JudikaturJustiz11Os128/14d

11Os128/14d – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. November 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. November 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Boris D***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 28. Juli 2014, GZ 28 Hv 59/14s 249, sowie über dessen Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde sowie aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Ausspruch

über das Unterbleiben des Verfalls und im Einziehungserkenntnis unberührt bleibt, sowie der Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung aufgehoben.

Die Sache wird in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit seiner Berufung und Beschwerde wird der Angeklagte auf die Kassation verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen auch einen unbekämpft gebliebenen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Boris D***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB (I./), „des“ Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG (II./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er zusammengefasst wiedergegeben zwischen Frühling 2011 und Sommer 2012 in I***** und an anderen Orten

I./ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und gewerbsmäßig im Urteil teilweise namentlich genannte Personen in vielfachen Angriffen durch die Behauptung, er überlasse diesen Suchtgift, nämlich Metamphetamin, Amphetamin, Kokain und (MDMA-hältige) Ecstasy-Tabletten, mithin durch Täuschung über Tatsachen, zur Übergabe von zumindest 3.240 Euro, somit zu Handlungen verleitet, die diese an ihrem Vermögen schädigten;

II./ vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Cannabis mit einem zumindest 5 %igen Delta 9 THC Gehalt, an sieben im Urteil genannte Personen überlassen;

III./ nachts zum 1. Mai 2012 vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich eine unbekannte, im Zweifel geringe Menge Mephedron ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 8 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Zutreffend wendet der Beschwerdeführer gegen den Schuldspruch I./ ein, dass er über den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt nicht gehört wurde (Z 8).

Die Staatsanwaltschaft hatte die dem Anklagevorwurf A./I./ zugrunde liegenden Taten rechtlich als das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 1 SMG beurteilt (ON 231).

Abweichend hievon wurde der Beschwerdeführer hinsichtlich der Anklagepunkte A./I./1./, 3./, 4./, (tlw) 6./, (tlw) 7./, 9./, (tlw) 11./ bis 15./ wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB (I./) und hinsichtlich der Anklagepunkte A./I./5./, (tlw) 6./, (tlw) 7./, 8./, 10./ und (tlw) 11./ der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG (II./) schuldig erkannt.

Stets dann, wenn ungeachtet der Identität von Anklage- und Urteilsfaktum im prozessualen Sinn der Angeklagte einer gegenüber dem inkriminierten Sachverhalt anderen Tat (auch bloß) im materiellen Sinn schuldig erkannt wird, liegt der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 8 StPO vor, sofern die dem Schuldspruch zu Grunde liegende Tat (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) von jener des Anklagetenors (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) derart verschieden ist, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken und das Gericht dem Erfordernis einer § 262 StPO und dem Grundrechtsgebot des Art 6 Abs 3 lit a, lit b MRK entsprechenden Belehrung nicht Rechnung getragen hat (RIS-Justiz RS0121419; RS0113755).

Eine solche Belehrung fand nach dem Protokoll der Hauptverhandlung am 28. Juli 2014 (ON 248) nicht statt. Das aufgezeigte Informationsdefizit macht wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte eine Kassation der genannten Schuldsprüche bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO) unumgänglich.

Um dem Landesgericht Innsbruck im zweiten Rechtsgang eine umfassende Beurteilung des Anklagevorwurfs A./I./ zu ermöglichen und dadurch inhaltliche Nachteile für den Angeklagten (RIS-Justiz RS0120632; Ratz , WK StPO § 289 Rz 3) durch seine erfolgreiche Anfechtung des Schuldspruchs I./ zu vermeiden, der zusammen mit dem zu II./ unangefochten gebliebenen Schuldspruch wegen § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG auf dem Anklagevorwurf A./I./ gründet, war von der dem Obersten Gerichtshof durch § 289 StPO eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, auch den von der Anfechtung nicht betroffenen Schuldspruch II./ zu beheben.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof überdies von einer dem Schuldspruch III./ wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG anhaftenden (und bereits von der Generalprokuratur aufgezeigten) Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO.

