JudikaturJustiz11Os28/98

11Os28/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.Juni 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kofler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Harry Sch***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19.Juni 1997, GZ 8 Vr 392/97-18, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiss, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.van de Voorde zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen, seine "Berufung wegen Schuld" und die selbst verfaßte "Ergänzung der Nichtigkeitsbeschwerde" zurückgewiesen.

Hingegen wird der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der dem Punkt 1. des Schuldspruches zugrundeliegenden Tat als Verbrechen des (minderschweren) Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie demgemäß im Strafausspruch (jedoch unter Aufrechterhaltung der Vorhaftanrechnung und des Zuspruchs an die Privatbeteiligte) aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Harry Sch***** hat durch die ihm zu Punkt 1. des Schuldspruches zur Last liegende strafbare Handlung das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB begangen und wird hiefür nach dieser Gesetzesstelle unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB (Punkt 2. des Schuldspruches) sowie der §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 16.April 1997, AZ 7 E Vr 612/97, Hv 244/97 zu einer (Zusatz)Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren verurteilt.

Gemäß § 55 Abs 1 StGB wird die mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 16.April 1997, AZ 7 E Vr 612/97, Hv 244/97, gewährte bedingte Strafnach- sicht widerrufen.

Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Harry Sch***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB (1) sowie des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (2) schuldig erkannt.

Danach hat er am 5.Februar 1997 in Graz

1. Claudia K***** mit Gewalt gegen ihre Person eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er in der Damentoilettenanlage des Restaurants "R*****" in die versperrte WC-Kabine, in der sich die Genannte aufhielt, einstieg, die sofort daraus flüchtende Claudia K***** erfaßte und in eine andere Kabine zerrte, dort gegen die Wand drückte, ihr wegen der Hilferufe den Mund zuhielt, Schläge in das Gesicht versetzte, dabei die Herausgabe der in ihrer linken Brusttasche befindlichen 100 S forderte, dann die linke Brusttasche herunterriß und daraus die 100 S entnahm,

2. versucht, Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern, indem er gegen die Sicherheitswachebeamten RInsp.Norbert L***** und Insp.Mag.N.D*****, die ihn nach der Festnahme in das Wachzimmer Hauptbahnhof eskortierten, trat.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf Z 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten (fälschlich als "Berufung wegen Nichtigkeit" bezeichneten und trotz ihrer schon vor Zustellung der - an das mündlich verkündete Urteil - angeglichenen Urteilsausfertigung erfolgten Einbringung zu beachtenden; vgl SSt 14/81) Nichtigkeitsbeschwerde. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Z 10 leg cit gestützten Nichtigkeitsbeschwerde aus- schließlich gegen die Subsumtion der in Punkt 1. des Schuldspruches bezeichneten Straftat als minderschwerer Raub.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO setzt voraus, daß über einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag nicht oder nicht im Sinn des Antragstellers entschieden wurde. Der vorliegenden Verfahrensrüge ermangelt es bereits der formellen Voraussetzung einer Antragstellung in der Hauptverhandlung (vgl ON 17). Im übrigen behauptet sie lediglich, das Erstgericht sei seiner Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit nicht nachgekommen, weil es trotz zureichender Hinweise auf die Richtigkeit der Verantwortung des Beschwerdeführers den widersprüchlichen Aussagen der Zeugin K***** gefolgt sei, womit in Wahrheit in einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Weise die Beweiswürdigung der Tatrichter angefochten wird.

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider haftet dem Schuldspruch wegen Raubes kein formeller Begründungsmangel an. Ein solcher muß eine für die rechtliche Beurteilung entscheidende Tatsache betreffen. Diese Bedeutung kommt aber nur jenen Umständen zu, die für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebend sind und entweder auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluß üben (vgl Mayerhofer StPO4, § 281 Abs 1 Z 5 E 18, 26; EvBl 1972/17). Weder dem Grad einer Bekanntschaft des Raubopfers zum Täter noch der Frage, ob der Angeklagte dem Opfer mehr als zwei Schläge in das Gesicht versetzt hat, kommt aber eine derartige Entscheidungsrelevanz zu. Die insoweit unterschiedlichen Angaben der Zeugin K***** bei ihrer (bloß in Berichtsform festgehaltenen) Polizeivernehmung unmittelbar nach der Tat (S 25 f) und in der Hauptverhandlung (S 135 bis 137) bedurften demgemäß keiner Erörterung, zumal das Erstgericht ohnedies zu Gunsten des Beschwerdeführers nur zwei Schläge ins Gesicht angenommen hat (US 4).

Die in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu beiden Punkten des Schuldspruches behaupteten Feststellungsmängel liegen nicht vor. Derartige Mängel sind solche Lücken der Tatsachenkonkretisierung, die eine Gesetzesanwendung hindern, wozu jedenfalls die genaue Uhrzeit der Straftat nicht zählt. Beim Raubfaktum bestand auch kein Anlaß zur näheren Konstatierung von "Form und Art der (vom Angeklagten) ausgeführten beiden Schläge", weil bei der vorliegenden Fallgestaltung diese vermißte nähere Feststellung ebenso wie das Fehlen von Verletzungsfolgen am Raubopfer für die rechtliche Beurteilung der Raubtat nicht von Bedeutung ist, worauf noch bei Erörterung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft eingegangen wird.

