JudikaturJustiz11Os96/98

11Os96/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Holy als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerhard S***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 12. November 1997, AZ 24 Bs 276/97 (= GZ 15 Vr 24/96-55 des Landesgerichtes Eisenstadt), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, des Verteidigers Dr. Emberschitz, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten Gerhard S***** zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 12. November 1997, AZ 24 Bs 276/97 (= GZ 15 Vr 24/96-55 des Landesgerichtes Eisenstadt), womit (unter anderem) in teilweiser Stattgebung der Berufung des Angeklagten der erstgerichtliche Zuspruch an die Privatbeteiligte Jasmyn S***** aufgehoben und diese mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde, verletzt in seiner Begründung, wonach es an entsprechenden Urteilsannahmen des Erstgerichtes für den Privatbeteiligtenzuspruch von 1.000 S mangle, das Gesetz in der Bestimmung des § 366 Abs 2 zweiter Satz StPO.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 27. November 1996, GZ 15 Vr 24/96-45, war Gerhard S***** der - an seiner unmündigen Tochter Jasmyn S***** begangenen - Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB sowie der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 und Abs 2 StGB, des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB und der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren sowie gemäß §§ 366 Abs 2 (zu ergänzen: erster Satz), 369 Abs 1 StPO zu einer Zahlung an die Privatbeteiligte Jasmyn S***** von 1.000 S verurteilt worden. Mit diesem Zuspruch sollte der Schaden aus dem sexuellen Mißbrauch durch Leistung von Schmerzengeld (auch für die seelische Beeinträchtigung) wenigstens teilweise abgegolten werden (US 6 ff iVm US 16).

Nachdem die vom Angeklagten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 26. August 1997, AZ 11 Os 46/97 (= ON 52 a), bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückgewiesen worden war, entschied gemäß § 285 i StPO das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 12. November 1997, AZ 24 Bs 276/97 (= ON 55), abschlägig über die Berufung des Angeklagten wegen Strafe, gab jedoch seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche Folge, indem es den Zuspruch aufhob und die Privatbeteiligte (zur Gänze) auf den Zivilrechtsweg verwies.

Das Berufungsgericht begründete diesen Teil der Entscheidung damit, daß bei Delikten der vorliegenden Art zwar grundsätzlich der Ersatz des ideellen Schadens und damit die Abgeltung von seelischen Schmerzen möglich sei; jedoch habe das Erstgericht nicht "die für einen solchen Zuspruch erforderliche Entscheidungsgrundlage - somit die Feststellung solcher psychischen Schäden und ihrer Intensität als Folge der Taten des Angeklagten auf der Basis gutächtlicher Ausführungen des psychiatrischen Sachver- ständigen - geschaffen" (S 7 der Entscheidung).

Nach Ansicht des Generalprokurators steht die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien in Ansehung der Aufhebung des erstgerichtlichen Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche und der Verweisung der Privatbeteiligten mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg mit dem Gesetz nicht im Einklang:

"Wird der Beschuldigte verurteilt, so ist in der Regel vom Gerichtshof zugleich über die privatrechtlichen Ansprüche des Geschädigten zu entscheiden (§ 366 Abs 2 1. Satz StPO). Ein solcher Zuspruch setzt stets die Vernehmung des Beschuldigten zum geltend gemachten Anspruch voraus (§ 365 Abs 2 2. Satz StPO; SSt 40/62). Nur wenn die Ergebnisse des Strafverfahrens weder an sich noch nach Durchführung einfacher zusätzlicher Erhebungen ausreichen, die Ersatzansprüche verläßlich zu beurteilen, ist der Privatbeteiligte auf den Zivilrechtsweg zu verweisen (§ 366 Abs 2 2. Satz StPO).

Im vorliegenden Fall hat sich die Verletzte durch ihren Rechtsvertreter dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen (ON 21), ihren - (vorläufig) mit (nur) S 1.000,-- bezifferten - Anspruch in der Hauptverhandlung vom 25. September 1996 geltend gemacht (S 335/I) und in der Hauptverhandlung vom 27. November 1996 den Zuspruch dieses Schmerzengeldbetrages beantragt (S 451 unten/I).

