JudikaturJustiz11Os78/22p

11Os78/22p – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kornauth als Schriftführer in der Strafsache gegen P* H* und B* H* wegen Verbrechen nach § 3g VG über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen beider Angeklagter sowie über die Berufungen der Privatbeteiligten Mag. * G*, * B*, Mag. * S*, Dr. * M*, * J*, I*, Ho* und Jü* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 31. März 2022, GZ 601 Hv 6/21z 114, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden P* H* (zu I./) und B* H* (zu II./) jeweils mehrerer Verbrechen nach § 3g VG schuldig erkannt und jeweils unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB, P* H* „nach dem zweiten Strafrahmen“, B* H* „nach dem ersten Strafrahmen“ des § 3g VG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt (US 75).

[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben sich – soweit im Folgenden von Relevanz – in W* und andernorts auf andere als die in §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem

I./ P* H*

A./ im Zeitraum von 15. April 2016 bis Ende 2019 als NS-Rapper „M*“ im Internet Musikvideos samt Titelbildern mit nationalsozialistischen Symbolen und Parolen teilte, wodurch er die Person Adolf Hitler glorifizierte und den Nationalsozialismus sowie die Massenvernichtung im „Dritten Reich“ verherrlichte, und zwar

2./ ein Video, auf welchem die schwarze Sonne und ein Attentäter ersichtlich ist, der das Manifest „The great replacement“ in der Hand hält, mit dem Titel „Holding out for a T*“, mit dem er dem Attentäter B* T* huldigt, der in Neuseeland einen Terroranschlag auf zwei Moscheen verübte und dabei 51 Menschen erschoss:

[Bild: „as the sun wheels pick up speed“]

B./ das Manifest des Attentäters B* T* „The great replacement“ am 24. März 2019 auf Deutsch übersetzte, bearbeitete und als „Der große Austausch“ auf https://f*.com im Internet veröffentlichte, in welchem er mehrfach das Symbol der schwarzen Sonne verwendete, die Überlegenheit der weißen Rasse hervorhebt und von Rassentrennung spricht, wodurch er nationalsozialistische Symbole propagandistisch verwendete und Zielsetzungen des Dritten Reichs verherrlichte;

C./ im Urteil näher bezeichnete Nachrichten bzw Dateien via E Mail versandte;

D./ zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten vor dem 20. Jänner 2021 nationalsozialistisches Propagandamaterial ansammelte und zum Zweck der Verbreitung dieses Gedankenguts besaß, um den Nationalsozialismus und die Massenvernichtung des Dritten Reichs zu verherrlichen, und zwar …

3./ folgende Fahnen:

b./ eine Reichskriegsfahne;

E./ im Zeitraum von 15. April 2016 bis 19. Jänner 2019 als NS Rapper „M*“ im Internet im Urteil näher bezeichnete Musikstücke im Rahmen dort nachgenannter CDs samt CD Cover mit nationalsozialistischen Symbolen und Parolen veröffentlichte, wodurch er die Person Adolf Hitler glorifizierte und den Nationalsozialismus sowie die Massenvernichtung des „Dritten Reichs“ verherrlichte;

F./ im Urteil näher bezeichnete Musikstücke auf Englisch via E-Mail an B* H* versandte;

II./ B* H*

A./ ab einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis zum 2. Juni 2021 im Urteil näher bezeichnetes nationalsozialistisches Propagandamaterial ansammelte und zum Zweck der Verbreitung dieses Gedankenguts besaß, um den Nationalsozialismus und die Massenvernichtung im „Dritten Reich“ zu verherrlichen;

B./ zumindest im Zeitraum vom 26. April 2016 bis zum 4. März 2020 als Administrator die Internetseite https://j* betrieb, auf der er „antiweiße Verräter und Subversive“ dokumentierte und den jüdischen Einfluss hervorhob … und steckbriefartig Jüdinnen und Juden sowie nicht jüdische Personen, die wegen „Multikulturalismus, Kulturmarxismus, Feminismus und Kommunismus“ angeprangert wurden, auflistete, jüdische Namen mit einem Davidstern dokumentierte und zu jeder Person erklärte, warum diese als Feind gelistet wird, wodurch er die Zielsetzungen des „Dritten Reichs“, nämlich die Kennzeichnung und Verfolgung von Personengruppen, die als Feinde angesehen wurden, verherrlichte;

C./ im Urteil näher bezeichnete Musikstücke des P* H* alias NS Rapper „M*“ mit nationalsozialistischen Symbolen und Parolen, mit welchen die Person Adolf Hitler glorifiziert und der Nationalsozialismus sowie die Massenvernichtung im „Dritten Reich“ verherrlicht wird, im Internet hochlud;

D./ im Urteil näher bezeichnete Nachrichten bzw Dateien via E Mail an P* H* versandte;

E./ auf die im Urteil näher bezeichnete Weise zur Ausführung der strafbaren Handlungen des P* H* alias NS-Rapper „M*“ beigetragen, der sich durch die Veröffentlichung von Musikstücken im Rahmen von CDs samt CD-Covers mit nationalsozialistischen Symbolen und Parolen, in welchen er die Person Adolf Hitler glorifizierte und den Nationalsozialismus sowie die Massenvernichtung des „Dritten Reichs“ verherrlichte, auf andere als die in §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die in einem gemeinsamen Schriftsatz ausgeführten, vom Angeklagten P* H* aus Z 6, 11 lit a, 12 sowie 13 und vom Angeklagten B* H* aus Z 13 des § 345 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden.

[4] Indem die Sanktionsrüge (Z 13) für beide Rechtsmittelwerber den Milderungsgrund der „überlangen Verfahrensdauer“ (§ 34 Abs 2 StGB) reklamiert, spricht sie lediglich einen Berufungsgrund an (RIS Justiz RS0099911).

