JudikaturJustiz11Os35/10x

11Os35/10x – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. April 2010

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Spreitzer als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Christoph S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 9. Dezember 2009, GZ 28 Hv 101/09a-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des Christoph S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

Danach hat er am 12. Jänner 2009 in H***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, beruht,

1./ den Eintritt in die Wohnstätte eines anderen, nämlich die Wohnung seiner Eltern Maria und Gottfried S***** mit Gewalt erzwungen, indem er die Verkleidung der versperrten Eingangstür wegriss, wobei er in der Absicht eindrang, gegen dort befindliche Personen und Sachen Gewalt zu üben;

2./ die Polizeibeamten Reinhard R***** und Walter K***** mit Gewalt, indem er wild um sich und gegen die Beamten schlug, sich mit Händen und Füßen zur Wehr setzte und Walter K***** einen Faustschlag ins Gesicht sowie Tritte gegen das linke Schienbein versetzte, an einer Amtshandlung, nämlich seiner Vorführung und Untersuchung durch den Amtsarzt sowie seiner Vorführung in die Landesnervenklinik W***** (§ 46 SPG, § 9 UBG), zu hindern versucht;

3./ durch die unter 2./ geschilderten Handlungen den Polizeibeamten Walter K***** während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben und der Erfüllung seiner Pflichten in Form einer Distorsion und Schwellung des Mittelhandgelenks am linken Mittelfinger sowie eines Hämatoms samt Abschürfung am linken Schienbein vorsätzlich am Körper verletzt,

und dadurch Taten begangen, die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als Vergehen des Hausfriedensbruchs nach § 109 (richtig nur:) Abs 3 Z 1 StGB, des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB zuzurechnen wären.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a, lit b, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen, die fehlschlägt.

Nach den Urteilsannahmen kam es dem Betroffenen beim Eindringen in die Wohnung darauf an, den Plan, seinen Eltern Schläge zu versetzen, in die Tat umzusetzen (US 3). Indem die Mängelrüge (Z 5) aus den Verfahrensergebnissen für den Beschwerdeführer günstigere, einer Annahme des von § 109 Abs 3 StGB geforderten Vorsatzes entgegenstehende Schlüsse zieht und die Feststellungen zur subjektiven Tatseite die geständige Verantwortung des Betroffenen übergehend als nicht nachvollziehbar bezeichnet, bekämpft sie bloß die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Soweit mit der Mängelrüge (inhaltlich teils § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) weiters der Verletzungsvorsatz (der im Übrigen dem Vorbringen zuwider auf US 5 festgestellt ist) bestritten wird, indem sie auf den vom Erstgericht vereinzelt verwendeten Begriff „Rangelei“ verweist und behauptet, der Betroffene habe sich lediglich gegen die Fixierung durch die Polizeibeamten wehren wollen, ist sie nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt, weil sie durch Übergehen der konstatierten Tritte und des Faustschlags nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe nimmt (RIS-Justiz RS0119370, RS0116504; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 394).

Ob die Gegenwehr des Betroffenen aus dessen Sicht verständlich war, ist irrelevant. Auch liegt kein Begründungsmangel in Bezug auf die subjektive Tatseite vor, weil der vom Erstgericht aus dem gezeigten Verhalten gezogene Schluss (US 9) nicht zu beanstanden ist (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671).

Auch steht die Annahme der Zurechnungsunfähigkeit der gleichzeitigen Überzeugung von einer mit Wissen und Wollen erfolgten Tatbildverwirklichung nicht entgegen, weil die bei vorsätzlichem Handeln vorausgesetzte Fähigkeit, einen Willen zu bilden, von jener, diesen gebildeten Willen verantwortlich an den Rechtsnormen auszurichten, zu unterscheiden ist (RIS-Justiz RS0115231).

Durch die bloße Behauptung des Beschwerdeführers, bei unvorhersehbaren, spontanen und unbedachten Aggressionshandlungen sei ein Vorsatz auszuschließen, wird weder ein Begründungsdefizit noch ein Widerspruch zum Gutachten der Sachverständigen aufgezeigt.