Die gegen die Verurteilung wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt gerichtete Rechtsrüge, die sich im Vorbringen erschöpft, die erstgerichtlichen Feststellungen seien "derart dürftig begründet, sodaß sie keinesfalls für eine abschließende rechtliche Beurteilung der Tat als Versuch nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB eine entsprechende Grundlage bilden können", entbehrt einer gesetzeskonformen Darstellung. Bei Behauptung eines Feststellungsmangels muß der Beschwerde- führer nämlich auch angeben, welche Konstatierungen das Erstgericht infolge rechtsirrtümlicher Gesetzesauslegung unterlassen habe (Mayerhofer, aaO, § 281 Abs 1 Z 9 lit a, E 5 c). Eine derartige Substantiierung weist das Beschwerdevorbringen jedoch nicht auf.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Zutreffend zeigt die Anklagebehörde in der Subsumtionsrüge (Z 10) auf, daß der Schöffensenat rechtsirrtümlich die Punkt 1. des Schuldspruches zugrundeliegende Tat rechtlich bloß als (minderschweren) Raub nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB beurteilt hat. Im vorliegenden Fall kann nämlich die vom Angeklagten gegen Claudia K***** eingesetzte Gewalt keineswegs als nicht erheblich bezeichnet werden.

Nach den Urteilsfeststellungen ist der Angeklagte in eine WC-Kabine eingestiegen, hat von der darin anwesenden Zeugin K***** Geld verlangt, sie anschließend in eine andere Toilette gezerrt, sie zweimal ins Gesicht geschlagen und mit dem Gesicht zur Wand gedrückt sowie deren Blusentasche beim Entnehmen der darin befindlichen Banknote heruntergerissen (vgl US 4). Dadurch wurde sehr wohl erhebliche Gewalt angewendet. Denn eine solche liegt dann vor, wenn der Täter beachtliche physische Kraft in vehementer Weise einsetzt, wobei die Belastung des Opfers im Vergleich zu Durchschnittsfällen nicht als geringfügig einzustufen ist. Ob dies zutrifft, ist nach einem objektiv-individualisierenden (strengen) Maßstab unter Berücksichtigung aller konkreten Fallgegebenheiten zu beurteilen. Da § 142 Abs 2 StGB sowohl auf das Mittel der Tat als auch die Tatfolgen abstellt, hängt die Beurteilung einer Gewaltanwendung als unerheblich nicht davon ab, ob damit Verletzungsfolgen einhergehen (Leukauf/Steininger Komm3, § 142 E 28).

Wegen der in einem Überraschungsangriff vorgetragenen, mit erzwungenem Ortswechsel und mit Beschädigung der Kleidung verbundenen festgestellten mehrfachen Gewaltanwendungen kommt es im konkreten Fall auf die Intensität der Schläge und den Umstand, daß diese keine Verletzung des Raubopfers zur Folge hatten, gar nicht mehr an.

Da die tatsächlichen Konstatierungen des Erstgerichtes zur Raubtat ausreichend und nicht mit Begründungsmängeln behaftet sind (sie beruhen unter Ablehnung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten auf der als glaubwürdig erachteten Zeugenaussage des Raubopfers), konnte der Oberste Gerichtshof in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft sogleich eine strengere Subsumtion der Tat, nämlich unter das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB, vornehmen (vgl Mayerhofer StPO4, § 288 E 38, 39), zumal die privilegierenden Voraussetzungen für die Annahme eines minderschweren Raubes kumulativ gegeben sein müßten (SSt 60/46; 11 Os 110,111/97; 11 Os 157/97).

Bei der nunmehr notwendig gewordenen, nach §§ 28 Abs 1; 31, 40 (vgl Punkt 7. der Strafregisterauskunft); 142 Abs 1 StGB vorzunehmenden Neubemessung der Strafe fielen das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei (vgl Bedachtnahme) Vergehen, die einschlägigen Vorstrafen und der rasche Rückfall als erschwerend ins Gewicht; hingegen waren das Teilgeständnis, der Umstand, daß es in einem Faktum beim Versuch geblieben ist, sowie die teilweise Sicherstellung (S 33, 107) der geringen Raubbeute als mildernd zu werten.

Bei gebührender Berücksichtigung aller Strafbe- messungskriterien entspricht die neu festgesetzte (Zusatz)Freiheitsstrafe der unrechtsbezogenen Schuld des Angeklagten, wobei die Gewährung einer bedingten bzw teilbedingten Strafnachsicht nicht in Betracht kommt, um den spezial- und generalpräventiven Anforderungen gerecht zu werden. Aus gleichen Erwägungen war die mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 16.April 1997, AZ 7 E Vr 612/97, gewährte bedingte Strafnachsicht gemäß § 55 Abs 1 StGB zu widerrufen.

Mit seiner Berufung wegen Strafe war der Rechtsmittelwerber auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Seine im kollegialgerichtlichen Strafverfahren nicht vorgesehene (§§ 280, 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen Schuld war ebenso wie seine selbstverfaßte, als "Ergänzung der Nichtigkeitsbeschwerde" bezeichnete Eingabe als nach den Verfahrensvorschriften unzulässig zurückzuweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390 a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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