JudikaturJustiz11Os98/21b

11Os98/21b – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. November 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum als Schriftführerin in der Strafsache gegen * O* wegen Verbrechen nach § 3g VG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Geschworenengericht vom 5. März 2021, GZ 40 Hv 101/20f 14, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen, der sonst unberührt bleibt, zur Hauptfrage 3 sowie das darauf beruhende Urteil im Schuldspruch B, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang an das Geschworenengericht des Landesgerichts Linz zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie nicht durch die Teilaufhebung gegenstandslos wurde, wird zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * O* mehrerer Verbrechen nach § 3g VG (A) und eines Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs 1 Z 2, Abs 2 StGB (B) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in L*

(A) sich auf andere als die in §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er zur Erinnerung und Glorifizierung Adolf Hitlers an dessen Geburtstag auf seiner öffentlich einsehbaren Facebook-Seite

(1) am 20. April 2017 die Nachricht „Alles gute zum Geburtstag Herr Hitler! XD“ und

(2) am 20. April 2018 „folgendes Lichtbild“ postete: (es folgt ein im Wahrspruch integriertes, Adolf Hitler zeigendes Bild mit der Aufschrift „WER HAT DENN HEUT GEBURTSTAG“) sowie

(B) am 1. März 2018 öffentlich auf eine Weise, dass es einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde, die nach den vorhandenen Kriterien der Religion definierte Gruppe der Muslime in der Absicht, die Menschenwürde der Mitglieder dieser Gruppe zu verletzen, in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, indem er auf seiner öffentlich einsehbaren Facebook-Seite „nachstehendes Lichtbild“ postete: (es folgt die im Wahrspruch integrierte Abbildung einer Zeichnung, die einen [aus Sicht der Staatsanwaltschaft – vgl die Anklagebegründung ON 4 S 3 f:] Takke und Kaftan tragenden Mann mit dunklem Vollbart zeigt, der mit dem Finger auf eine im Hintergrund weidende Ziege deutet und dabei an einen Kaftan tragenden Knaben, aus dessen Stirn zwei Hörner ragen, die Worte richtet: „Hilf deiner Mutter rasen Mähen!!“)

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Zur amtswegigen Maßnahme:

[4] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§§ 344 zweiter Satz, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass die im Wahrspruch zur Hauptfrage 3 enthaltenen Sachverhaltsannahmen den Schuldspruch B (wegen des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs 1 Z 2, Abs 2 StGB) nicht tragen:

[5] Jenes Bild, das der Angeklagte „[ge]postet“ habe, wird in der bezeichneten Hauptfrage (§ 312 StPO) – und folgerichtig auch im diesbezüglichen Wahrspruch (§ 331 Abs 1, Abs 2 StPO) sowie bei dessen Wiedergabe im Urteil (§ 342 dritter Satz StPO) – nicht seinem Inhalt nach beschrieben, sondern (lediglich) als Ganzes wiedergegeben (vgl US 3).

[6] Eine Beschreibung des Bildes findet sich im Übrigen (nicht im Tenor [§ 211 Abs 1 Z 2 StPO], sondern) bloß in der Begründung (§ 211 Abs 2 zweiter Satz StPO) der Anklageschrift (ON 4 S 3 f). Nur dort ist auch der Bedeutungsinhalt formuliert, den die Staatsanwaltschaft dem Posting des betreffenden Bildes unterlegte (nämlich, der Angeklagte habe dadurch „suggeriert“, „dass unter Personen muslimischen Glaubens der Geschlechtsverkehr mit Tieren üblich sei“ [ON 4 S 4]).

[7] Gemäß § 270 Abs 1 StPO (hier iVm § 342 erster Satz StPO) muss jedes Urteil schriftlich ausgefertigt werden.

[8] Das tatsächliche Korrelat zur rechtlichen Unterstellung nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO stellt im geschworenengerichtlichen Verfahren die – demzufolge schriftliche – Wiedergabe des Wahrspruchs der Geschworenen, also der an die Geschworenen gestellten Fragen und der Antworten der Geschworenen, im Urteil (§ 342 dritter Satz StPO) dar ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 613; RIS Justiz RS0101469).

[9] Damit korrespondierend sind (auch bereits) die an die Geschworenen zu richtenden Fragen schriftlich abzufassen (§ 310 Abs 1 zweiter Satz StPO). Sie müssen den Sachverhalt subsumtionstauglich beschreiben (dazu eingehend Lässig , WK StPO § 312 Rz 9, 19 und 21 mwN).