Anzumerken ist, dass der das Vergehen des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 1 und Abs 3 Z 1 StGB (wobei es sich um zwei eigenständige und einander ausschließende Deliktstypen handelt, die nicht im Verhältnis von Grunddelikt und Qualifikation zueinander stehen [vgl Bertel in WK 2 § 109 Rz 34; Fabrizy , StGB 9 § 109 Rz 5]) bezeichnende Ausspruch des Erstgerichts nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO fehlerhaft ist.

Fallbezogen wurde aber nicht ein und derselbe Sachverhalt sowohl Abs 1 als auch Abs 3 des § 109 StGB unterstellt, sondern zum Ausdruck gebracht, dass der Betroffene (nur) ein Vergehen nach § 109 Abs 3 Z 1 StGB verübt hat, sodass ohne Nichtigkeit zu begründen (RIS Justiz RS0109115) ein sanktionsloser und bloß klarzustellender (Zitier-)Fehler ( Lendl , WK-StPO § 260 Rz 32; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 623 f) vorliegt.

Damit geht aber das auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützte Vorbringen des Betroffenen, eine Verfolgung wegen des Vergehens des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 1 StGB setze eine Ermächtigung voraus (§ 109 Abs 2 StGB), ins Leere, weil das Erstgericht den Sachverhalt § 109 Abs 3 StGB unterstellte.

Die weitere Rechtsrüge ist nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt, weil sie allein aufgrund urteilsfremder Annahmen zur Anlasstat nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB ohne Bezugnahme auf die gesetzlichen Voraussetzungen argumentiert, es läge der Schuldausschließungsgrund des entschuldigenden Notstands (§ 10 StGB; der Betroffene hätte befürchtet, wieder untergebracht und mit Medikamenten behandelt bzw mit Handschellen fixiert zu werden) vor, wobei § 10 StGB bei zurechnungsunfähigen Personen großzügiger auszulegen sei.

Mit der Subsumtionsrüge (Z 10) bestreitet der Betroffene lediglich in erneut nicht an der Prozessordnung orientierter Weise das Vorliegen der subjektiven Tatseite und übergeht den festgestellten Sachverhalt (RIS-Justiz RS0099810).

Soweit bereits unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 5 StPO ohne allerdings auch nur den Versuch zu unternehmen, einen Begründungsmangel darzustellen und mit der Sanktionsrüge (Z 11) eine bedingte Nachsicht der Unterbringung bzw „gelindere Mittel“ begehrt werden, wird inhaltlich bloß ein Berufungsvorbringen erstattet. Nichtigkeit aus § 281  Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO läge vor, wenn die solcherart in Frage gestellte Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Ableitung der Befürchtung, also der rechtlichen Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wären, als willkürlich erscheinen lässt ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 715 bis 721).

Liegt die von § 21 StGB verlangte hohe Wahrscheinlichkeit nicht vor, ist schon die Unterbringungsanordnung nicht gerechtfertigt, sodass deren bedingten Nachsicht nicht mehr zum Tragen kommt. Für die Frage der bedingten Nachsicht einer Unterbringung nach § 21 StGB kommt es statt dessen auf das Verhältnis des Vollzugs zu der diesen substituierenden Behandlung außerhalb der Anstalt unter dem Gesichtspunkt des Zwecks der Maßnahme, mit anderen Worten darauf an, ob der Vollzug im Zeitpunkt der Unterbringungsanordnung (noch) notwendig ist (RIS Justiz RS0119302), worauf das Vorbringen, dass bei entsprechender Behandlung „die Gefährlichkeit reduziert werden“ könnte, keine „übermäßige“ Gefährlichkeit vorliege und die Anwendung des § 45 Abs 1 StGB für den Betroffenen „sicherlich besser“ wäre, abzielt.

Als Rechtsmittel gegen Urteile eines Kollegialgerichts stehen die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe und über die privatrechtlichen Ansprüche offen. Eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (§ 464 Z 2 StPO; ON 27) ist zur Anfechtung schöffengerichtlicher Urteile nicht vorgesehen (§§ 280 erster Satz, 283 Abs 1 StPO). Sie war daher ebenso wie die Nichtigkeitsbeschwerde (deren Antrag nach § 288a StPO im Gegenstand unerfindlich bleibt) in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).