Der Angeklagte, dem gemäß § 255 Abs 3 StPO Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde, nahm in der Hauptverhandlung nicht ausdrücklich Stellung zu dieser Forderung, sondern beantragte seinen Freispruch (S 453/I). Dem Erfordernis seiner Vernehmung gemäß § 365 Abs 2 StPO) war jedenfalls damit entsprochen, daß ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geboten worden war (vgl auch die der E ÖJZ-LSK 1981/99 zugrundeliegende Prozeßsituation).

Das Oberlandesgericht Wien ist in der Berufungsentscheidung zwar zutreffend davon ausgegangen, daß ein Zuspruch an den Privatbeteiligten durch das Berufungsgericht nur in Betracht kommt, wenn die hiezu erforderliche Entscheidungsgrundlage bereits in erster Instanz geschaffen wurde, hat jedoch übersehen, daß die erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen durchaus eine solche Grundlage für die Zuerkennung eines (ohnehin geringen) Schmerzengeldbetrages boten.

Unter "Verletzung" im Sinn des § 1325 ABGB ist jede Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit und Unversehrtheit zu verstehen (vgl ua Koziol, Haftpflichtrecht II2, 115; Wolff im Klang - Kommentar VI, 128 f, RZ 1973/113; RZ 1975/50), sodaß schon das (bloße) Verursachen von Schmerzen selbst dann eine Körperver- letzung darstellt, wenn der Körper keine nachteiligen Veränderungen erleidet (ÖJZ-LSK 1981/99 zu § 369 StPO).

Da den erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen zu entnehmen ist, daß die Privatbeteiligte (beim wiederholt durch den Angeklagten vorgenommenen Einführen seiner Finger in ihre Scheide) "starke Schmerzen verspürte" (US 6 Mitte) und (beim Eindringen des Gliedes in die Scheide) "weinte" und "schrie" (US 8 oben), lagen jedenfalls Konstatierungen über erlittene körperliche Schmerzen der Privatbeteiligten vor.

Darüber hinaus haben die Tatrichter aber auch festgestellt, daß die Verletzte von der Zerstörung ihres Lebens durch den Angeklagten sprach und Todessehnsüchte äußerte (US 10); sie sind ferner - wenn auch erst im Rahmen der Erwägungen zur Strafbemessung - davon ausgegangen, daß die Taten "schwere seelische Folgen" bei Jasmyn S***** herbeiführten (US 16 oben).

Unter Berücksichtigung, daß die Verletzte (jedenfalls zu Beginn des Tatzeitraums) noch ein deutlich unter der Mündigkeitsgrenze liegendes Alter hatte und die Taten wiederholt und über einen langen Zeitraum verübt wurden (US 16), bieten somit - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes - die Urteilsfeststellungen eine hinreichende Grundlage für die Zuerkennung eines Schmerzengeldbetrages in der beantragten Höhe (von lediglich S 1.000,--)."

Demgemäß beantragt der Generalprokurator die Feststellung, daß das genannte Urteil des Oberlandesgerichtes Wien in seinem (in teilweiser Stattgebung der Berufung des Angeklagten ergangenen) Ausspruch über die Aufhebung des erstgerichtlichen Privatbeteiligtenzuspruches und die Verwei- sung der Privatbeteiligten mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg das Gesetz in der Bestimmung des § 366 Abs 2 StPO verletze.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Ansicht der Generalprokuratur ist darin beizupflichten, daß das Berufungsgericht zu Unrecht eine Entscheidungsgrundlage für den Zuspruch eines (Teil ) Schmerzengeldes von 1.000 S im erstgerichtlichen Urteil vermißt. Für die - wenngleich nicht näher substantiierte - Schmerzengeldforderung (S 235, 335, 451/I) dieses geringen Betrages reichen nämlich die Konstatierungen insoweit aus, als das Schöffengericht ausdrücklich starke Schmerzen der Unmündigen bei dem wiederholt vom Angeklagten vorgenommenen Einführen seiner Finger in ihre Scheide feststellte (US 6). Angesichts des zum Tatbeginn besonders jungen Alters des Opfers und des langen Deliktszeitraumes fand der Zuspruch der Forderung von 1.000 S bereits in den Urteilsannahmen über die erlittenen körperlichen Schmerzen hinreichende Deckung, sodaß es näherer Konstatierungen über das Vorliegen oder das Ausmaß einer psychischen Beeinträchtigung der Privatbeteiligten als kausale Folge der Straftaten nicht mehr bedurfte.