[10] Um dem Schwurgerichtshof wie auch dem Obersten Gerichtshof die rechtliche Überprüfung des Wahrspruchs der Geschworenen zu ermöglichen, erfordert eine nach dem Tatbestand des § 283 Abs 1 Z 2 StGB gestellte Frage an die Geschworenen, die konkreten Tatumstände (einschließlich des Bedeutungsinhalts einer Äußerung oder eines Verhaltens – dazu Ratz , WK StPO § 345 Rz 31; Lässig , WK StPO § 312 Rz 22) zu nennen, die eine Handlung als „Beschimpfen“ erscheinen lassen, das die vom Tatbestand geforderte Eignung besitzt (vgl Lässig in WK 2 VG § 3g Rz 18 und RIS Justiz RS0079817 [je zu § 3g VG]; zu § 283 Abs 1 Z 2 StGB eingehend Plöchl in WK 2 StGB § 283 Rz 21 ff).

[11] Werden bildliche Äußerungen in Fragestellung, Wahrspruch und Urteil (wie hier) nicht verschriftlicht, wird insoweit – nach dem zuvor Gesagten – keine Feststellungsgrundlage geschaffen. Ihre Wiedergabe in Bildform scheidet als Subsumtionsbasis aus.

[12] Nur aus einem (im Wahrspruch integrierten) Bild heraus wäre die – auf der Tatsachenebene angesiedelte – Ausdeutung des Inhalts dieses Bildes durch die Geschworenen vom Schwurgerichtshof und vom Obersten Gerichtshof in rechtlicher Hinsicht übrigens regelmäßig (wie auch im Gegenstand) nicht überprüfbar.

[13] Vom zuvor Dargelegten ausgehend erschöpft sich der Wahrspruch zur Hauptfrage 3, was den (Bedeutungs-)Inhalt des tatverfangenen „Lichtbild[es]“ betrifft, (abgesehen von der im Bild verschriftlichten, per se nicht tatbildlichen Aufforderung: „Hilf deiner Mutter rasen Mähen!!“) in substanzloser Wiedergabe der verba legalia.

[14] Dieser – nicht geltend gemachte – Rechtsfehler mangels Feststellungen (§ 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO; RIS Justiz RS0100780 [T5]) führte zur Aufhebung des Schuldspruchs B samt dem diesem zugrunde liegenden Wahrspruch zur Hauptfrage 3 bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz, 344 zweiter Satz StPO), was auch die Kassation des Strafausspruchs nach sich zog.

[15] Soweit sich die Beschwerde gegen den (damit beseitigten) Schuldspruch B wendet, hat sie demnach auf sich zu beruhen.

[16] Wegen der Aufhebung des Strafausspruchs wurde auch der diesbezüglichen Berufung der Bezugspunkt genommen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen:

[17] Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert striktes Festhalten am gesamten – wie dargelegt im geschworenengerichtlichen Verfahren (im subsumtionsrelevanten Umfang) durch den im Urteil wiederzugebenden (§ 342 dritter Satz StPO) Wahrspruch der Geschworenen festgestellten (erneut RIS Justiz RS0101469) – Urteilssachverhalt und den ausschließlich auf dessen Basis geführten Nachweis, dass dem Erstgericht bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen sei (RIS Justiz RS0099658, RS0101476 [T1]).

[18] Teils mit der Behauptung eines Tatbildirrtums (zu A 2) bestreitet die gegen den Schuldspruch A gerichtete Beschwerde den jeweiligen, (weil § 3g VG kein über § 5 Abs 1 zweiter Teilsatz StGB hinausgehendes Vorsatzerfordernis enthält) nach dem Gesetz (§ 7 Abs 1 StGB) subintellegierten (RIS Justiz RS0089093 [insbesondere T10]) Tatvorsatz des Angeklagten.

[19] Sie erschöpft sich in dem Versuch, den diesbezüglichen Inhalt des Wahrspruchs durch gegenteilige, auf Basis eigenständiger Würdigung von Verfahrensergebnissen (insbesondere der leugnenden Verantwortung des Angeklagten) entwickelte Auffassungen zu ersetzen. Damit verfehlt sie den (im Urteilssachverhalt gelegenen) Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.

[20] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO (iVm § 344 StPO) sei hinzugefügt, dass zwar auch das vom Schuldspruch A 2 umfasste Verbrechen nach § 3g VG unter Miteinbeziehung eines Bildes erfragt wurde (Hauptfrage 2). Die in Frage und Wahrspruch jedoch beschriebenen Tatumstände, nämlich das Posten eines Bildes mit der festgestellten Aufschrift „zur Erinnerung und Glorifizierung Adolf Hitlers an dessen Geburtstag“ (US 2), reichen aber – unter dem Aspekt der Z 11 lit a – fallkonkret aus, um die rechtliche Annahme einer Betätigung „im nationalsozialistischen Sinne“ zu tragen (vgl RIS Justiz RS0079779; Lässig in WK 2 VG § 3g Rz 6).

[21] In diesem Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).

[22] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK-StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.