtshof nach In-Kraft-Treten des StPO-RefG über den Zuständigkeitsstreit zu entscheiden hat, ist iSd § 516 Abs 1 StPO gemäß den geänderten Verfahrensbestimmungen, somit nach § 38 StPO vorzugehen (vgl auch § 516 Abs 2 dritter Satz StPO). Der aus dem zweiten Satz des § 64 Abs 1 StPO aF abgeleitete Grundsatz, dass ein Zuständigkeitsstreit zweier Gerichte durch die Einigung der beiden ihnen übergeordneten Gerichte behoben werden kann, galt (sinngemäß) auch für den Anwendungsbereich des dritten Satzes dieser Gesetzesstelle, der somit eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (nur) für den Fall eröffnete, dass die Zuständigkeit (noch) zwischen den Gerichtshöfen zweiter Instanz streitig war (vgl SSt 4/2; S. Mayer, Commentar zur StPO, § 64 Anm 5; RIS-Justiz RS RS0097172).

Die Neuregelung des Vorgehens bei Kompetenzkonflikten in § 38 StPO brachte diesbezüglich eine inhaltliche Änderung. Sie sieht vor, dass bei Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen zwei Gerichten die Entscheidung des gemeinsam übergeordneten Gerichts zu erwirken ist. Bei Gerichten aus verschiedenen Oberlandesgerichtssprengeln kommt im Streitfall somit nunmehr eine unmittelbare Entscheidungskompetenz des Obersten Gerichtshofes als insoweit „gemeinsam übergeordnetes Gericht" zum Tragen.

Maßgeblicher Anknüpfungspunkt im vorliegenden Fall ist die am 21. November 2006 erfolgte Einleitung der Voruntersuchung gegen den Beschuldigten Richard K***** „wegen §§ 146 f StGB" (S 3f in ON 11). Alle zeitlich nachfolgenden Verfahren, die einen - wenn auch erst später sich ergebenden - objektiven, subjektiven oder gemischt objektiv-subjektiven Konnexitätsbezug iSd § 55 f StPO aF zu diesem Beschuldigten aufweisen, sind gemäß § 56 Abs 1 StPO aF zusammenzufassen und in einem Akt zu führen. Insofern ist - entgegen der Auffassung der Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Wiener Neustadt - das Zuvorkommen iSd § 51 Abs 3 StPO aF ungeachtet der örtlichen (Un )Zuständigkeit gleichwohl von Bedeutung. Weshalb zwischen dem gegen Bernd Ke***** und Martin W***** und dem gegen Richard K***** und Dejan B***** geführten Verfahren keine Konnexität bestehen solle, obgleich in einem (S 3h verso in ON 11) eine Einbeziehung der diese Personen betreffenden Anzeige der Polizeiinspektion Baden gemäß § 56 StPO verfügt wurde, lässt der Ausscheidungsbeschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 20. August 2007 nicht erkennen. Die Voraussetzung für eine Anwendung des § 58 StPO aF, welcher eine Abtretung einzelner (entweder einen von mehreren Beschuldigten oder eine von mehreren Straftaten betreffender) Verfahrensteile an das außer dem Gerichtsstand des Zusammenhangs (§§ 55 f StPO aF) örtlich zuständige Gericht erlaubte, lagen nicht vor, weil das Landesgericht Wiener Neustadt für mehrere der im ausgeschiedenen Akt den Gegenstand der Untersuchung bildenden Straftaten örtlich zuständig wäre (vgl insbesondere die Anzeigen mit Handlungsorten im Ausland und Geschädigten, welche im Sprengel des Landesgerichtes Wiener Neustadt wohnen; vgl S 111, 115 und 119 in ON 60 [bzw ON 8 in ON 11]).

Da das Landesgericht Wiener Neustadt die erste Verfolgungshandlung gegen einen der in den verschiedenen Verfahren sukzessive zusammentreffenden Beschuldigten gesetzt hatte, ergibt sich daraus - entgegen der Auffassung der Generalprokuratur - dessen örtliche Zuständigkeit zur Führung dieses Strafverfahrens.

Rechtssätze
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