JudikaturJustiz11Os134/05y

11Os134/05y – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Dezember 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eck als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Anna G***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 28. September 2005, GZ 38 Hv 120/05i-18, sowie ihre Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 4, Abs 6 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil sowie der Beschluss auf Verlängerung der Probezeit aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihrer Berufung und ihrer Beschwerde wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Anna G***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und der Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 (ergänze: erster Fall) SMG (I) und (richtig:) der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (II) schuldig erkannt.

Danach hat sie in Bischofshofen, Salzburg und andernorts den bestehenden Vorschriften zuwider

I. im Zeitraum Frühjahr bis Herbst 2003 gewerbsmäßig Suchtgift in einer großen Menge, nämlich 360 Stück Kapanol-Tabletten zu 50 mg (13,5 g netto des Wirkstoffs Morphin) durch Verkauf an Melanie D***** in Verkehr gesetzt und II. im Zeitraum Sommer 2004 bis Frühjahr 2005 ein Suchtgift, nämlich Cannabisprodukte, erworben und bis zum jeweiligen Eigenkonsum besessen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Angeklagten erhobene, auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist im Umfang der Verfahrensrüge aus Z 4 berechtigt.

Zur Bekräftigung ihrer Verantwortung, sie habe den Inhalt der aufgebrochenen Kapanolkapseln in Pulverform bereits in der Apotheke eingenommen, um im Rahmen eines Substitutionsprogrammes Entzugserscheinungen hintanzuhalten, und nur für den Sonntag die Medikamente mit nach Hause bekommen (S 90 f), weshalb sie Melanie D***** die ihr zur Last gelegten Suchtgiftmengen nicht habe weitergeben können, beantragte die Beschwerdeführerin die Vernehmung der namentlich genannten Apothekerin (S 95 f).

Dieses Beweisthema betrifft - der Begründung des abweislichen Beschlusses des Schöffengerichtes zuwider (S 96) - einen für die Lösung der Schuldfrage zum Faktum I erheblichen Umstand, ob die Rechtsmittelwerberin nämlich die nach Angaben der Zeugin D***** tatverfangenen Mengen an Kapanolkapseln zur späteren freien Verfügung an sich bringen konnte.

Da im schöffengerichtlichen Verfahren die Beweiswürdigung der Tatrichter nur eingeschränkt (Z 5a) angefochten werden kann, ist es im Lichte des Grundsatzes eines „fair trial" (Art 6 Abs 1 EMRK) geboten, vorgreifende Beweiswürdigung zu vermeiden und gerade bei einem einzigen Belastungszeugen Kontrollbeweisen besonderes Augenmerk zu schenken (Mayerhofer StPO5 § 281 Z 4 E 80, 87).

Schon in nichtöffentlicher Sitzung war - da eine neue Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist - der Nichtigkeitsbeschwerde zum Schuldspruch I Folge zu geben (§ 285e StPO).

Diese Aufhebung hat auch jene des Schuldspruches II (wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG) zur Folge (§ 289 StPO), um - für den Fall der Erledigung der Anklage wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG (I) auf andere Weise als durch Schuldspruch - ein allenfalls gesetzlich gebotenes diversionelles Vorgehen nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG zu ermöglichen (12 Os 105/04, 11 Os 61/05p ua).

Ein Eingehen auf das übrige Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich zufolge Totalkassation des bekämpften Urteiles, dem im Übrigen bei der Subsumtion unter § 28 Abs 3 erster Fall SMG mangels Feststellung einer auf das Inverkehrsetzen großer Mengen Suchtgift gerichteten gewerbsmäßigen Absicht (US 4, 5) ein Rechtsfehler anhaftet.

Mit ihrer Berufung und ihrer Beschwerde (§ 498 Abs 3 Satz 3 StPO) war die Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.