JudikaturJustiz11Os18/95

11Os18/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. April 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.April 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Prof. Dr.Hager, Dr.Schindler und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Haubenwallner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Herbert S***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 10.Oktober 1994, AZ 10 Bl 134/94, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Jerabek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 10.Oktober 1994, AZ 10 Bl 134/94, verletzt, soweit Hubert S***** des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür (unter Einbeziehung eines in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruches wegen § 83 Abs 1 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, das Gesetz in der Bestimmung der §§ 468 Abs 1 Z 2, 475 Abs 2 StPO.

Dieses Urteil, das hinsichtlich der Aufhebung des erstgerichtlichen Freispruchs wie auch des Strafausspruchs unberührt bleibt, wird im Umfang der oben bezeichneten Gesetzesverletzung aufgehoben, und es wird gemäß §§ 292, 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Das Bezirksgericht Braunau am Inn ist zur Fällung eines Sachurteiles wegen Vergehens nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB über den gegen Hubert S***** in Richtung des versuchten Hausfriedensbruches nach §§ 15, 109 Abs 1 StGB erhobenen Anklagevorwurf unzuständig.

Text

Gründe:

Im Verfahren zum AZ U 73/94 des Bezirksgerichtes Braunau am Inn beantragte der öffentliche Ankläger am 31.März 1994 die Bestrafung des am 19.April 1960 geborenen Hubert S***** wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des versuchten Hausfriedensbruchs nach §§ 15, 109 Abs 1 StGB. Dem Beschuldigten wurde insoweit angelastet, er habe am 6.Oktober 1993 in Braunau am Inn (seinem Sohn) Christian Andreas S***** durch Versetzen eines Faustschlages und von Schlägen mit der flachen Hand ins Gesicht eine Schädelprellung mit Bluterguß zugefügt und sodann versucht, durch Drohung mit Gewalt in die Wohnstätte des Karl I***** (wohin Christian Andreas S***** geflüchtet war) einzudringen (ON 6).

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 9.Mai 1994 (ON 9) wurde Hubert S***** (bloß) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 S (im Uneinbringlichkeitsfall 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt. Vom Anklagevorwurf des versuchten Hausfriedensbruches wurde er gemäß § 259 Z 3 StPO mit der Begründung freigesprochen, daß die Beweisaufnahme den "klassischen Fall" einer vom Anklagevorwurf nicht erfaßten und daher auch nicht verfahrensgegenständlichen gefährlichen Drohung nach § 107 StGB ergeben habe. Die als erwiesen angenommenen drohenden Äußerungen des Beschuldigten, wonach er, falls Karl I***** nicht die Tür aufmache und den Buben herausgebe, die Tür eintreten und mit ihm abrechnen werde (59), waren nach der Überzeugung des erkennenden Gerichtes nicht auf Erzwingung des Eintritts in die Wohnung, sondern vielmehr allein auf Herausgabe des sich in dieser Wohnung aufhaltenden Sohnes gerichtet (siehe insbesondere 63, 65).