Die vom Erstgericht konstatierte (US 4, 12) Substanz „Mephedron“ ist in den Anhängen zur Suchtgiftverordnung (§ 2 SMG) nicht genannt. Ob diese deckungsgleich mit dem im Anhang V./2./ der Suchtgiftverordnung, BGBl II 1997/374 in der geltenden Fassung, bzw im unter Punkt 4./ der Suchtgift-Grenzmengenverordnung, BGBl II 1997/377 in der geltenden Fassung, genannten Wirkstoff 4 Methyl Methcathinon ist (vgl BGBl II 2010/264; auch Anl.1 Anti-Dopingkonvention, Verbotsliste 2014, BGBl 1991/451 idF BGBl III 2014/169), kann dem Urteil nicht entnommen werden, bedürfte aber selbst wenn man Gerichtsnotorietät unterstellt einer entsprechenden Feststellung (RIS Jusitz RS0114428, RS0124169; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 348, 463, 606). Die hier vorliegenden Konstatierungen tragen den Schuldspruch III./ wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG somit nicht.

Ein Eingehen auf das weitere, ausschließlich den Schuldspruch I./ betreffende Beschwerdevorbringen erübrigt sich. Soweit die ohne Einschränkung angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde auch die Schuldsprüche II./ und III./ umfasst, blieb sie mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von Nichtigkeit bewirkenden Umständen ohnedies unausgeführt (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO).

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Rechtssätze
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  • RS0121419OGH Rechtssatz

    28. März 2023·3 Entscheidungen

    Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt der Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK gerade darin, die Verteidigung des Angeklagten nicht zu behindern. Geleitet von dieser Zielsetzung können nunmehr auch Abweichungen in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts als Nichtbeachtung des § 262 StPO aus Z 8 releviert werden. Stets dann, wenn - ungeachtet der Identität von Anklage- und Urteilsfaktum im prozessualen Sinn - der Angeklagte einer gegenüber dem inkriminierten Sachverhalt anderen Tat (auch bloß) im materiellen Sinn schuldig erkannt wird, liegt nach dieser grundrechtskonformen Auslegung der Z 8 des § 281 Abs 1 StPO der Nichtigkeitsgrund vor. Ist mit anderen Worten das Tatbild (die äußere Tatseite) der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Tat (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) von jenem des Anklagetenors (§ 207 Abs 2 Z 2 StPO) derart verschieden, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken, besteht ohne weiteres das Erfordernis einer dem § 262 StPO entsprechenden Belehrung, ohne welche dem Grundrechtsgebot des Art 6 Abs 3 lit a oder lit b MRK nicht entsprochen wird. Geht es aber um Abweichungen geringerer Relevanz, ist es Sache des Beschwerdeführers, im Rechtsmittel das Belehrungserfordernis (wenigstens einigermaßen) plausibel zu machen, um unnötige Rechtsgänge zu vermeiden. Diese ziehen nämlich in aller Regel eine Verschlechterung der zur Verfügung stehenden Beweismittel nach sich und können überdies ein Spannungsverhältnis mit dem gleichfalls beachtlichen Grundrechtsgebot auf Verfahrensbeendigung binnen angemessener Frist (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) bewirken.

  • RS0113755OGH Rechtssatz

    11. März 2024·3 Entscheidungen

    Beurteilt ein Gericht nicht nur die im Anklagetenor genannte Tat in rechtlicher Hinsicht abweichend von der Anklage, spricht es den Angeklagten vielmehr - wenngleich ohne Abgehen von dem der Anklage (als Gesamtheit) zugrunde liegenden Sachverhalt - statt der im Anklagetenor genannten Tat einer anderen Tat schuldig, muss mit Blick auf die Fairness des Verfahrens zugunsten des Angeklagten dem Schutzzweck des § 262 StPO zuvor entsprochen worden sein. Dabei steht die strikte Einhaltung der von § 262 StPO beschriebenen Form als solche nicht unter der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 8 StPO. So wird etwa eine abweichende Beurteilung durch den Ankläger in der Hauptverhandlung dem grundrechtlich geschützten Ziel, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu verfügen (Art 6 Abs 3 lit b MRK), durchaus gerecht, weil es dem Angeklagten solcherart offensteht, sich dazu zu äußern sowie Fragen und Anträge zu seiner Verteidigung zu stellen, deren Missachtung einen Verfahrensmangel (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) begründen kann. Die in einer - danach mehrfach wegen Zeitablaufes und Richterwechsels (§ 276a StPO) wiederholten - Hauptverhandlung gestellte Frage des Vorsitzenden (§ 245 Abs 1 erster Satz StPO): "Haben sie in Österreich Zigaretten erworben, bei denen die Eingangsabgaben nicht bezahlt waren?" für sich allein genügt aber nicht.