[5] Zur (verbleibenden) Nichtigkeitsbeschwerde des P* H*:

[6] Weil sich der neuseeländische Attentäter „deutlich vom Nationalsozialismus distanziert“ habe, erblickt der Beschwerdeführer in der „kompletten“ Bejahung der Hauptfragen 2./ und 3./ durch die Geschworenen in Bezug auf die von ihm „geäußerte Unterstützung des Attentäters B* T*“ eine unrichtige Subsumtion unter das Verbotsgesetz.

[7] Er spricht damit (nominell Z 12; der Sache nach Z 11 lit a) jedoch keinen entscheidenden Umstand an, zumal die (zu den Schuldsprüchen zu I./A./2./ und I./B./) inkriminierten Handlungskomplexe den Tatbestand des § 3g VG selbst dann verwirklichen können, wenn einzelne Elemente von im Gesamtkontext beurteilten Verhaltensweisen – isoliert betrachtet – (noch) nicht als typisch nationalsozialistisch zu beurteilen wären (RIS Justiz RS0079948). Die Bejahung oder Verneinung der Sachverhaltsgrundlagen des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“ im Sinne des VG ist überdies auf der Feststellungsebene angesiedelt und somit allein den Geschworenen zur Beantwortung vorbehalten. Eine Anfechtung mit Rechts oder Subsumtionsrüge scheidet daher aus (RIS Justiz RS0119234).

[8] Ausgehend von den – ohne dies durch Zitierung offenzulegen großteils wörtlich übernommenen – Erwägungen von Lässig in WK² Vor Verbotsgesetz Rz 7 beanstandet die Beschwerde aus Z 6 und (diesfalls inkonsequent) Z 13 des § 345 Abs 1 StPO das Unterbleiben einer (uneigentlichen) Zusatzfrage (§ 316 StPO), „ob in casu der erste oder zweite Strafsatz des § 3g VG beim Erstangeklagten zur Anwendung kommen soll“, weswegen „in dubio pro reo nicht vom höheren Strafrahmen ausgegangen werden“ könne.

[9] Dabei übersieht sie, dass Gegenstand der Fragestellung an die Geschworenen nur (für die Strafbarkeit und die Subsumtion entscheidende) Tatsachen sein können. Rechtsfragen sind – ausnahmsweise und hier nicht relevant – nur dann in die Fragestellung aufzunehmen, wenn materielle Strafausschließungsgründe in Rede stehen (§ 313 StPO; Ratz , WK StPO § 345 Rz 19 f; RIS Justiz RS0131469). Die Sachverhaltsbasis des erweiterten Strafrahmens (US 78) wird von der Beschwerde im Übrigen unter keinem Nichtigkeitsgrund bekämpft.

[10] Als Behauptung eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen verstanden (Z 12, vgl dazu RIS Justiz RS0120637 [T1]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 616) macht der Rechtsmittelwerber solcherart nicht klar, welcher im Wahrspruch festzustellenden Tatsachengrundlage der Schuldspruch entbehren soll.

[11] Bleibt anzumerken, dass das gegenständliche Vorbringen mit Blick auf die oberstgerichtliche Rechtsprechung zu 12 Os 82/13w (RIS Justiz RS0129150 = EvBl 2014/49; siehe weiters 13 Os 122/95 sowie [jeweils im Spruch] 15 Os 101/95 und 9 Os 132/85), deren Begründung der erkennende Senat teilt, keinen Anlass für eine amtswegige Maßnahme gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bietet. Hinzugefügt sei, dass – im wegen prognostischer Beurteilung der „Gefährlichkeit“ gemäß § 21 Abs 1 oder Abs 2 StGB vergleichbaren Fall – gemäß § 432 StPO im geschworenengerichtlichen Verfahren über die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher der Schwurgerichtshof gemeinsam mit den Geschworenen zu entscheiden hat, sodass auch insoweit eine Fragestellung im Sinne der §§ 310 ff StPO nicht in Betracht kommt (RIS Justiz RS0089955, RS0115054; Swiderski , WK StPO § 338 Rz 2, 3; Murschetz , WK StPO § 432 Rz 5; vgl mit Blick auf § 91 StGB: RIS Justiz RS0125921, RS0125243; Fabrizy/Michel Kwapinski/Oshidari , StGB 14 § 91 Rz 7, Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 91 Rz 2). Dass §§ 181d Abs 1, 278c Z 1 sowie 278e Abs 1, Abs 2 StGB die „Gefährlichkeit“ dem Tatbestand zuordnen, steht der oben zitierten Judikatur nicht zwingend entgegen.

[12] Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) leitet ihre rein spekulative Behauptung, für den Fall, dass es sich bei der als nationalsozialistisches Propagandamaterial inkriminierten „Reichskriegsfahne“ (D./3./b./) „tatsächlich um die Reichskriegsflagge des deutschen Kaiserreichs“ und demzufolge (bloß) um ein „Ersatzsymbol“ gehandelt haben sollte, hätte es in Ansehung der subjektiven Tatseite des Angeklagten P* H* (nicht näher genannter) „strengerer“ Anforderungen bedurft, prozessordnungswidrig (RIS Justiz RS0116569) nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz und dem Urteilssachverhalt (RIS Justiz RS0099810) ab (vgl im Übrigen RIS Justiz RS0113270 [T4]).

[13] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur waren die Nichtigkeitsbeschwerden daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung (zu den oberstgerichtlichen Entscheidungsformen vgl weiterhin 12 Os 38/04 zweit und drittletzter Absatz) sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten sowie über jene der Privatbeteiligten folgt (§§ 344, 285i StPO).

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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