Mit - noch nicht einjournalisiertem - Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 10.Oktober 1994, AZ 10 Bl 134/94, wurde dieser Freispruch in Stattgebung der Nichtigkeitsberufung der Anklagebehörde aufgehoben und Hubert S***** auf der Grundlage der erstgerichtlichen Feststellungen auch des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 6.Oktober 1993 in Braunau am Inn Karl I***** durch die Äußerung, er trete die Tür ein und werde mit ihm "abrechnen", wenn I***** seinen Sohn nicht herausgebe, mithin durch gefährliche Drohung, zu einer Handlung, nämlich zum Öffnen der zugesperrten Wohnungstür und zur Herausgabe seines Sohnes Christian S*****, zu nötigen versucht habe. Die Strafe für diesen wie auch den bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch wegen § 83 Abs 1 StGB wurde - ohne förmliche Aufhebung des erstgerichtlichen Strafausspruches - mit 100 Tagessätzen zu je 30 S (im Uneinbringlichkeitsfall 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) neu bemessen.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Berufungsgerichtes verletzt im Schuldspruch wegen §§ 15, 105 Abs 1 StGB das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 468 Abs 1 Z 2, 475 Abs 2 StPO. Das Berufungsgericht war - zutreffend - der Auffassung, daß die vom Bestrafungsantrag abweichende rechtliche Beurteilung des nach den wesentlichen Kriterien mit dem unter Anklage gestellten Geschehenskomplex unzweifelhaft identen Urteilssachverhaltes das Erstgericht nicht zum Freispruch des Beschuldigten, sondern, da das Strafverfahren wegen des vom Erstgericht für verwirklicht angesehenen Tatbestandes nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB gemäß § 9 Abs 1 Z 1 StPO iVm §§ 10 Z 2, 13 Abs 2 letzter Fall StPO dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz obliegt, zum Ausspruch seiner materiellen Unzuständigkeit veranlassen hätte müssen (US 6). Demnach hat es die demzufolge gemäß §§ 468 Abs 1 Z 2, 475 Abs 2 StPO gebotene prozessuale Konsequenz, durch Ausspruch der sachlichen Unzuständigkeit des Bezirksgerichtes Braunau am Inn nicht nachgeholt, wodurch der Beschuldigte seinem gesetzlichen Richter entzogen wurde. Die dem Berufungsurteil offenbar zugrundeliegende Meinung, dem Berufungssenat als Spruchkörper eines Gerichtshofes erster Instanz stünde auch die Kompetenz eines Einzelrichters zu, ist verfehlt (vgl SSt 52/48 zur Kompetenzüberschreitung eines Berufungssenates des Oberlandesgerichtes im Einzelrichterverfahren). Durch das nicht dem Dreirichtersenat gemäß § 13 Abs 3 erster Fall StPO, sondern einem Einzelrichter zustehende Erkenntnis über das Vergehen nach § 105 Abs 1 StGB wurde dem Beschuldigten auch der ihm gegen ein (schuldigsprechendes) Urteil des Einzelrichters zustehende Rechtsmittelzug an das Oberlandesgericht genommen.

In Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher die Gesetzesverletzung festzustellen und im übrigen spruchgemäß zu erkennen.

Rechtssätze
2
  • RS0053593OGH Rechtssatz

    04. April 1995·1 Entscheidung

    Das Berufungsgericht war - zutreffend - der Auffassung, daß die vom Bestrafungsantrag abweichende rechtliche Beurteilung des nach den wesentlichen Kriterien mit dem unter Anklage gestellten Geschehenskomplex unzweifelhaft identen Urteilssachverhaltes das Erstgericht nicht zum Freispruch des Beschuldigten, sondern, da das Strafverfahren wegen des vom Erstgericht für verwirklicht angesehenen Tatbestandes nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB gemäß § 9 Abs 1 Z 1 StPO in Verbindung mit §§ 10 Z 2, 13 Abs 2 letzter Fall StPO dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz obliegt, zum Ausspruch seiner materiellen Unzuständigkeit veranlassen hätte müssen. Dennoch hat es die demzufolge gemäß §§ 468 Abs 1 Z2, 475 Abs 2 StPO gebotene prozessuale Konsequenz, durch Ausspruch der sachlichen Unzuständigkeit des Bezirksgerichtes nicht nachgeholt, wodurch der Beschuldigte seinem gesetzlichen Richter entzogen wurde. Die dem Berufungsurteil offenbar zugrundeliegende Meinung, dem Berufungssenat als Spruchkörper eines Gerichtshofes erster Instanz stünde auch die Kompetenz eines Einzelrichters zu, ist verfehlt. Durch das nicht dem Dreirichtersenat gemäß § 13 Abs 3 erster Fall StPO, sondern einem Einzelrichter zustehende Erkenntnis über das Vergehen nach § 105 Abs 1 StGB wurde dem Beschuldigten auch der ihm gegen ein (schuldigsprechendes) Urteil des Einzelrichters zustehende Rechtsmittelzug an das Oberlandesgericht genommen.