JudikaturJustiz11Os44/09v

11Os44/09v – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Mai 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Mai 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Böhm als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Krzysztof O***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 6 U 291/08g des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 19. Oktober 2007, GZ 7 U 97/07h-18, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Unterlassung einer dem Grundsatz der materiellen Wahrheitsforschung entsprechenden Beweiserhebung durch das Bezirksgericht St. Johann im Pongau verletzt § 3 StPO aF. Das Urteil dieses Gerichts vom 19. Oktober 2007, GZ 7 U 97/07h-18, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte auf die Kassation der von ihm angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Dem polnischen Staatsangehörigen Krzysztof O***** wird im Verfahren AZ 6 U 291/08g (vormals 7 U 97/07h) des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau mit Antrag auf Bestrafung vom 28. März 2007, BAZ 1286/07a des Bezirksanwalts beim Bezirksgericht St. Johann im Pongau, das zum Nachteil des Peter R***** am 1. Februar 2007 verübte Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zur Last gelegt (ON 3 der U-Akten). Nachdem der Beschuldigte zur Hauptverhandlung vom 19. Oktober 2007 im Rechtshilfeweg geladen worden (ON 12), aber unentschuldigt nicht zu Gericht gekommen war, wurde die Hauptverhandlung (ON 17) gemäß § 459 StPO idF vor BGBl I 2007/93 in seiner Abwesenheit durchgeführt (S 103).

Das Gericht erhob Beweis durch Vernehmung der Zeugen Helmut E***** (S 105 ff) und Peter R***** (S 107 ff) sowie durch Verlesung der Anzeige ON 2 sowie der Strafregisterauskunft ON 6 gemäß § 252 Abs 2 StPO aF (S 113). Mit (Abwesenheits )Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 19. Oktober 2007 wurde der Beschuldigte des inkriminierten Vergehens schuldig erkannt (ON 18).

Beim Landesgericht Salzburg sind derzeit die Verfahren über die (Schuld )Berufung des Angeklagten (ON 27 ff), AZ 43 Bl 39/09m, und über dessen Beschwerde (ON 44) gegen die Zurückweisung seines Einspruchs gegen das Abwesenheitsurteil (ON 39), AZ 43 Bl 40/09h, anhängig.

Rechtliche Beurteilung

Der Umfang des Beweisverfahrens des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau verstößt - wie die Generalprokuratur im Ergebnis zutreffend aufzeigt, wiewohl die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes formell gegen das Urteil vom 19. Oktober 2007 gerichtet ist - gegen § 3 StPO aF.

Der Verdächtigte benannte schon anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung - unter Bekanntgabe deren Adressen - als Tatzeugen mehrere in Polen wohnhafte Personen (S 23 f).

Das Bezirksgericht hat diese Zeugen weder vernommen noch versucht, deren Vernehmung im Rechtshilfeweg zu bewirken.

Gemäß § 3 StPO aF (nunmehr § 3 Abs 2 zweiter Satz StPO) haben alle im Strafverfahren tätigen Behörden die zur Belastung und zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu berücksichtigen (zu ermitteln).

Durch die Unterlassung einer dem § 3 StPO aF entsprechenden Beweisführung (hier hinsichtlich der vom Verdächtigen relevierten Zeugen) hat das Bezirksgericht in einer das eingeräumte Ermessen überschreitenden Weise gegen den Grundsatz der materiellen Wahrheitsforschung verstoßen (vgl Schmoller, WK-StPO § 3 [aF] Rz 18 f).

Neben der Feststellung der Gesetzesverletzung sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), das nach einem unvollständigen Beweisverfahren ergangene Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 19. Oktober 2007 aufzuheben und dem Erstgericht die Neudurchführung des Verfahrens aufzutragen, womit sich die Erledigung der Rechtsmittel des Angeklagten erübrigt. Zu den in polnischer Sprache verfassten (und vom Bezirksgericht zu übersetzen verfügten) Eingaben des anwaltlich nicht vertretenen Angeklagten sei angemerkt, dass die in SSt 43/32 (= RIS-Justiz RS0050205) vertretene Rechtsansicht angesichts § 38a Abs 1 StPO aF (nunmehr § 56 Abs 1 StPO) unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens (Art 6 Abs 1 MRK) so nicht aufrecht erhalten werden kann (vgl Achammer, WK-StPO § 38a [aF] Rz 9).

Rechtssätze
2
  • RS0050205OGH Rechtssatz

    21. Juli 2020·3 Entscheidungen

    Die Gerichtssprache ist gemäß dem Art 8 B - VG und dem § 53 Abs 1 Geo die deutsche Sprache. In einer anderen als der deutschen Sprache abgefasste Rechtsmittelausführungen sind daher - auch wenn ihnen eine beglaubigte Übersetzung in die deutsche Sprache angeschlossen ist - im Sinne des § 285a Z 2 StPO zurückzuweisen, weil sie für den nur der deutschen Sprache kundigen Organwalter unverständlich und daher zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung ungeeignet sind. § 100 StPO bezieht sich nur auf Urkunden, die für die Wahrheitsfindung erheblich sind und die nicht erst von den am Prozess Beteiligten während des Prozesses und für Prozesszwecke geschaffen werden, daher nicht auf Schriftsätze der Parteien und insbesondere nicht auf Rechtsmittelschriften derselben. Dieser Auffassung wird auch durch Art 6 Abs 3 MRK nicht widersprochen, weil diese Vorschrift lediglich die Übersetzung jener gerichtlichen Akte in die Sprache des Angeklagten verlangt, deren Kenntnis für seine Verteidigung erforderlich ist, sowie die Übersetzung seines eigenen Vorbringens in der Hauptverhandlung. Sogar für Angehörige der slowenischen Minderheit, die gemäß dem G vom 19.03.1959 zur Durchführung der die Amtssprache bei Gericht betreffenden Bestimmungen einen Anspruch auf Gebrauch ihrer Sprache vor den im Gesetz genannten Bezirksgerichten haben, ist für die Einbringung von Rechtsmitteln gegen Entscheidungen dieser Bezirksgerichte nach dem § 7 des genannten Gesetzes der Gebrauch der deutschen Sprache vorgeschrieben.