JudikaturJustiz11Os61/20k

11Os61/20k – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. September 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Ramiz G***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig im Rahmen einer kriminellen Vereinigung und durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 2 Z 1 (iVm 129 Abs 1 Z 1), 130 Abs 2 erster Fall, Abs 3 iVm 130 Abs 1 erster und zweiter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 60 Hv 70/19t des Landesgerichts Linz, über die Beschwerde des Ramiz G***** gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 19. Mai 2020 (ON 165), über dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie über die Berufung des Ramiz G***** gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 18. Dezember 2019 (ON 124) und über die Beschwerde des Genannten gegen einen Beschluss nach § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die erstgenannte Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.

Zur Entscheidung über die Berufung und die zweitgenannte Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Text

Gründe:

Soweit hier relevant wurde Ramiz G***** mit Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 18. Dezember 2019, GZ 60 Hv 70/19t 124, des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig im Rahmen einer kriminellen Vereinigung und durch Einbruch begangenen Diebstahls nach „§§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1, 130 Abs 2 und 3 jeweils iVm Abs 1 erster und zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB“ (richtig: §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 2 Z 1 [iVm 129 Abs 1 Z 1], 130 Abs 2 erster Fall, Abs 3 iVm 130 Abs 1 erster und zweiter Fall, 15 StGB) und weiterer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO wurde unter einem vom Widerruf einer dem Genannten gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte Ramiz G***** nach der Urteilsverkündung die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche an (ON 123 S 33). Die Urteilsausfertigung wurde dem Verteidiger des Genannten am 3. März 2020 zugestellt.

Mit Beschluss vom 19. Mai 2020 wies die Vorsitzende des Schöffengerichts die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß § 285a Z 2 StPO zurück (ON 165). Bei der Anmeldung seien keine Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet worden. Eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde sei bis zum Ablauf der hiezu bestimmten Frist nicht überreicht worden (§ 285b Abs 1 StPO). Die vierwöchige Frist des § 285 Abs 1 StPO sei gemäß § 9 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (1. COVID-19-JuBG – BGBl I 2020/16) iVm § 3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden (BGBl II 2020/113), mit Inkrafttreten dieser Verordnung am 24. März 2020 unterbrochen worden. Nach der Übergangsbestimmung des (gemeint:) § 12 Abs 2 zweiter Satz des 1. COVID-19-JuBG idF BGBl I 2020/24 habe die Frist mit 14. April 2020 neu zu laufen begonnen, sodass die Ausführungsfrist am 13. Mai 2020 (gemeint: mit Ablauf des 12. Mai 2020) geendet habe. Die Unterbrechung der Frist des § 285 Abs 1 StPO bis 1. Mai 2020 gemäß § 3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID 19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, idF BGBl II 2020/138 gelte nicht für Fristen in Verfahren, in denen der Beschuldigte (Angeklagte) – wie hier – in Haft angehalten werde (vgl auch § 9 Z 3 letzter Halbsatz des 1. COVID-19-JuBG idF BGBl I 2020/24).

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Angeklagten (ON 169).

Zudem hat er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (und Berufung) eingebracht (ON 167).

Dazu wird vorgebracht, dass sich der Arbeitsablauf des vorwiegend in Zivilsachen tätigen Verteidigers „im Rahmen des Covid 19 bedingten Shutdowns“ ab 16. März 2020 vollständig geändert habe. Infolge der Überflutung mit telefonischen Anfragen sei der Verteidiger „beim notwendigen Lesen der unzähligen Bestimmungen [...] gestört“ worden bzw habe „diese Tätigkeit unterbrechen müssen“. „Die erste Änderung in Bezug auf die Fristen mit den ab 23. März 2020“ (gemeint offenbar 24. März 2020 – vgl § 8 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 2020/113) geltenden Regelungen sei wahrgenommen und die Frist mit 12. Mai 2020 eingetragen worden. Es sei „für den Verteidiger im Hinblick auf die erfolgte Kalendierung für den 28. 05. 2020 nicht anders erklärbar, als dass er […] die Lektüre des 4. Covid Gesetzes bei Artikel 32 von diesbezüglich 39 wieder einmal für längere Zeit unterbrechen und mehrere Telefonate führen musste, sodass er infolge der offensichtlich begonnen, aber nicht abgeschlossenen und erst nach Stunden oder am nächsten Tag fortgesetzten Durchsicht an einer unrichtigen Stelle fortsetzte oder aber gar nicht fortsetzte, da mittlerweile eine Mitarbeiterin […] die Umkalendierung der gegenständlichen Frist veranlasste“. Eine weitere Beschäftigung des Verteidigers „mit den strafrechtlichen Rechtsmittelfristen“ sei „mangels anderer offener Strafakten in der Kanzlei nicht erfolgt“.

