JudikaturJustiz11Os76/04

11Os76/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. August 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. August 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Matschegg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Joachim N***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19. März 2004, GZ 031 Hv 125/03g-33, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil - das auch einen rechtskräftigen Teilfreispruch enthält - wurde Joachim N***** der (jeweils mehrfach begangenen) Verbrechen (zu I) des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und (zu II) des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie der Vergehen (zu III) des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB und (zu IV) der (richtig) sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

in der Zeit von Winter 2000 bis Juli 2002 mit einer unmündigen Person, nämlich der am 26. Dezember 1988 geborenen Angela H*****, in wiederholten Angriffen dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er fünf- bis sechsmal im Monat sein Glied in den After der Genannten einzuführen trachtete und ihr wiederholt mit mehreren Fingern in die Scheide fuhr;

in der Zeit von Sommer 1999 bis Juli 2002 außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an der genannten Unmündigen dadurch vorgenommen, dass er sie an der Scheide streichelte;

durch die zu I und II genannten Handlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Aufsicht unterstehenden Minderjährigen diese zur Unzucht missbraucht;

in der Zeit von Sommer 1999 bis Juli 2002 eine Handlung, die geeignet war, die sittliche oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, vor der genannten Unmündigen vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu befriedigen, indem er vor ihr onanierte und sie aufforderte, ihm dabei zuzusehen. Gegen das Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge nach Z 3 behauptet der Sache nach einen Verstoß gegen § 252 Abs 1 lit 2a StPO, weil das Protokoll über die kontradiktorische Vernehmung der Zeugin Angela H***** (ON 9) in der Hauptverhandlung verlesen wurde, ohne dass auch die Ton- und Bildaufnahme dieser Vernehmung vorgeführt wurde. Dem zuwider hängt die Zulässigkeit der (im vorliegenden Fall einvernehmlich und unter gleichzeitigem Verzicht der Parteien auf die Vorführung erfolgten [S 285]) Verlesung eines Vernehmungsprotokolls nach § 252 Abs 1 StPO nicht davon ab, ob auch die (nach § 162a Abs 1 dritter Satz StPO bloß fakultative) technische Aufnahme der Vernehmung vorgeführt wird (vgl Fabrizy StPO9 § 252 Rz 10; Mayerhofer StPO5 § 252 E 45da). Der Verfahrensrüge nach Z 4 zuwider durfte das Schöffengericht den zum Beweis dafür, dass das Eindringen des Penis des Angeklagten in den Anus der Minderjährigen Verletzungen verursachen müsse, die noch heute feststellbar wären, gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Gynäkologie (S 343) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten im Ergebnis zu Recht ablehnen, ist doch dem Antrag nicht zu entnehmen, inwieweit dieser Umstand allein für die Schuldfrage von Bedeutung sein soll (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327). Mit dem den Antrag in unzulässiger Weise ergänzenden Vorbringen, durch das Gutachten hätte auch erwiesen werden sollen, dass keine Verletzungen bei der Zeugin vorgelegen seien (S 381), verstößt die Beschwerde gegen das im Nichtigkeitsverfahren geltende Neuerungsverbot (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325; Mayerhofer StPO5 § 281 Z 4 E 41).

Die Mängelrüge (Z 5) vermag mit der pauschalen Behauptung, die Feststellungen zu II seien undeutlich und mangelhaft begründet geblieben, keinen Begründungsmangel der hinreichend konkretisierten (US 5) und aktengetreu auf die – im Urteil eingehend erörterten – Aussagen des Tatopfers gestützten (US 6 ff) Konstatierungen aufzuzeigen.

Der Beginn des Tatzeitraums zu Punkt I betrifft zum einen keine für den Ausspruch über die Schuld entscheidende Frage, zum anderen ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang, dass das Schöffengericht mit der Diktion "Winter 2000" den Beginn des genannten Jahres gemeint hat (US 9 iVm S 121).

Ein (der Sache nach aus Z 3 behaupteter) Widerspruch zwischen Tenor und Entscheidungsgründen zu III liegt nicht vor, weil dem Schuldspruch wegen der (also zumindest zweier) Vergehen nach § 208 StGB die Feststellungen US 4 ("ab dem Sommer 1999 .... wiederholt ...") entsprechen. Doch auch der – lediglich deklarative (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 266) – Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO (US 3) stellt nicht einen einmaligen Angriff dar, sondern bringt unmissverständlich ("in der Zeit vom Sommer 1999 bis Juli 2002") eine wiederholte Begehung der dort beschriebenen Tat zum Ausdruck. Den festgestellten, wie bereits ausgeführt nicht entscheidungswesentlichen Beginn des Tatzeitraums zu Schuldspruch I hat das Erstgericht nicht mangelhaft begründet, sondern sich mit den Angaben der Zeugin Angelika H***** dazu hinreichend auseinandergesetzt (US 9).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit eigenständigen beweiswürdigenden Plausibilitätserwägungen keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der entscheidenden Urteilsannahmen zu erzeugen. Soweit sie – wie schon die Mängelrüge – auf die Zahl der Angriffshandlungen abstellt, betrifft sie – wie sie selbst zugesteht – nicht den Schuldspruch, sondern nur Strafzumessungsgründe und entbehrt daher einer prozessordnungsgemäßen Darstellung. Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie mit der Behauptung des Fehlens von Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob die zu Punkt II festgestellten Tathandlungen (nach § 207 Abs 1 StGB) infolge allfälligen zeitlichen Nahebezugs zu den zum Schuldspruch I konstatierten (§ 206 Abs 1 StGB unterstellten) Taten selbständig strafbar waren oder nicht, die entsprechenden Urteilskonstatierungen (US 5 Zeile 15 ff) vernachlässigt. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als offenbar unbegründet, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten wegen Strafe und wegen des Ausspruch über die zivilrechtlichen Ansprüche folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a StPO.

Rechtssätze
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