In diesem eingeschränkten Umfang war die in der Begründung des Berufungsurteiles enthaltene Gesetzesverletzung festzustellen.

Die Aufhebung des erstgerichtlichen Privatbeteiligtenzuspruches und die Verweisung der Privatbeteiligten mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg erfolgte aber (aus formellen Gründen) im Ergebnis zu Recht:

Die Fällung eines Adhäsionserkenntnisses setzt (u.a.) unabdingbar die gemäß § 365 Abs 2 zweiter Satz StPO vorgeschriebene Anhörung des Angeklagten zu den privatrechtlichen Ansprüchen voraus. Einer solchen (zwingenden) Prozeßerklärung ist nach einhelliger Judikatur nur die an den Angeklagten und dessen Verteidiger gerichtete ausdrückliche Aufforderung zu einer diesbezüglichen Stellungnahme gleichzuhalten (Mayerhofer StPO4 § 365 E 19, 19a). Die Rechtsprechung läßt auch zu, daß dem Gebot der Vernehmung des Angeklagten Genüge getan wird, wenn der Verteidiger erst im Schlußvortrag zu den zivilrechtlichen Ansprüchen Stellung nimmt und der Angeklagte dieser Prozeßhandlung nicht widerspricht (Mayerhofer aaO E 21a).

Im vorliegenden Fall haben sich der Angeklagte und sein Verteidiger weder im Schlußvortrag noch sonst während der Hauptverhandlung zu der geltend gemachten privatrechtlichen Forderung geäußert. Eine entsprechende Aufforderung hiezu ist nach der Aktenlage ebenfalls nicht erfolgt, sodaß es an einer der formellen Voraussetzungen für einen Zuspruch eines Entschädigungsbetrages mangelt (vgl 14 Os 80/87).

Entgegen der Auffassung der Generalprokuratur vermag allein die Tatsache, daß dem Verteidiger und dem Angeklagten gemäß § 255 Abs 3 StPO das Recht auf einen Schlußvortrag eingeräumt wurde, die zwingende Anhörung gemäß § 365 Abs 2 StPO - sei es auch nur in der als zulässig erachteten Form eines ausdrücklichen Abverlangens der in Rede stehenden Erklärung - nicht zu ersetzen. Eine gegenteilige Meinung zu einer gleichgelagerten Prozeßsituation, die den Standpunkt der Generalprokuratur stützen soll, läßt sich der in der Nichtigkeitsbeschwerde zitierten Entscheidung ÖJZ-LSK 1981/99 (= 12 Os 121/80) nicht entnehmen.

Ebenso kann aus der in § 255 StPO vorgeschriebenen Reihenfolge, wonach der Privatbeteiligte vor dem Angeklagten und seinem Verteidiger das Wort enthält, oder der nach § 256 Abs 2 StPO freistehenden Möglichkeit einer Thementrennung des Schlußvortrages noch nicht darauf geschlossen werden, daß mit der bloßen Schlußworterteilung an den Angeklagten oder dessen Verteidiger gleichzeitig dem Gebot des § 365 Abs 2 StPO entsprochen wird; verfolgt doch letztere Gesetzesbestimmung den speziellen Zweck, dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, im Rahmen der Vernehmung zivilrechtliche Einwendungen gegen die einer Klagsforderung gleichgestellten Privatbeteiligtenansprüche zu erheben (siehe auch SSt 43/24).

Im konkreten Fall hätte allerdings die vom Vorsitzenden des Schöffengerichtes unterlassene Befragung des Angeklagten noch vom Gerichtshof zweiter Instanz in der Berufungsverhandlung nachgeholt werden können (Mayerhofer aaO E 21b), was aber unterblieben ist (S 7 f/II).

Damit fehlt eine zwingende formelle Voraussetzung für den Privatbeteiligtenzuspruch, sodaß die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien bezüglich des Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche im Ergebnis zu Recht erfolgt ist.

Insoweit war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen.

Rechtssätze
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