„Dieses erstmalige Geschehnis“ sei aus Sicht des Verteidigers „ausschließlich auf die Kombination der Covid 19 bedingten Gesetzesflut in Verbindung mit der hier schlagend gewordenen Aufsplitterung der Rechtsmittelfristen sowie vor allem auf die völlige Änderung von Arbeitsstrukturen und privaten Strukturen“ zurückzuführen.

Rechtliche Beurteilung

Zur Beschwerde:

Gemäß § 285a Z 2 StPO hat das Landesgericht bei dem eine Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet wird, diese zurückzuweisen, wenn nicht bei ihrer Anmeldung oder in ihrer Ausführung ein Nichtigkeitsgrund deutlich und bestimmt bezeichnet wird.

Da die Beschwerde kein inhaltliches Vorbringen zu einer allfälligen Mangelhaftigkeit des angefochtenen Beschlusses, sondern lediglich dazu erstattet, dass im Fall der Bewilligung der Wiedereinsetzung die angemeldeten Rechtsmittel rechtzeitig ausgeführt wurden, war sie zurückzuweisen ( §§ 285b Abs 4, 285i StPO).

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Den Beteiligten des Verfahrens ist gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie unter anderem nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten oder die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt (§ 364 Abs 1 Z 1 StPO).

Ein zur Fristversäumung führender Rechtsfehler eines – einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegenden (RIS Justiz RS0101272 [T10]) – Rechtsanwalts schließt die Wiedereinsetzung aus: Mangelnde Rechtskenntnis des Verteidigers begründet grundsätzlich keinen Wiedereinsetzungsgrund ( Lewisch , WK StPO § 364 Rz 27 f; RIS Justiz RS0101310 [T6]; generell zu Fehlern des Verteidigers bei der Handhabung des Fristenwesens vgl auch 15 Os 105/17f, 15 Os 106/17b).

In dem Umstand, dass sich der mit einer Haftsache befasste Verteidiger nach seiner Darstellung über Wochen bis zum Ende der Ausführungsfrist mit Ablauf des 12. Mai 2020 keine umfassende Rechtskenntnis von dem am 4. April 2020 ausgegebenen 4. COVID-19-Gesetz (hier: insbesondere Art 32 Z 6 und 9) und offenkundig auch nicht von § 3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden idF BGBl II 2020/113 (ausgegeben am 8. April 2020) verschaffte, liegt keineswegs ein Versehen bloß minderen Grades.

Da die Berechnung des Endes einer Frist (anders als etwa die bloße Eintragung des entsprechenden – vom Verteidiger vorgegebenen – Datums) Rechtskenntnis voraussetzt, fällt sie in den Aufgabenbereich des Verteidigers. Aus diesem Grund würde auch im unkontrollierten Überlassen dieser Berechnung an eine (nicht rechtskundige) Kanzleimitarbeiterin nach ständiger Rechtsprechung ein die – mit Blick auf eine allfällige diesbezügliche Fehlleistung begehrte – Wiedereinsetzung ausschließendes Organisationsverschulden liegen (RIS Justiz RS0117496 [T2]).

Gemessen am Standard gewissenhafter und umsichtiger Rechtsanwälte (RIS Justiz RS0131735; Lewisch , WK StPO § 364 Rz 25) liegt dem Vorgehen des Verteidigers daher nicht ein Versehen bloß minderen Grades zu Grunde, weshalb die Wiedereinsetzung nicht zu bewilligen war.

Bleibt anzumerken, dass die Nichtigkeitsbeschwerde bei Rechtzeitigkeit der Ausführung vom Obersten Gerichtshof zurückzuweisen gewesen wäre, weil das auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Vorbringen keinen nichtigkeitsrelevanten Begründungsmangel darzulegen und keine erheblichen Bedenken zu erwecken vermag und dem Urteil der aus Z 10 reklamierte und auch sonst ein Rechtsfehler nicht anhaftet.

Zur Entscheidung über die Berufung und die implizierte Beschwerde ist das Oberlandesgericht zuständig (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Eine Kostenentscheidung unterblieb, weil es nicht zu einem Rechtsmittelverfahren im Sinn des § 390a Abs 1 StPO gekommen ist und ein erfolgloser Antrag auf Wiedereinsetzung keine Kostenersatzpflicht auslöst ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 11 und 19).

Rechtssätze
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